Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden!
Eine Geschichte aus der Zeit des Kulturkampfes
Teil 1: Ehre sei Gott auch in der Verfolgung
Der rheinische Landrat Versen war mit dem Vorstand des „Deutschen Vereins“ in ziemlich lebhafter Diskussion.
„Sie werden doch nicht meinen, Herr Professor, dass ich die heutige Nacht, die heilige Christnacht, dazu brauchen soll, um katholische Kapläne zu fangen?“ fragte er den Vorstand etwas spitzig. „Heute Nacht, meine ich, sollte man an Weihnachten denken und die Leute in Ruhe lassen. Was schadet`s auch, wenn die Ultramontanen wieder einmal einen verbotenen Gottesdienst haben? Die Heimlichkeit, die Angst, dabei erwischt zu werden, sind doch arg genug. Wir haben ja gewiss schon genug Anzeigen gemacht; also, glaube ich, können wir`s diese Nacht bewenden lassen.“
Ein düsterer Blitz giftigsten Hasses schoss aus den Augen des Professors. „Wie, Herr Landrat“, entgegnete er im Tone herzlosesten Erstaunens, „wie, Sie wollen dieser Brut noch helfen, ihr eine Freinacht verschaffen? Wann gibt es eine bessere Gelegenheit, die Vaterlands-Verräter, die Reichsfeinde empfindlich zu fassen, als heute? Meine Leute haben es mir hinterbracht, dass heute Abend eine ziemliche Bewegung unter den Ultramontanen sei; sie winken sich, geben sich Zeichen, und alles deutet darauf hin, dass ein Hetzkaplan ungesetzlicher Weise sich heute Nacht einschleicht und gegen die Staatsgesetze einen Gottesdienst hält. Und da wollen Sie zurückbleiben? Denken Sie denn nicht an Ihre Stellung, Herr Landrat?“
„Meine Güte! Aber warum denn gerade heute, Herr Professor, an Weihnachten? Sollen die armen Leute gar keinen Frieden haben? Ich bin gar nicht aufgelegt dazu.“
Der Professor sah den Beamten verwundert an, so etwa, wie der Böse sein Opfer. „Aber ich, Herr Landrat, bin dazu aufgelegt und jederzeit bereit, dem Vaterland meine Dienste zu leisten, verstanden?“ sagte er nachdrücklich, „und ich glaube, unser ganzer großer ‚Deutscher Verein‘ am Rhein denkt wie ich, und wenn Sie nicht von Ihrer Macht Gebrauch machen, dann ist`s in drei Tagen nach Berlin gemeldet, dann mögen Sie sehen, wie es Ihnen geht.“
„Also wollten Sie selbst mich am Ende noch denunzieren?“ fragte der Landrat, halb lachend, halb im Ernst.
„Wo des Vaterlandes Wohl es erheischt, ist mir keine Mühe zu gering; nicht umsonst bin ich eine Zierde des ‚Deutschen Vereins‘ am Rhein genannt worden.“
Stolz sah der Professor drein; aber sein Antlitz bot ein abstoßendes Bild.
Es war ein Gesicht, wie man heutzutage erschreckend viele sieht: scharf geschnittene Züge, wohl ausgebildet, aber es verriet, daß in dem Kopf zwar allerlei, viel und zu viel ausstudiert, geplant und getüftelt ward, dass aber der scharfen, kalten Verstandestätigkeit jegliches Gemüt, der Friede und die Liebe gänzlich fehlte. Solche Menschen finden sich jetzt in allen Ständen; sie sind die Mode und die Plage unserer Zeit geworden, denn sie sind die erwählten Gefäße des Hochmuts-Teufels, der mit dem Schein des Wissens Tausende betört und betrügt. Das war der Professor.
Er war einer stockprotestantischen Familie im Osten des Reiches entsprossen, hatte aus Ehrgeiz und Sucht nach glänzender Anstellung mit allen Mitteln gearbeitet, bis er Professor geworden, hatte sich dann der Regierung für alles, was sie wollte, zur Verfügung gestellt, besonders für den Kulturkampf, und war darauf durch höheren Befehl wie tausend andere Protestanten mitten in das katholische Rheinland versetzt worden, um hier eine Stütze des Kulturkampfes zu werden. Durch sein Spioniersystem und seine aufdringliche Rücksichtslosigkeit hatte er sich bald zur Seele der Kirchenfeinde daselbst gemacht, und sogar seine Gesinnungs-Genossen fürchteten ihn. Dem Landrat Versen ging es selbst so. Gegen seine Neigung versprach er schließlich, in der Christnacht von morgens 4 Uhr an die katholische Kirche überwachen zu lassen.
„Um diese Zeit haben die Katholischen ihre Frühmette oder wie`s heißt“, sagte der Professor; „ein Katholik, der aber zu uns hält, hat mir`s verraten. Solch ein Katholik nützt uns mehr als zehn Protestanten, ha, ha!“
* * *
Christnacht.
Die heiligen zwölf Schläge zittern langsam, feierlich hallend vom Turm über die dunkel bedeckte Stadt hin. Es ist die Stunde, da Christus geboren worden ist. Drei Kirchen ragen aus der Stadt zum sternbesäten Himmel auf. Zwei davon sind dunkel, ohne Leben, stumm und kalt. Eine ist die Kirche der Protestanten. Vor Jahrhunderten war auch sie katholisch. Ob wohl in dieser Nacht ihre Steine nicht darüber klagen, dass die Christfeier mit dem Hirten- und Engelamt aus ihr seit langer, langer Zeit verbannt ist?
Die zweite, fast ebenso groß, ist „alt-katholisch“. Noch vor wenigen Jahren gehörte sie den Katholiken; jetzt ist sie ihnen genommen, und das Gras wächst innen und außen an ihr – trostlos ist ihr Anblick wie der einer Braut, welche des Bräutigams, der Schönheit und des Schmuckes zu gleich beraubt ist.
Die dritte, die kleinste Kirche ist die den Katholiken einzig noch belassene. Aus ihren Fenstern glänzt, wie jede Nacht, so besonders heute, jener unendlich tröstliche und sanft Lichtschimmer, welcher vom Ewigen Licht kommt und das schönste Symbol der katholischen Glaubenstreue ist, die, ausharrend bei ihrem Gott bis zum letzten Atemzug, freudig alles, auch das eigene Leben, opfert. Hin und wieder schleicht eine Gestalt, tief verhüllt, durch die Seitentürchen in die Kirche; drin aber ist alles ruhig.
Und doch – wir treten mit ein – ist das Innere der Kirche vollständig gefüllt. Nur das Ewige Licht brennt; schweigend, regungslos knien die Anwesenden – lauter Männer, keine einzige Frau – in allen Bänken der ganzen Kirche. In einem Winkel, zunächst der Sakristeitür, ist ein Beichtstuhl; ein Priester sitzt darin schon seit dem Einbruch der Nacht.
Zu ihm tritt einer nach dem andern und bekennt Gott, dessen Richterstelle der Priester einnimmt, seine Sünden und empfängt mit seliger Freude die Lossprechung durch priesterliche Gewalt und die Wiederaussöhnung mit dem Herrn. Kein Laut stört die Andacht; eine heilige Stimmung durchzieht die ganze Versammlung der Beter und Büßer. So soll es fortgehen bis 4 Uhr, wo dann auch die Frauen und Kinder zur heiligen Messe kommen dürfen. Diese haben schon am vorhergehenden Tage in ähnlicher Weise gebeichtet und darauf die heilige Kommunion empfangen. Denn die Pfarrei ist verwaist, der Bischof ist in der Verbannung, und ein von dem Staat nicht eingesetzter Geistlicher darf weder ein Sakrament spenden noch das heilige Opfer feiern. (1)
(1) Wir brauchen wohl nicht zu bemerken, daß wir nach der Natur schildern.
Plötzlich lässt sich ein leises Klopfen neben dem Beichtstuhl hören. Nachdem der letzte Mann gebeichtet hat, erhebt sich der Priester.
„Sie sind verraten“, flüstert einer, „es kommen Polizeibeamte in die Kirche; fliehen Sie!“
„Wohlan“, sagt der Geistliche, totenblass vor Anstrengung und Arbeit, „doch vorher werde ich den Männern noch die heilige Kommunion austeilen.“ Er geht rasch an den Altar; zwei Kerzen werden angezündet, die ganze Männerschar betet mit gedämpfter Stimme die Offene schuld, und dann ertönt die Stimme des Priesters: „Seht an das Lamm Gottes …“
Nun treten sie alle hin zum Tisch des Herrn, und einer nach dem andern empfängt den Leib des menschgewordenen Gottessohnes bei verschlossenen Türen, heimlich, als wäre die Versammlung eine Schar von Bösewichtern. Der Priester erteilt noch den Segen, dann rüstet er sich zur Flucht. Bald ist er im Dunkel entschwunden. Die übrigen Gemeindeglieder aber, Frauen und Kinder, kommen jetzt auch in der Kirche an. Der alte Lehrer verkündet, daß der heilige Christtag ohne Messopfer bleiben müsse. Die Orgel ertönt, man singt; aber der Altar steht im Dunkel, kein Priester an ihm.
Man verliest die Epistel und das Evangelium, die Gebete zur Opferung und die des Canon; aber kein Opfer wird vollbracht. Es klingeln wehmütig die Altarglocken, aber keine Hostie, kein Kelch mit dem Blut Christi wird erhoben; trauriges Schweigen herrscht. Tränen glänzen in den Augen der Beter, man hört laut und lauter schluchzen, die Kinder fangen an zu weinen.
„O was haben wir getan, womit haben wir das verdient, daß uns Gott so straft?“ klagen die Leute im stillen.
Aber gleichwohl stimmt alles ein, als jetzt die Orgel den Gesang intoniert: „Ehre sei Gott in der Höhe!“ Ja wohl, Ehre sei Gott trotz Verfolgung und Kulturkampf; Ehre sei Gott im Leiden, im Dulden, in der Treue, im heiligen starken Opfermut! Und brausend, triumphierend steigt der Gesang himmelan.
Drüben aber am Bergabhang, fast schon eine Stunde von der Stadt, flieht der Priester dahin. Mühsam geht er allein durch den unabsehbar sich ausdehnenden Schnee. Da tönt von ferne her dumpf einer Glocke Klang. Er lauscht – er kennt die Glocke: es ist das Geläute der katholischen Kirche in der Stadt. Sie läuten „zur Wandlung“, obwohl sie keine solche haben.
Betend sinkt der Priester auf die Knie in den Schnee, aber freudig und mutig erhebt er sich und singt mit hellem Jubelton zum Himmel hinauf: Gloria in excelsis Deo! – „Ehre sei Gott in der Höhe!“
Der Ruf ist hinauf gedrungen vom Schneefeld bis vor Gottes Thron, zugleich mit dem aus der katholischen Kirche; gar mancher andere Gesang kommt nicht über die Nebeldünste, geschweige über die Wolken hinaus. Das ist die Ehre, welche eine treue katholische Gemeinde in den Zeiten der Verfolgung Gott in der Höhe erweist. –
aus: Konrad Kümmel, An Gottes Hand, Zweites Bändchen: Weihnachts- und Neujahrsbilder, 1916, S. 40 – S. 45
Fortsetzung Teil 2: Friede denen die guten Willens sind
siehe in diesem Zusammenhang: Gemeinden ohne Seelsorger – Ein Lehr- und Trostbüchlein
sowie: Trost- und Mahnworte für Katholiken
Zum Thema „Kulturkampf“ siehe den Beitrag auf Studymarker