Aphorismen aus dem Tagebuch des P. Rinn SJ
XI. Heiliger Hunger und Durst
„Wenn ich Gott habe, habe ich Alles; ohne ihn kann nichts mich befriedigen“ – sei dein Grundsatz, wenn du über deinen Zustand und deine Wege nachdenkst. O, wie elend ist Alles, was vorüber geht. – Dich, ewiges, höchstes Gut! suche ich.
Laß dir`s nie einreden, daß dies Übertreibungen oder unerreichbare Sachen sind; – erinnere dich, wie klar du es heute vor Gott erkannt hast; – wenn du es auch nicht immer so deutlich einsiehst und lebhaft fühlst, so ertrage die Prüfung, aber lasse den Glauben an das gehabte Licht nicht aus. – Er hat es heute gegeben, er wird es wieder geben.
Selig, die ein großes Verlangen haben, gerechtfertigt, erlöst, versöhnt zu werden, die sich sehnen nach dem verheißenen Erlöser; denn sie werden empfangen Gerechtigkeit, Gnade Heiligung nach ihrem Verlangen im Überfluss, aus der Quelle des Heilandes. –
Selig, die ein immer währendes Verlangen haben, in Gerechtigkeit und Heiligkeit zuzunehmen und fortzuschreiten, die auf nichts anderes sinnen und trachten, als auf Gelegenheit, alle Tugend im Dienst Gottes zu üben und zu erfüllen; denn die Gnade Gottes wird ihrem verlangen entsprechen.
Selig diejenigen, die durch klare Erkenntnis und Erfahrung, wie hier auf Erden Alles Schein, Trug, Täuschung, Stückwerk ist, gleichsam wie von drückend schwüler Luft zum Durst gereizt – ein heftiges Verlangen haben nach dem ewigen Leben, wo erst alle Vollkommenheit zu Stande kommen wird.
Jene Sehnsucht nach dem Erlöser ist nicht bloß ein Anteil derer, die vor Christus gelebt – sondern auch unserer und jeder Zeit. Denn auch wir besitzen von diesem Schatz nur so viel, als unser gläubiges Verlangen groß ist. – Wer arm im Geist ist, wer trauert und weint über sein geistiges Elend, in dem entsteht von selbst ein heftiger Durst nach dem Erlöser.
Wer einmal die Schönheit der hl. Sanftmut erkannt hat, welche ist die himmlische Anmut in allen Tugenden, der ist von einem Pfeil getroffen, der ihn antreibt, wie einen verwundeten Hirsch voll Durst zur Quelle zu eilen, – zum Urbild aller himmlischen, göttlichen, menschlichen Sanftmut – zum Herzen Jesu. Darum folgt so schön und notwendig nach den drei voraus gegangenen Seligsprechungen die vierte von dem heiligen Durst und Hunger nach Gerechtigkeit.
Das Leben der Heiligen ist nichts anderes als die Geschichte von solch dürstenden Seelen, und ihrer reichlichen Befriedigung durch die überfließende Gnade Gottes.
Durch deinen hl. Durst am Kreuz, bitte ich dich, o Jesu! – gib mir diesen dreifachen Durst nach Gerechtigkeit; das ist:
1. Die zärtliche Liebe zu dir – zu deiner Person, als der Befriedigung aller meiner Bedürfnisse, als den Balsam für alle meine Wunden, als den einzigen Trost für alle meine wahre Trauer.
2. Das stete Streben und die unermüdliche, unablässige Bemühung, durch Nachfolge deiner immer vollkommener und dir ähnlicher zu werden.
3. Das himmlische Heimweh. – Erwecke, o Jesu! zuerst diesen Durst in mir, welchen du zu erquicken und zu stillen so heftig gedürstet hast. –
aus: Friedrich Rinn SJ, Die ewigen Wahrheiten der geistlichen Übungen des heiligen Ignatius von Loyola, 1878, 1. Bd., S. 71 – S. 72