Der heilige Salvius, Bischof und Märtyrer
(Heide und Christ)
Der Heide Sokrates und der Christ Salvius
Wenn man in der ganzen heidnischen Welt nach tugendhaften Menschen sucht, so findet man wenig. Was dort Tugend scheint, ist oft nur Äußerung des Hochmutes oder eine natürliche löbliche Eigenschaft. Als den edelsten der Heiden nennt man gewöhnlich den Sokrates, welcher zu Athen in Griechenland, vierhundert Jahre vor Christus, lebte. Es ist wahr, Sokrates scheint ein sehr rechtschaffener Mann gewesen zu sein, der auch viel mehr Weisheit besaß, als die übrigen Heiden, namentlich auch erkannte, daß es nur Einen Gott gebe, dem man durch einen tugendhaften Wandel dienen müsse. Da nun Sokrates, zuletzt von seinen Feinden wegen seiner Lehre angeklagt, zum Tod verurteilt wurde, so schickte er sich einfach darein und willigte nicht ein, als einer seiner Schüler eine Verteidigungsrede halten und ein anderer ihm zur Flucht aus dem Gefängnis helfen wollte. Die Leute nun, welche dem Christentum zuwider sind und das Christentum ihnen, legen darauf ein großes Gewicht; um Christus herab zu setzen, sagen sie: Sokrates sei eben so gut für Wahrheit und Recht gestorben, als Christus. Allein wenn in finsterer Nacht auch nur ein kleines Lichtlein irgendwo brennt, so sieht man es außerordentlich weit, so leuchtet die Person des Sokrates gerade deswegen aus dem Heidentum heraus, weil das Heidentum Nacht ist. Hingegen am hellen Tag glänzen selbst große Feuer nicht so sehr; es gibt zahllos viele Menschen, welche den Sokrates an Tugend und Heiligkeit weit übertroffen haben, ohne daß man so großes Erhebens davon macht, denn sie lebten im Christentum, im hellen Tageslicht Christi. Und sie selbst haben sich an Christus angezündet, während Sokrates wie ein einfacher Funke aus dem Kamin gesprüht und wieder in Nacht erloschen ist ohne zu zünden, d. h. Sokrates hat keine Jünger gehabt wie Christus, welche Gleiches gelehrt, getan und gelitten hätten. Kein Heide ist dem Sokrates nachgefolgt, wohl aber haben viele Christen Gleiches und Größeres noch getan.
Ich habe dieses dem Leben des Heiligen vom heutigen Tag voraus geschickt, weil Salvius gleichen Todesmut unter ähnlichen Umständen gezeigt hat, wie Sokrates. Ein Zeitgenosse des Heiligen erzählt Folgendes von ihm:
Der heilige Salvius kommt nach Valenciennes
Einige Zeit, bevor Karl der Große Kaiser über das große fränkische Reich wurde, kam ein Bischof, Namens Salvius, nach Valenciennes in den Niederlandes und fing an, daselbst zu lehren und Buße zu predigen. Er war aber ein heiliger Mann, würdevoll von Ansehen, und sein Antlitz leuchtete von einem eigenen Glanz. Bei seiner Wanderung erblickte er einmal von Weitem die Kirche des hl. Martin; mit Tränen in den Augen blickte Salvius zum Himmel und redete seinem Jünger von den Wundern und Gnaden, die durch die Fürbitte des hl. Martinus erlangt worden sind, und daß auch sie mit einander zu dieser Kirche gehen und seinen Schutz anrufen wollen.
Salvius begab sich nun in die Kirche und brachte hier die ganze Nacht damit zu, in Psalmen und geistlichen Liedern Gott zu preisen. Da es Tag wurde, zog Salvius die priesterliche Kleidung an, denn das Volk versammelte sich, um das Wort Gottes aus dem Mund des heiligen Bischofs zu hören, dessen Ruhm sich weit verbreitet hatte. Nach der Predigt hielt Salvius auch ein feierliches Hochamt und gab zuletzt dem Volk den Segen. Da nun der Gottesdienst auf diese Weise in üblicher Ordnung beendigt war, kam ein Mann, Namens Genard, der Beamte des Herrn von jener Gegend, und bat den hl. Salvius, er möge um der Liebe Christi willen eine leibliche Erquickung bei ihm nehmen, was auch Salvius nicht abschlug. Es war aber gerade Sonntag. Da sie nun mit einander speisten, war auch der Sohn des Beamten, Winegard, dabei. Salvius führte aber einige kostbare Kirchen-Gerätschaften mit sich, nicht aus Liebe zu irdischem Glanz und Gut, sondern um sein heiliges Amt und seinen göttlichen Dienst damit würdig zu ehren. Als dieses Winegard bemerkte, reizte ihn die Begierde nach diesen Kostbarkeiten, und er merkte auf, nach welcher Richtung der Mann Gottes seine Wanderung fortsetzen wolle.
Winegard überfällt den Heiligen
Da nun Salvius mit seinem Schüler sich wieder auf den Weg begab, kam er zu einem Bach, der zwischen weglosen Bergen zu einem Kloster führte, welches zur Verehrung der Mutter Gottes gestiftet war. Salvius schlug nun die Richtung nach dem Kloster ein. Hier hatte sich nun voll Arglist Winegard mit seinen Gefährten in Hinterhalt gelegt und hielt den heiligen Bischof an. Er fragte ihn scheinbar ganz ehrerbietig, wohin die Reise gehe. Salvius sagte, er wolle, wenn Gott nicht entgegen sei, in das Marienkloster. –
Winegard erwiderte nun: „Ich habe auf eigenem Grund und Boden eine Kirche gebaut, die eingeweiht werden soll. Könntest du, heiliger Mann, nicht kommen und sie einweihen?“ – Der hl: Salvius sah in Erleuchtung des hl. Geistes was im Plan sei, wies den Antrag zurück und fing an schneller zu gehen. Da gab Winegard seinen Dienern heimlich den Befehl, den hl. Salvius samt seinem Schüler zu ergreifen und ihm alles, was er bei sich habe, gewaltsam zu entreißen. Den goldenen Kelch und die Patene, dessen Salvius beraubt wurde, ließ Winegard zu einem Goldarbeiter tragen, damit ihm dieser Zierrat an seinen Reisesattel daraus mache, indem er ein sehr leichtfertiger, frecher Mensch war; die kostbaren Messgewänder jedoch ließ er in sein Haus bringen, den Bischof selbst aber befahl er gefangen zu halten.
Winegard reiste sodann eilig zu seinem Vater und erzählte ihm geradezu Alles, wie er mit dem Diener Gottes verfahren sei. Der Vater sagte zu ihm: Was hast zu getan? Wie konntest du den Diener Gottes, der uns den Weg der Wahrheit und des Heils gelehrt hat, so schwer beleidigen? Was hast du im Sinn gehabt, daß du ihn in den Kerker hast bringen lassen? Wer ist dir Ratgeber gewesen, eine so große Übeltat gegen den Mann Gottes auszuüben? Wenn das Gewicht unserer eigenen Sünden nicht groß genug ist, so hast du jetzt die Sünden unserer Vorfahren gegen uns aufwecken müssen, daß sie auf uns weilen bis ins dritte und vierte Geschlecht. Sieh´, sein Blut ist über uns und über unserer ganzen Nachkommenschaft.“ – Der Sohn antwortete ihm: „Was soll ich machen, Vater? Soll ich ihn freigeben und entlassen, oder ihn zurück behalten? Gib mir einen Rat.“ – Sein Vater antwortete und sprach: „Dein Vorhaben, den Mann zu töten, missfällt mir durchaus. Eines sage ich dir: wenn du ihn los lassest, wird es deinem Leben keinen Trost bereiten: wenn du ihn aber tötest, so wirst du des Mordes schuldig sein.“
Winegard will den Heiligen töten lassen
Winegard verließ seinen Vater, beriet sich mit seinen Gesellen, ging in seine Behausung, ließ alle äußeren Tore verschließen, so daß Niemand herein kommen konnte. Sodann ließ er einen seiner Diener, Winegar mit Namen, welcher den Kerker zu besorgen hatte, vor sich kommen und befahl ihm, zu Salvius zu gehen und denselben samt seinem Schüler zu töten. Winegar, der Kerkermeister, öffnete nun den Eingang zum Gefängnis, stieg hinab, schritt vorwärts, bis er an den Ort gelangte, wo der heilige Gottes im Gebet begriffen weilte. Wie aber jener Diener den h. Salvius standhaften Mutes den Tod erwarten sah, überfiel ihn selbst ein Schrecken, und es wurde ihm sehr bang im Innern seines Herzens und er sprach zu dem Manne Gottes: „o heiliger Mann, ich bin in gar schwerem Bedrängnis.“ – Auf die freundliche Ansprache des Bischofs fuhr er fort: „Ich sehe dich wie einen Engel Gottes an; was bin ich so unglücklich, daß ich von meinem Herrn zur Ausführung einer so ruchlosen Schandtat gesendet bin! Ich will dir sagen, was er mir in dieser Nacht zu verüben befohlen hat. Höre auf mich, heiliger Mann, und folge meinem Rat, daß du aus diesem Kerker entweichest samt deinem Schüler und ich mit euch; denn mein herr hat mir den strengsten Befehl gegeben und drängt mich, daß ich euch diese nacht, bevor der Tag anbricht, hinrichte.“ – Der hl. Salvius sprach: „O Sohn, ich meine, daß du alles dieses lügenhaft aus dir selbst sprichst. Denn dein Herr hat dir dieses, was du sagst, gewiß nicht aufgetragen; wie sollte er ein solches Verbrechen zu verüben befehlen?“
Die Not des Kerkermeisters
Darauf antwortete der Kerkermeister mit Tränen: „O Mann Gottes, ich rufe den Gott Himmels und der Erde zum zeugen an, daß in allem, was ich jetzt gesagt habe, nicht ein einziges Wort unwahr ist. Nun aber höre auf mich und tue, was ich geraten habe, daß du mit Hilfe Gottes entrinnen könnest. Und mich unwürdigen Knecht sollt ihr bei Euch behalten und stets bereit finden, Euch zu dienen.“ –
Der hl. Salvius sprach: „Sohn, wir dürfen nicht den Belohnungen Christi ausweichen, sondern sie vielmehr in unerschütterlicher Treue umfassen.“ – Der Kerkermeister sprach: „O heiliger Vater, ich weiß, daß dir eine Krone bei Christus bereitet ist; aber ich seufze in der Not meines Gewissens, und für ein so großes verbrechen, das mir von meinem Herrn an dir zu verüben befohlen ist, weiß ich nicht, was ich tun soll; darum bangt mein Herz in übermäßiger Angst, ja es kommt mir vor, als bebe das ganze Haus und müsse zusammen fallen.“ Dann fuhr er fort und sagte: „Mein Herr hält mich nämlich unter dem schweren Joch der Sklaverei; wenn ich zuweilen nur einen seiner geringsten Befehle vernachlässigt hatte, wütete sogleich sein Zorn und entbrannte gegen mich, seinen Knecht, drohte mir mit Folterqualen und züchtigte mich oft mit Schlägen: um wieviel mehr, wenn ich das große Verbrechen nicht vollführe, das zu tun er mir eingeschärft hat. Wenn hingegen ich unglücklicher es vollführe, so fürchte ich, daß der Zorn Gottes über mich komme, ja daß die Erde ihren Mund öffne und mich lebendig verschlinge, und ich ohne Frist der Buße zur Hölle fahre. Und doch wenn ich es nicht tue, so werde ich den Händen meines Herrn nicht entgehen.“ –
Der hl. Salvius sprach: „Sohn, sei nicht bekümmert und fürchte dich deshalb nicht. Denn wenn dein Herr dir einen Auftrag gegeben hat, so musst du seinem Befehl gehorchen, eingedenk des apostolischen Spruches: Ihr Knechte, seid euren Herren unterwürfig in aller Furcht des Herrn, nicht allein den guten und gelinden, sondern auch den schlimmen!“ – Der Kerkermeister antwortete: „Ich habe dir schon gesagt, Diener des Allerhöchsten, wenn du fortgehen willst, daß ich mit dir fortgehe; wenn du aber nicht willst, kann ich es nicht anders machen, als den Befehl meines Herrn zu vollführen; ich muss dich mit dem Schwert hinrichten und deinen Schüler. Doch möge der himmlische König und seine Engel mir Zeugen sein, daß ich solches nicht freiwillig tue, sondern weil mein Herr mit den grausamsten Strafen sonst meinen Leib peinigt.“
Der Kerkermeister rechtfertigt sich vor Winegard
Während er aber dieses noch redete, schickte Winegard und entbot ihm zu kommen, indem er sicher glaubte, es sei Alles, was er in Betreff des heiligen befohlen habe, vollführt. Als er nun vor seinem Herrn sich stellte, sprach dieser zu ihm: „Was machst du so lang? Hast du Alles vollbracht, was ich dir befohlen? – Der Diener antwortete aber und sprach zu seinem Herrn: „Möchte es doch unserm Heiland und Erlöser Christus, dem Sohn Gottes gefallen, daß die Augen des Herzens meinem Herrn geöffnet würden und er sähe, wie liebenswert der Mann Gottes ist.“ – Da sprach der Herr voll Wut: „Was hast du getrieben, schlechter Knecht, die ganze Nacht hindurch?“ – Der Kerkermeister antwortete: „Ich bitte, mein Herr, zürne deinem Knecht nicht, bis du mich angehört hast.“ – Der Herr sprach zu ihm: „Rede, was du zu sagen hast.“ – Nun erzählte er Alles, was er im Kerker in Betreff des heiligen Mannes gesehen hatte und sprach: „Du hast mich geschickt, mein Herr, daß ich deinen befohlenen Auftrag vollführe. Da ich nun die Kerkertüre öffnete, so überfiel mich gleich beim Eingang eine große, unerträgliche Angst, und als ich vor das Angesicht des Mannes Gottes kam, wurde ich alsbald im Geist wie verwirrt und fiel erschrocken zur Erde vor seine Füße und meinte, die Erde werde sich öffnen und mich verschlingen.“ – Winegard, in Wut aufgeregt, verhöhnte ihn und sprach heimlich zu seinen Freunden: „Wahrhaft, dieser treulose Knecht ist voll Schrecken, wie ein Fuchs, wenn ein Haufe Jagdhunde anlauft. Geh` einer von euch mit ihm zu jenem Zauberer, dessen unnütze Reden er mir erzählt. Vielleicht faßt er dann ein Herz, und vollführt die Hinrichtung, wie ich befohlen habe.“ Dann wandte sich Winegard wieder zu seinem Diener: „Noch einmal gebe ich dir den bestimmten Befehl, komme mir nicht eher vor das Gesicht, bis du Alles ausgeführt hast, was ich dir aufgetragen. Bei dem Leben meines Vaters, wenn du nicht mit jenem Zauberer und seinem Diener tust, wie ich gesagt habe, so werde ich verschiedene Strafen an dir ausführen.“
Der Märtyrertod des hl. Salvius
Jene gingen nun fort zu dem Kerker, wo der Mann Gottes gefesselt eingesperrt war. Als sie an den Ort kamen, wo Salvius furchtlos die Märtyrerkrone erwartete, fingen sie an zu zaudern. Sein Schüler aber war gerade auf die Seite gegangen. Der hl. Salvius saß auf einem gemeinen hölzernen Stuhl; da sprach der, welcher dem Diener zur Aufmunterung beigegeben war, zu demselben: „Was machst du so lang? Warum vollführst du nicht den Befehl deines Herrn?“ Er ergriff das Beil, aber zitterte heftig und wagte nicht den Schlag auf ihn. Der hl. Salvius sprach zu ihm: „Was zögerst du, mein Sohn? Tue, was dir deinHerr befohlen hat.“ Mit diesen Worten entblößte er den Nacken und neigte sich gegen ihn. Aber der Diener, aus Furcht gegen seinen herrn, schlug zu und tötete ihn. Es war aber der Schüler des hl. Salvius gerade in einer andern Abteilung des Kerkers. Sobald er den Schlag eines geschwungenen Schwertes hörte, erkannte er, daß sein Meister getötet worden, und schrie mit heftiger Stimme: „Heiliger Vater, verlaß mich nicht!“ Nun kamen die Henker auch zu dem Schüler und töteten ihn. Es haben also den Märtyrertod gelitten gleichmäßig der hl. Salvius und sein Schüler durch Winegard am 26. Juni; mit gebeugtem Hals gaben sie ihre Leiber den Mördern hin, und ihre heiligen Seelen brachten sie als ein Weihopfer dem Schöpfer und Herrn.
Die Strafe für den Mord an den hl. Salvius
Obschon Winegard die Leichen in einem Viehstall heimlich begraben ließ, wurde dennoch Alles auf wunderbare Weise entdeckt. Kaiser Karl der Große ließ eine strenge Untersuchung anstellen, und als der wahr Hergang heraus gestellt war, ließ er dem Wingard sowohl als seinem Diener Winegar die Augen durchstechen. Der Letztere aber soll nach inständigem Gebet am Grab des hl. Salvius an einem Auge wieder sehend geworden sein. –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 2 April bis Juni, 1872, S. 445 – S. 451