Pius XI.: Der heilige Thomas als Lebensvorbild
Auszug aus: Pius XI.: Rundschreiben „Studiorum ducem“
Rundschreiben zum VI. Zentenar der Kanonisation des heiligen Thomas von Aquin
Der heilige Thomas als Lebensvorbild:
Für die Priesteramtskandidaten
1940 Aus dem bisher Dargelegten ergeben sich folgende praktische Schlussfolgerungen: Zunächst soll vor allem die Jugend ihre Blicke auf den heiligen Thomas richten und sich bemühen, die großen Tugenden dieses leuchtenden Vorbildes nachzuahmen, insbesondere seine Demut, die Grundlage des geistlichen Lebens, und seine Keuschheit. In der Nachfolge dieses hervorragenden Geistes und begnadeten Lehrmeisters möge sie lernen, den Hochmut zu verabscheuen und durch demütiges Gebet die Fülle des göttlichen Gnadenlichtes für ihre Studien zu erflehen; treu seinem Beispiel sollen sich die jungen Leute besonders vor den verlockenden und betörenden Reizen der Sinnlichkeit in acht nehmen, damit in der Suche nach der Wahrheit kein Schatten ihren Geist verdunkle. Was er in seinem eigenen Leben verwirklichte, das hat er als Lehrer bekräftigt: „Wenn sich jemand der sinnlichen Genüsse enthält, um sich in größerer Freiheit der Wahrheitsschau hingeben zu können, so steht sein Verhalten im Einklang mit der gesunden Vernunft“. (Thomas von Aquin, Sum. Theol. II-II q. 152 a.2)
Diesbezüglich ermahnt uns übrigens die Heilige Schrift: In eine Seele, die auf Böses sinnt, wird Weisheit niemals eingehen; in einem Leib, der der Sünde versklavt ist, wird sie nicht Wohnung nehmen. (Weisheit 1,4) Wäre die Reinheit des heiligen Thomas in jener Stunde der Gefahr, von der Wir oben sprachen, zu Schaden gekommen, so hätte die Kirche wahrscheinlich nie einen „Engelgleichen Lehrer“ gehabt.
Leider müssen Wir sehen, wie ein Großteil der Jugend sich von den Lockungen der Leidenschaft betören lässt und allzu früh die Herzens-Reinheit verliert, indem sie der Sinnenlust zum Opfer fällt. Daher bitten Wir euch inständig, ehrwürdige Brüder, dafür besorgt zu sein, dass die „Militia angelica“, die unter dem Patronat des heiligen Thomas für den Schutz der Keuschheit kämpft, überall verbreitet werde, ganz besonders in den geistlichen Studienhäusern. Gerne bestätigen Wir Unserseits alle Ablässe, die von Benedikt XIII. und andern Unserer Vorgänger dieser Bruderschaft verliehen wurden. (Vgl. Innozenz X., Konstitution Cum sit vom 27. März 1652) Um den Beitritt zu erleichtern, gestatten Wir den Mitgliedern, statt des gebräuchlichen Gürtels an einer Halskette eine Medaille zu tragen, mit der Darstellung des heiligen Thomas und der ihn gürtenden Engel auf der Vorderseite und dem Bildnis Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz auf der Rückseite.
1941 Der heilige Thomas ist durch einen offiziellen Akt zum Schutzpatron aller katholischen Schulen erhoben worden (Vgl. Leo XIII., Breve Cum hoc sit vom 4. August 1880. ASS XIII (1880) 56-59), weil er, wie bereits gesagt, die zweifache Weisheit, nämlich die verstandesmäßig erworbene und die übernatürlich eingegossene, wunderbar in sich vereinigte; weil er unter Fasten und Gebet sich an die Lösung der schwierigsten Fragen heranmachte und weil er das Kruzifix als den Inbegriff der Weisheit höher schätzte als alle Bücher. Sein Beispiel soll den Priesteramts-Kandidaten wegweisend sein für die kluge und fruchtbare Gestaltung ihrer höheren Studien.
Für die Ordensleute
1942 Den Ordensleuten soll der Lebenswandel des heiligen Thomas ein Spiegel ihres eigenen Lebens sein; er hat die höchsten Ehrenämter ausgeschlagen, um ohne Behinderung im vollkommenen Gehorsam leben und als schlichter Ordensmann sterben zu können.
Für alle Gläubigen
1943 Möchten schließlich alle Gläubigen im Engelgleichen Lehrer ein Vorbild der Verehrung zur allerseligsten Himmelsmutter erblicken, die er oft im Englischen Gruß anzurufen und deren Namen er auf jeden Bogen seiner Schriften zu setzen pflegte. Die Fürbitte des Eucharistischen Lehrers möge ihnen eine große Liebe zum hochheiligen Altarssakrament erwirken.
Für die Priester insbesondere
1944 Das Folgende gilt natürlich vor allem für die Priester: „Täglich feierte er das heilige Messopfer, außer wenn er durch Krankheit verhindert war; dann wohnte er einer zweiten Messe bei, jener seines Ordensgefährten oder eines anderen Paters, dem er sehr oft ministrierte“ (Wilhelm von Tocco, Vita S. Thomae, Kap. XXIX) ,wie sein bester Biograph berichtet. Unmöglich jedoch, seine tiefe Sammlung beim heiligen Opfer, die Gewissenhaftigkeit seiner Vorbereitung, die Innigkeit seiner Danksagung mit Worten zu schildern. (Vgl. Wilhelm von Tocco, Vita S. Thomae Kap. XXXIX)
Das Studium seiner Schriften:
Rüstzeug von höchster Aktualität
1945 Will man sich ferner feien gegen die groben Irrtümer, die Quell und Nährboden allen Elendes unserer Zeit sind, so drängt sich heute mehr denn je das gründliche Studium der Werke des heiligen Thomas auf. Meisterhaft widerlegt er auf allen Gebieten die falschen Theorien der Modernisten: in des Philosophie tritt er, wie bereits erwähnt, für den Wert und die Kraft des menschlichen Verstandes ein und stellt gültige Beweise für das Dasein Gottes auf; in der Dogmatik zieht er klare Grenzen zwischen der natürlichen und der übernatürlichen Seinsordnung und erläutert die Beweggründe zum Glauben und die Glaubenssätze selber; in der Theologie weist er nach, daß sämtliche Gegenstände unseres Glaubens nicht auf bloßer Annahme, sondern auf der Wahrheit beruhen und dass sie unveränderlich sind; in der Bibelwissenschaft vermittelt er den richtigen Begriff von der göttlichen Inspiration; in der Sittenlehre gibt er eine klare Formulierung der Grundsätze der legalen und sozialen, der ausgleichenden und austeilenden Gerechtigkeit und legt die Beziehungen zwischen Gerechtigkeit und Liebe dar; in der Aszetik gibt er die Richtlinien für das Leben der christlichen Vollkommenheit und widerlegt jene seiner Zeitgenossen, die das Ordensleben anfeindeten. Wider die Überbetonung der von Gott losgelösten, autonomen menschlichen Vernunft betont Thomas schließlich die Rechte der höchsten Wahrheit und die Autorität unseres höchsten Herrn und Meisters. Daraus geht klar hervor, dass die Modernisten mit guten Gründen keinen andern Kirchenlehrer so sehr fürchten wie den heiligen Thomas von Aquin.
Wie einst in Ägypten zur Zeit der Hungersnot das Losungswort ausgegeben wurde: Gehet zu Joseph! (Genesis 41,55), er kann euch Brot geben, so, rufen Wir heute allen Wahrheits-Hungrigen zu: Gehet zu Thomas, suchet bei ihm die Kraftnahrung der gesunden Lehre, die er in reicher Fülle besitzt und die eure Seelen zu stärken vermag für das Leben! Er verfügt über einen reichen Vorrat an leicht zugänglicher Seelenspeise, wie es die eidlichen Aussagen des Heiligsprechungs-Prozesses bezeugen: „An der klaren und leicht faßlichen Lehre dieses Meisters haben sich eine ganze Reihe von glänzenden Magistern aus dem Welt- und Ordensklerus gebildet; dank seiner übersichtlichen, lichtvollen und geschickten Methode … wünschen auch Laien und mittelmäßig Gebildete seine Schriften zu besitzen“. (Akten des Heiligsprechungs-Prozesses unter Johannes XXII., Juli 1319)
Verpflichtende Richtschnur für die höheren Lehranstalten
1946 Unserseits verordnen Wir, dass die Bestimmungen Unserer Vorgänger, insbesondere Leos XIII. (Vgl. Leo XIII., Rundschreiben Aeterni Patris vom 4. August 1879. ASS XII (1879) 97-115) und Pius X. (Vgl. Pius X., Motu proprio Doctoris Angelici vom 29. Juni 1914. ASS VI (1914) 336-341) sowie Unsere eigenen Richtlinien des vergangenen Jahres (Vgl. Pius XI., Apostolisches Schreiben Officiorum omnium vom 1. August 1922. ASS XIV (1922) 449-458) von allen Professoren der höheren geistlichen Lehranstalten aufmerksam studiert und gewissenhaft befolgt werden. Sie mögen wohl überzeugt sein, dass sie ihre Amtspflicht und unsere Erwartungen nur dann erfüllen, wenn sie zuerst selber durch unablässiges und gründliches Studium der Werke des heiligen Thomas seine eifrigen Schüler geworden sind und sodann ihre Liebe und Verehrung auch ihren Hörern mitteilen, indem sie ihnen das Verständnis seiner Schriften erschließen und sie dadurch befähigen, ihrerseits wieder andere dafür zu begeistern. –
aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., 1953, S. 1192 – S. 1195