Das Verhalten des Christen in Krankheiten
2. Die Gebrechlichkeit und Hinfälligkeit des menschlichen Lebens tritt auffallend hervor in den verschiedenen Krankheiten, die den Menschen mit oder ohne seine Schuld befallen können. Die Krankheiten sind mehr oder minder gefährliche und schmerzhafte Störungen in unserem leiblichen Wohlbefinden und damit zugleich in allem, was vom leiblichen Wohlbefinden bedingt ist. Seiner Gebrechlichkeit sich bewußt ist daher der Christ vor allem darauf bedacht, durch sorgfältige Pflege des Leibes, insbesondere aber durch einen tugendhaften Wandel, durch Mäßigkeit und Nüchternheit dem Eintritt einer Krankheit möglichst vorzubeugen; die wirkliche Krankheit aber sucht er zu heben und zum Heil seiner Seele zu benützen. Um die in der Krankheit eingetretene Störung wieder aufzuheben, hütet sich der Christ, zu einem unverständigen Mittel zu greifen; er ruft rechtzeitig einen einsichtsvollen Arzt, und seinen Verordnungen unterwirft er sich mit Vertrauen und Gebet zu Gott, der das Arzneimittel geschaffen hat und segnet. Er scheut zu diesem Zweck nicht den nötigen Aufwand, sondern läßt sich alles, was er erschwingen kann, kosten, um sich das Leben zu erhalten und das so teure Gut der Gesundheit wieder zu verschaffen. Auch schmerzhaften und lebensgefährlichen Operationen unterwirft er sich, so fern sie zur Erhaltung des Lebens unumgänglich sind, willig und mutvoll.
Heilige Schrift
Sir. 38, 1ff: „Ehre den Arzt um der Not willen; denn der Allerhöchste hat ihn erschaffen. Von Gott ist alle Arznei… Der Allerhöchste läßt die Arzneien aus der Erde wachsen, und ein vernünftiger Mann verabscheut sie nicht … Mein Sohn, verachte dich nicht selbst in deiner Krankheit, sondern bete zum Herrn, und er wird dich gesund machen. Laß ab von der Übertretung, leite deine Hände, und reinige dein Herz von allen Sünden. – Aber auch dem Arzt verstatte Zutritt: denn ihn hat der Herr erschaffen; und er weiche nicht von dir; denn seiner Kunst bedarf man.“
Wichtiger noch als die Heilung ist aber dem Christen die sittliche Benützung der Krankheit. Er erkennt in ihr eine Heimsuchung Gottes und eine heilsame Züchtigung für die Sünden und Verschuldungen seines Lebens. Er benützt sie zur Losreißung vom Irdischen, zur Einkehr in sich selbst, zur Prüfung seines sittlichen Zustandes, zur Erneuerung und Befestigung seiner Vorsätze. Dabei erträgt er die Schmerzen der Krankheit mit ausdauernder Geduld und mit voller Ergebung in den Willen Gottes. Sobald sich die Krankheit bedenklich zeigt und gefährlich zu werden droht, bereitet er sich vor, als ginge es zum Tode; er empfängt zur rechten Zeit und mit glühender Andacht die heiligen Sterbesakramente und ist eben so bereit, dem Ruf Gottes in die Ewigkeit zu folgen, als seine Laufbahn hienieden weiter fort zu setzen, wenn ihm dieses dem göttlichen Ratschluss zufolge vergönnt und auferlegt sein sollte. –
aus: J. M. Stadlbaur, Katholische Religionslehre für die studierende Jugend, 1856, S. 483 – S. 484