Abschiedsworte Jesu – Sein Gebot der Liebe
(Joh. Kap. 14-16)
„Ich bin der wahre Weinstock (1), und mein Vater ist der Weingärtner. (2) Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er weg (3); und jede, die Frucht bringt, reinigt er (4), damit sie Frucht bringe. Ihr seid (bereits) rein (5) wegen der Rede, die ich zu euch gesprochen habe. (6) Bleibet in mir (7), so bleibe ich in euch. Gleichwie die Rebe nicht Frucht bringen kann von sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt, und ich in ihm, der bringt viele Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. (8) Wenn jemand nicht in mir bleibt, der wird wie eine Rebe hinaus geworfen und verdorrt; man sammelt sie ein, wirft sie ins Feuer, und sie brennt. (9) Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, so möget ihr bitten, um was immer ihr wollt, es wird euch gegeben werden! Darin wird mein Vater verherrlicht, daß ihr sehr viele Frucht bringt und meine Jünger werdet. Gleichwie mich der Vater geliebt hat, so habe ich euch geliebt. Bleibet in meiner Liebe! (10) Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibet ihr in meiner Liebe, gleichwie ich meines Vaters Gebote gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. Dies habe ich zu euch geredet, damit meine Freude in euch sei, und eure Freude vollkommen werde.“ (11)
„Dies ist mein Gebot (12), daß ihr euch einander liebt, wie ich euch geliebt habe. Eine größere Liebe hat niemand als diese, daß er sein Leben hingibt für seine Freunde. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete. Ich nenne euch nicht mehr Knechte, denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich Freunde genannt, weil ich alles, was ich von meinem Vater gehört, euch kund getan habe. (13) Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt, und ich habe euch gesetzt, daß ihr geht und Frucht bringt (14), und eure Frucht bleibe; damit euch der Vater alles gebe, um was immer ihr in meinem Namen bitten werdet. Dies befehle ich euch, daß ihr euch einander liebt.“
Anmerkungen:
(1) Jesus vergleicht sich mit einem Weinstock in offenbarer Beziehung auf die eben geschehene Einsetzung des allerheiligsten Sakramentes, in dem er den natürlichen Wein in sein allerheiligstes Blut verwandelt und den Seinigen zum Trank gegeben, um die innigste Lebensgemeinschaft mit ihm zu nähren, das übernatürliche Leben der Gnade zu erhalten, zu mehren und an Früchten reich zu machen. Die Apostel hat er eben zu Rebzweigen dieses Weinstocks gemacht, indem er sie zu Priestern des Neuen Bundes bestellt und bevollmächtigt hat, das Leben der Gnade und alle Güter des Neuen Bundes den Menschen an seiner Statt und von ihm aus zu vermitteln und durch Bekehrung der Welt und Heiligung der Seelen reiche Frucht für den Himmel zu tragen. Den wahren Weinstock nennt sich Jesus, sofern die Lebensgemeinschaft der Reben mit dem natürlichen Weinstock und ihre daraus entspringende Fruchtbarkeit doch nur ein schwaches Bild von der innigen und gnadenvollen Lebensgemeinschaft Jesu mit den Seinigen und deren himmlischen Früchten ist; sodann, weil im Alten Bund Israel oft als Weinberg Gottes bezeichnet und am Tempel unter dem Symbol eines goldenen Weinstocks dargestellt, als Bewahrer der göttlichen Wahrheit und Träger der Verheißungen gleichfalls nur ein Schatten der Fülle der Wahrheit und Gnade war, die in Christus erschienen ist. (Vgl. Ps. 79, 9-16 etc.) Der hl. Paulus gebraucht als Bild dieser Lebensgemeinschaft die Verbindung zwischen dem Haupt und den Gliedern des menschlichen Körpers. (1. Kor. 12, 12; Eph. 5, 30; Kol. 2, 17)
(2) Sofern ihm die Herrschaft über das Reich Gottes im Alten und Neuen Bunde, sowie die göttliche Vorsehung, unter der der göttliche Heilsratschluß sich entwickelt und verwirklicht, besonders zugeeignet wird.
(3) Durch Entziehung der Gnade, die nicht benutzt wurde; infolge davon verdorrt diese Rebe und wird endlich ins höllische Feuer geworfen wie Judas.
(4) Durch mancherlei Prüfungen und Heimsuchungen, deren treue Benutzung immer größere Gnaden und reichlichere Früchte zur Folge hat, wie wir an den andern Aposteln, besonders an Petrus, sehen.
(5) Euch erübrigt also nichts, als auf Grund dieser Reinheit nun die Gnaden zu nutzen und reichliche Früchte zu bringen. Damit will der Heiland seine Jünger ermuntern, in innigster Vereinigung mit ihm die reichlichsten Früchte zu bringen.
(6) Wegen der Verkündigung des göttlichen Wortes und der Frucht der Umwandlung und Heiligung, die dasselbe in Verbindung mit meinem Beispiel und meinen Gnaden in euch hervor gebracht hat.
(7) In dieser innigen Lebensgemeinschaft durch den Glauben und die Gnadenmittel.
(8) Zu allem übernatürlich Guten und für die Himmel Verdienstlichen bedürfen wir unbedingt und durchaus der Gnade Gottes, die uns zuvorkommen, und begleiten und das Gute vollenden muss, und ohne die wir nicht einmal einen (übernatürlich) guten Gedanken haben können. (2. Kor. 3, 5; vgl. Röm. 8, 26; 1. Kor. 12, 3)
(9) Sie brennt ewig, ohne zu verbrennen.
(10) Sie ist das Siegel und Kennzeichen der Lebensgemeinschaft mit Christus.
(11) Wahre Freude und Seligkeit gibt es nur in der Vereinigung mit Jesus; er besitzt sie in unendlichem Maße und teilt sie den Seinigen mit in immer größerem Maße, bis er sie im Himmel vollendet. (Vgl. Nachfolge Christi, 2. Buch, Kap. 8)
(12) Das neue Gebot nennt Jesus hier sein Gesetz, weil er selbst diese Liebe in der aller vollkommensten Weise durch die Hingabe seines Lebens geübt hat, und weil er verlangt, daß die Seinigen sie in ähnlicher Vollkommenheit üben.
(13) Vgl. Lk. 12, 4. Jesus würdigte seine Jünger drei Jahre lang seines vertrautesten Umgangs, offenbarte ihnen den ganzen göttlichen Heilsplan, führte sie besonders tief in diesen letzten Tagen in das Verständnis desselben ein, und verhieß ihnen für das, was sie jetzt noch nicht zu fassen vermochten, die Belehrung und Erleuchtung des Heiligen Geistes.
(14) Diese große Bevorzugung aber verdanken sie nicht ihrem Verdienst, sondern der zuvorkommenden überaus großen Liebe und Gnade ihres Gottes und Heilandes. –
aus: Schuster u. Holzammer, Handbuch zur Biblischen Geschichte, Zweiter Band, Das Neue Testament, 1910, S. 471- S. 473