Grundsätze der heiligen Äbtissin Klara von Assisi
Es ist dir gewiß angenehm, noch einen Blick in ein Nonnenkloster der „Armen Frauen“, das mit römischer Klausur geschlossen ist, zu tun und zu sehen, was für Lebens-Anschauungen da drinnen herrschen, ob dieselben wirklich so finster, widernatürlich, grobähnlich seien, wie die marktschreierischen Weltbeglücker mit tiefster Entrüstung klagen Würdige nur folgende zwei Tatsachen deiner Aufmerksamkeit:
1. Eine vornehme Dame und sehr besorgte Mutter kam zur Äbtissin Klara, bat sie, ihre Töchter doch ins Kloster aufzunehmen, und begründete ihre Bitte also: „Die ältere Tochter ist still, sittsam, fromm, liebt keine Gesellschaft, kein öffentliches Vergnügen, sondern die Einsamkeit; es wäre schade, wenn sie in der Welt bleiben müßte; die jüngere ist ganz anders, sie ist eitel, gefallsüchtig, leichtsinnig, möchte den ganzen Tag schwätzen und von einem Vergnügen zum andern gehen: diese kann nur das Kloster vor dem sittlichen Verderben retten.“
Klara sprach ihre Ansicht dahin aus: „Ich will den Versuch machen, ob die jüngere, die weltlustige, durch die regelmäßige Ordnung und das gemeinsame Gebet der Schwestern sich bessern läßt: will sie dann bei uns bleiben, so werden wir sie behalten; wenn nicht, so geben wir sie Ihrer Muttersorge zurück. Dagegen die ältere soll nur in der Welt bleiben; denn gerade da braucht man Frauen, welche beweisen, daß man in jedem Stande christlich fromm leben kann; und solche Frauen, welche in der Welt ihre Pflichten erfüllen, sind ebenso viel wert vor Gott, wie die Nonnen, welche im Kloster nur sich selbst heiligen.“ Klara gestattete den zwei Töchtern den einstweiligen Aufenthalt und Unterricht im Kloster. Später gab sie Beide der Mutter zurück: die jüngere, gründlich gebessert und geschult, die ältere in ihrem schönen Charakter gefestigt und vervollkommnet: Beide wurden musterhafte und in ihrem hohen Stande sehr wohltätig wirkende Familienmütter.
2. Klara war stets in fröhlicher, heiterer Gemütsstimmung und mochte kein mürrisches, trauriges Gesicht sehen. Ihre Fröhlichkeit quoll hervor aus ihrer seraphischen Liebe zu Jesus im Tabernakel, und sie ermunterte beständig ihre Schwestern, mit Jesus in der heiligen Hostie eine zutrauliche Freundschaft zu unterhalten, indem sie sagte: „Wir im Kloster müssen auch eine gesellige Unterhaltung haben; aber es ist ein himmelweiter Unterschied zwischen der Unterhaltung mit Jesus im heiligsten Sakrament: dort spricht man miteinander, ohne sich zu lieben, oft sogar ohne sich recht zu kennen: hier sprechen wir mit Jesus, der uns ganz genau kennt, den auch wir aus den Werken seiner Barmherzigkeit, Güte und Liebe gegen uns kennen, von dem wir ganz gewiß wissen, daß Er uns sehr innig liebt und es unendlich gut mit uns meint: dort ist man argwöhnisch und mißtrauische, man schwatzt ohne Aufrichtigkeit, lacht ohne Freude, schmeichelt ohne Liebe und geht heim ohne Befriedigung; hier sind wir ungeniert und arglos, je aufrichtiger wir unser Herz ausgießen, desto mehr freut sich Jesus; Ihm dürfen wir Alles sagen, Alles klagen, auch die geheimste Schuld. Er ist ja so gut, ganz Gnad` und Huld: wir treffen immer auch Maria, die süße Mutter, und viele Engel an, die unserer Unbeholfenheit beistehen und uns durch ihre Fürbitte unterstützen, daß wir nie ohne reichen Segen heim gehen.“ –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 597 – S. 598