Herrschaft des Heiligen Geistes

Neunte Betrachtung

Die Herrschaft des Heiligen Geistes über die Seele

Jesu Auftrag

Die Verherrlichung Gottes

Gott der Herr hat alles zu Seiner Ehre geschaffen. Ein anderes Ziel konnte Er Sich nicht setzen; es wäre Seiner unwürdig gewesen. Durch die Schöpfung wolle Er Seine Eigenschaften offenbaren und eben dadurch Sich verherrlichen. Der Mensch war berufen, in diesem bewunderungswürdigen Buch der Natur zu lesen, den Schöpfer derselben zu betrachten und Sein Lob zu singen.

Die Sünde hat den Verstand der unglücklichen Kinder Eva`s umdunkelt; die Meisten sahen Gott nicht mehr in Seinen Werken und wollten sich Seiner Herrschaft nicht mehr unterwerfen. Man hätte sagen sollen, daß das erhabene Schauspiel der Schöpfung nicht mehr dazu diente, ihren Urheber zu verherrlichen.

Da empfing der ewige Sohn des Allerhöchsten von Seinem Vater einen Auftrag. Er sagt Selbst: „Mein Vater hat Mich gesandt.“ (1) Welches war der Zweck dieser Sendung? Wiederum die Verherrlichung Gottes: „Ich suche die Ehre Dessen, der Mich gesandt hat.“ (2) Durch ein Wunder, das weit erstaunlicher war, als das der Schöpfung, stellte Jesus Christus die arme verfallene und entwürdigte Menschheit wieder her und machte so den Sohn Adams wieder fähig, sich durch das Denken und durch die Liebe bis zu Gott zu erheben. Eben dadurch konnte der Mensch Gott verherrlichen. Nun ward dieses göttliche Werk, die Aufgabe des Sohnes Gottes, nach dreiunddreißig Jahren beendet. Da, als Jesus im Begriff stand, die Welt zu verlassen, um zu Seinem Vater zurück zu kehren, konnte Er dieses erhabene Gebet zum Himmel senden: „Vater, Ich habe Dich verherrlicht auf Erden. Das Werk habe Ich vollendet, das Du Mir gegeben, daß Ich es tue. Geoffenbart habe Ich Deinen Namen den Menschen!“ (3) Bald darauf rief der Heiland vom Gipfel des Kalvarienberges mit lauter Stimme, damit Er gehört würde von allen Völkern, welche die Erde bewohnen: „Es ist vollbracht!“ (4) –

Die Aufgabe des Sohnes Gottes war gelöst. Das Werk der Schöpfung hatte sechs Tage gedauert, und am siebten ruhte Gott, wie der heilige Schriftsteller sagt. Das Erlösungswerk dauerte dreiunddreißig Jahre, und darauf „ward der Sohn Gottes in den Himmel aufgenommen, und sitzet zur Rechten Gottes“ (5), um ewig verherrlicht zu werden.

Die Aufgabe des Heiligen Geistes

Die Verherrlichung Christi

Darauf beginnt die Aufgabe des Heiligen Geistes. Sie besteht darin, daß Er das übernatürliche Leben in die Seelen ausgieße, indem Er ihnen die Erkenntnis und Liebe Gottes und Jesu Christi mitteilt, da ja nach den Worten des Heilandes Selbst ganz besonders hierin das ewige Leben besteht. (6)

Die Sendung des Heiligen Geistes dient zur Verherrlichung Jesu Christi: „Er wird Mich verherrlichen.“ (7) Und diese Verherrlichung des Sohnes Gottes durch den Heiligen Geist wird in einem wunderbaren Werk bestehen. Der Heilige Geist wird lebendige Abbilder Jesu Christi machen, indem Er die Gedanken und Gefühle Jesu Christi in die Seele der Auserwählten übergehen läßt, indem Er dieselben zur Übung jener Tugenden antreibt, welche Jesus Christus zuerst geübt hat, und indem Er sie würdig macht, mit Jesus Christus der Gegenstand des Wohlwollens des himmlischen Vaters zu werden.

Das ist die Verherrlichung, welche Gott dem Herrn aus der Sendung des Heiligen Geistes erwachsen soll!

Die Herrschaft Christi über die Herzen begründen

Der Heilige Geist kommt also die Menschen heimsuchen, um sie Jesus kennen zu lehren, um Ihn zu offenbaren, um Seine Herrschaft über die Herzen zu begründen; Er kommt, um all` die Schätze aufzudecken, welche in der anbetungswürdigen Person Jesu Christi, in Seinen Geheimnissen, in Seiner Lehre eingeschlossen sind. Er kommt, um gewissermaßen zu Gunsten Jesu Christi jene Aufgabe zu lösen, welche der göttliche Heiland in Bezug auf Gott den Vater erfüllt hat.

Diese Aufgabe dauert bis zum Jüngsten Gericht

Diese Aufgabe wird dauern, so lange die Welt steht; das Werk des Heiligen Geistes wird erst beendet sein am Tage des jüngsten Gerichtes. Alsdann wird der Heilige Geist sagen, wie Jesus Christus gesagt hat: „Ich habe Deinen Namen den Menschen verkündet; Ich habe das Werk vollendet, das Du Mir aufgetragen; Ich habe Dich auf Erden verherrlicht: Alles ist vollbracht!“ – Dann wird die Ruhe der Ewigkeit beginnen.

Das ganz göttliche Werk der Heiligung der Seelen ist also das besondere Werk des Heiligen Geistes, und dieses Werk besteht darin, daß Er bewirkt, daß die auserwählten dasselbe Leben mit Jesus Christus haben.

Anmutung

Nun muss ich prüfen, wie ich zu diesem ganz übernatürlichen Leben gelangen kann, welches mich zu einem lebendigen Abbild Jesu Christi, dem vollkommenen Vorbild aller auserwählten, machen soll.

Anmerkungen zu: Jesu Auftrag und die Aufgabe des Heiligen Geistes

(1) Joh. 5, 37: „Der Mich gesandt hat, der Vater, – Er selbst hat Zeugnis von Mir gegeben.“
(2) Joh. 5, 30: „Ich suche nicht Meinen Willen, sondern den Willen Dessen, der Mich gesandt hat.“
(3) Joh. 17, 4. 6.
(4) Joh. 19, 30.
(5) Mark. 16, 19.
(6) Vgl. Joh. 17, 3: „Das aber ist das ewige Leben: daß sie Dich erkennen, den einzigen wahren Gott, und den Du gesandt hast, Jesum Christum.“
(7) Joh. 16, 14.

 

Erster Punkt

Man muss Heiligen Geist einatmen

Für das leibliche Leben gibt es die Atemluft

Es gibt im Menschen zweierlei Leben, das der Seele und das des Leibes, das leibliche und das geistige Leben.
Eine unerläßliche Bedingung für unser leibliches Leben ist die Luft, in welcher wir leben, die Luft, die uns umgibt und in unsere Organe eindringt. Ohne diese Luft würden wir sterben. Jedes lebende Wesen stirbt, sobald ihm die Luft ganz abgeschnitten wird. Keine Bewegung, keine Tätigkeit ist mehr möglich, wenn die Luft nicht mehr in unsern Körper eindringt. Das gilt für den Menschen und für alle Wesen, deren Existenz den nämlichen Gesetzen, welche unsere Existenz bedingen, unterworfen ist.

Für das geistige Leben gibt es die geistige Luft

Nun gibt es für unser geistiges Leben eine ganz geistige Luft, die wir notwendig einatmen müssen, wenn wir dieses kostbare Leben erhalten wollen. Diese Luft ist der Heilige Geist.

Es ist zu bemerken, daß in der heiligen Schrift das lateinische Wort „spiritus“ sowohl dient zur Bezeichnung der Luft, welche die Lebensbedingung für unsern Leib ist, als auch zur Bezeichnung des Heiligen Geistes, der unserer Seele das Leben gibt. Dasselbe Wort umfaßt beide Begriffe, beide Vorstellungen.

Der Heilige Geist belebt die Kirche

Seit jenem ersten Pfingstfest nun belebt der Heilige Geist, welcher der Kirche das Leben gab, beständig diese Kirche, indem Er sie stets mit Seinem göttlichen Hauche beseelt. Durch die Wirkung des Heiligen Geistes lebt die Kirche, spricht und wirkt sie; durch Ihn kämpft sie, durch Ihn triumphiert sie: an demselben Tage, an welchem der Heilige Geist Sich zurückziehen würde, wäre die Kirche nur mehr ein Leichnam.

Der Heilige Geist belebt die Seele

Ebenso verhält es sich mit unserer Seele. Als der hl. Paulus sprach: „In Ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (1), da redete er zweifelsohne von der Unermesslichkeit Gottes, in die wir eingetaucht sind wie in einen uferlosen Ozean; aber für den geistlichen Menschen liegt in diesen wunderbaren Worten ein noch weit höherer Sinn.

Das übernatürliche Leben, das Leben der Gerechten ist die Bewegung, die Existenz in dem heiligen Geist oder vielmehr durch den heiligen Geist; wenn eine Seele diese göttliche Atmosphäre verlassen würde, wenn sie heraus ginge aus dem Heiligen Geist, wenn sie von ihm getrennt wäre, so würde sie das Leben, die Bewegung, ja das Dasein verlieren, d. h. das Leben der Gnade, die übernatürliche Bewegung, das Dasein, welches den Kindern Gottes eigen ist.

Eine Seele ohne den Heiligen Geist ist tot

Eine Seele, welche den heiligen Geist nicht in sich hat, nicht mehr in Verkehr mit Ihm steht, kann zwar Werke üben, welche den Anschein des Guten haben; aber es fehlt ihnen das Lebensprinzip, das der Heilige Geist allein ihnen geben kann: es sind nur die Bewegungen eines toten, die eine ganz andere Ursache, als das Leben haben. Wer kennt nicht jene aus allerlei Stoffen verfertigten Figuren, die Menschen darstellen, und die man bewegt durch verborgene Federn? Es gibt Christen, welche gar nicht Anderes sind. Man berührt eine unsichtbare Feder, welche man Laune, Gemütsart, Geschmack, Charakter, Eigenliebe, Sinnlichkeit nennt – und man setzt sie in Bewegung. Sie fallen auf die Knie, sie stürzen in einen Beichtstuhl, sie erscheinen am Tisch des Herrn, sie laufen nach der Wohnung des Armen; man sollte sagen, sie seien voll Leben. Das ist ein Irrtum; gerade das Leben mangelt ihnen. Diese Seelen leben außerhalb der göttlichen Atmosphäre, welche der Heilige Geist ist; wenn du mit denselben über Ihn reden wolltest, so würden sie dir vielleicht mit jenen Jüngern von Ephesus antworten: „Wir haben nicht einmal gehört, daß es einen Heiligen Geist gibt!“ (1)

Der liebe Gott macht diese wichtige Unterscheidung zwischen den Christen, und ebenso, wie wir eine sich frei bewegende Puppe leicht von einem lebendigen Menschen unterscheiden würden, so unterscheidet Er die fromme Seele, welche der Heilige Geist belebt und lenkt, von der weltlichen Seele, welche Seinem durchdringenden Blick nur ein Scheinbild von Christentum und Tugend ist.

Diese Sätze sind ebenso klar, ebenso einleuchtend, wie die einfachsten Wahrheiten, die Niemand bezweifelt.

Wie soll mein Verhalten beschaffen sein?

Wie soll nun aber mein Verhalten in Bezug auf den heiligen Geist beschaffen sein? David wird mir antworten:
„Ich öffne meinen Mund und atme ein die Luft.“ (2)

Diese Worte enthalten eine große Lehre.

Zunächst ist der vom königlichen Propheten gebrauchte Ausdruck nichts anderes als die Auseinandersetzung der Lehre, welche soeben dargelegt wurde. Die Luft einatmen heißt die äußere Luft in seine Brust einziehen. Derjenige, welcher nicht mehr atmet, hat aufgehört zu leben; die äußere Luft wird nicht mehr aufgenommen in das Innere, noch wieder nach Außen zurück gesendet: das organische Leben hat ein Ende.

David meint aber noch etwas Anderes, als dieses ganz materielle Leben; vor Allem sehnte er sich nach dem übernatürlichen Leben, dem Leben des Herzens. In der Inbrunst seines Gebetes ruft er aus:
„Ich öffne meinen Mund und atme ein – den Geist!“

Meine Seele muss beständig den Heiligen Geist einatmen

Nichts ist so sehr geeignet, uns die Lebendigkeit der heiligen Begierden verständlich zu machen, wie diese bildliche Redeweise. Doch lassen wir den hl. Augustinus sprechen.

Was anders wünschte der Prophet“ – ruft dieser berühmte Kirchenlehrer aus – „als die Beobachtung des göttlichen Gesetzes? Aber in seiner Schwäche und in seiner Niedrigkeit fand er nichts, was zu großen und mächtigen Dingen geeignet war. Da öffnet er den Mund, um in sich aufzunehmen, was zur Erfüllung des göttlichen Willens unumgänglich notwendig ist; von brennendem Durst gequält, atmet er den Geist ein, welcher gut ist, um vermöge dieses Geistes zu etwas im Stande zu sein, was er aus sich selbst nicht konnte, nämlich zur Beobachtung eines gerechten, guten und heiligen Gesetzes.“ Das ist mein Vorbild! Wenn ich will, was David und nach ihm alle Heiligen gewollt haben – die Erfüllung des Willens Gottes in mir -, so muss meine Seele beständig den heiligen Geist einatmen, wie meine Brust die äußere Luft einatmet.

Das ganze geistliche Leben besteht in der Erkenntnis und Liebe der Wahrheit. Das übernatürliche Licht und die Liebe sind uns unumgänglich notwendig. Wie es nun sicher ist, daß der Heilige Geist die Aufgabe erhielt, den Seelen dieses Licht und diese Liebe mitzuteilen: so ist die Aufnahme des Heiligen Geistes in unser Herz, Seine beständige Einatmung durch heilige Anmutungen, durch alle Herzens-Erhebungen, das sichere Mittel, Ihn nie zu verlieren, in Ihm zu leben, von Seiner Wesenheit durchdrungen zu sein, so wie unser Leib in der Luft lebt und von derselben ganz durchdrungen ist.

Anmutung

Wehe mir, wenn ich diese wichtigen Wahrheiten nicht begreife! Ich werde zwar leben, das ist wahr, aber welch` ein Leben! Ein ganz natürliches Leben, das ganz sinnliche Leben der Weltmenschen; ich werde nicht mehr das Leben Gottes haben! …

Anmerkungen zu: Man muss Heiligen Geist einatmen

(1) Act. 19, 2.
(2) Ps. 118, 131

 

Zweiter Punkt

Man muss in Heiligem Geist leben

Die Wirkungen der Luft für den Leib

Kann man sich wohl einen glücklicheren Zustand denken, als die einer Seele, die nur das Leben Gottes lebt, weil sie ganz versenkt ist in jene göttliche Atmosphäre, welche man „Heiligen Geist“ nennt, weil diese himmlische „Luft“, die dem Munde Gottes entströmt, seinen Verstand und sein Herz überflutet? Um einen einigermaßen richtigen Begriff hiervon zu haben, müssen wir auf jenen Vergleich zurückkommen, welcher auf der Redeweise des Heiligen Geistes Selbst fußt.

Welche Wirkungen hat die Luft, welche wir einatmen, und in welche wir gleichsam versenkt sind, wie die Fische ins Meer? Die erste dieser Wirkungen besteht in dem Genuss des wunderbaren Schauspiels, welche die Natur mit ihren zahllosen Abwechslungen in Formen und Farben unseren Blicken darbietet. Sperre einmal die Luft ab, welche die Strahlen der Sonne durchdringen, und du wirst in demselben Augenblick der Schönheit dieses Schauspiels beraubt sein. Alle Lichtwirkungen, die uns hinreißen bei der Betrachtung der sichtbaren Welt, haben wir dem Luftkreis zu verdanken, welcher unsern Planeten umgibt.

Ein Vergleich zur Wirkung des Heiligen Geistes

Nun verhält es sich aber ebenso auf übernatürlichem Gebiet. Alles, was es in Gott, in Jesus Christus, in den erhabenen Geheimnissen der christlichen Religion Schönes und Entzückendes gibt, kann nur von einer Seele erkannt werden, welche der Heilige Geist umgibt und durchdringt: Das legt den Unterschied klar, welcher besteht zwischen den sinnlichen, weltlichen, und den wahrhaft geistlichen Seelen. Diese brauchen nur auf Jesum Christum in einem Seiner Geheimnisse hinzuschauen, brauchen nur eine Zeile Seines Evangeliums zu sehen, um in heilige Verzückungen zu geraten und unaussprechliche Gefühle der Wonne zu empfinden. Die anderen haben nichts gesehen; sie werden erst dann die Herrlichkeiten der geistigen Welt zu genießen anfangen, wenn sie den heiligen Geist eingeatmet und in Sein Licht sich versenkt haben.

Wenn so die Luft notwendig ist für unsere Augen, so ist es aber nicht weniger für die anderen Sinne unseres Körpers. Ohne sie gibt es keinen Ton mehr, der unsere Ohren ergötzte, ohne sie kann man nicht mehr die menschliche Sprache verstehen. Ohne die Luft besteht der Geruch nicht mehr, und der süße Wohlgeruch, welchen die Blumen verbreiten, wird uns gänzlich unbekannt. Endlich verliert jedes einzelne unserer Organe augenblicklich seine Fähigkeiten, wenn es aufhört, in Verbindung zu sein mit der Luft, die es umgibt. Unser ganzer Leib ist gelähmt und regungslos, wenn man ihm diese wesentliche Lebensbedingung entzieht.

Wenn sich der Heilige Geist aus der Seele entfernt

Das ist ein treues Bild dessen, was mit unserer Seele vorgeht, wenn der Heilige Geist Sich von ihr entfernt, und sie nicht mehr das Leben Gottes lebt; die harmonischen und göttlichen Töne des ewigen Wortes, welche den Gerechten erfreuen, in diesem traurigen Tränentale, der süße Wohlgeruch, welchen das Leben des Heilandes und Seiner heiligen Mutter aushauchen, die freudigen Regungen der Hoffnung und der Liebe, welche der Heilige Geist veranlaßt – Alles verschwindet, und du siehst nichts mehr vom übernatürlichen Leben, von dem so reinen und süßen Leben, welches die Auserwählten auf dieser Erde führen; der Geschmack am Himmel und an den göttlichen Dingen besteht nicht mehr.

Der Heilige Geist in den Gerechten

O, wie viele dieser unglücklichen Seelen kenne ich! Aber auch wie viele andere, welche nie aufhörten, mit den reinen Freuden sich zu berauschen, welche das Wort Jesu Christi verschafft und die Beispiele, welche Er den Menschen hinterlassen hat! Wie viele Gerechte kenne ich, die mit Wonnegefühl sich an den göttlichen Wohlgerüchen laben, welche das Andenken an Jesus Christus und Seiner heiligen Mutter in der Kirche verbreitet! Es gibt noch solche Gerechte, die lebensvoll sind, die strahlen von ewiger Jugend, und deren himmlische Kraft mit den Jahren zu wachsen scheint! Man möge diese Seelen fragen, was sie erhält, was sie belebt, was sie zu allen Arten des Guten befähigt; sie werden mit David antworten: „Ich öffne den Mund meines Herzens, und atme beständig ein den Heiligen Geist!“

Man kann die Dinge oft sehr schlecht sehen, ohne daß man der Luft beraubt ist; man kann sich in einem unangenehmen Zustande befinden, der allen Genüssen entgegen ist, welche die Luft unseren Sinnen bietet. Es ist sehr schlimm, wenn die Luft verdorben ist; die Verdorbenheit der Luft erzeugt alle Krankheiten.

Viele Christen atmen verdorbene Luft ein

Nun gibt es aber viele Christen, die eine verdorbene Luft einatmen. In der Welt beschäftigt man sich wohl mit Gott, mit der Religion, mit bestimmten guten Werken: aber die Welt verdirbt Alles, was sie berührt; auch die Grundsätze, welche man in Dingen der Frömmigkeit und der Tugend von ihr empfängt, haben auf die Seele denselben Einfluß, welchen eine schlechte, verdorbene Luft auf unsern Leib ausübt. Dieser Einfluß ist beklagenswert; er besteht in der Vergiftung des Herzens, das die Quelle des Lebens ist

Um einer solchen Gefahr zu entgehen, muss man Gott und die Gerechtigkeit aufrichtig suchen, muss man Hunger und Durst haben nach der Gerechtigkeit (1). Nun teilt der Heilige Geist allein Gott und die Gerechtigkeit mit; der Heilige Geist allein gibt die Erkenntnis der Wahrheit und lehrt uns dieselbe vom Irrtum unterscheiden.

Anmutung

O wie werde ich gar eifrig bemüht sein, den Heiligen Geist herab zu flehen, Ihn mit allen Mitteln, die der liebe Gott in meine Macht gegeben, in mich hinein zu ziehen! Mein Gott, gestatte nicht, daß ich jemals diesen Entschluss vergesse! –

Anmerkungen zu: Man muss in Heiligem Geist leben

(1) Act. 19, 2.
(2) Ps. 118, 131.

Dritter Punkt

Man muss Heiligen Geist ausatmen

Beispiele für das Ausatmen des Heiligen Geistes

Unsere Brust atmet aus, wenn sie die Luft heraus stößt, welche sie eingeatmet hatte. Diese Bewegung in uns ist beständig; es ist eine doppelte Handlung, welche das Vorhandensein des Lebens beweist und deren gänzliches Aufhören der Tod ist.

Man begreift leicht, was man unter den Worten „Ausatmen von Heiligem Geist“ zu verstehen hat. Was kann eine Seele, die voll vom lieben Gott ist, nur hervor bringen? Offenbar nur übernatürliche Taten, die Gott ähnlich sind, die gewissermaßen Seine Natur haben.

Wir lesen im ersten Buch Mosis, daß, nachdem Gott der Herr den Menschen aus Erdenlehm gebildet, Er in sein Angesicht den Odem des Lebens hauchte, und der Mensch ward zum lebenden Wesen; und der hl. Johannes berichtet, daß Jesus Christus nach Seiner Auferstehung Seine Apostel anhauchte und zu ihnen sprach: „Empfanget den Heiligen Geist“ (1): Er atmete auf sie den Heiligen Geist aus; welcher in Ihm war. Die Kirche ahmt diese Handlung des Heilandes in den Zeremonien nach, welche die Taufe begleiten: der Priester haucht den Täufling an und spricht: „Fahre aus von diesem Kinde, böser Geist, und mache Platz dem Heiligen Geiste!“ (2) Der Heilige Geist wird uns also mitgeteilt durch das hl. Sakrament der Taufe, wir erhalten durch Ihn ein neues Leben, das Leben Jesu Christi. Demzufolge ist es leicht zu begreifen, daß alle unsere Gedanken, all` unsere Gefühle und eben darum auch unsere Sprache unsere Mitbrüder an die Gedanken, die Gefühle und die Sprache Jesu Christi erinnern werden -: wir werden aushauchen auf sie den Geist Jesu Christi Selbst! –

Schreibt nicht der hl. Paulus: „Christi Wohlgeruch sind wir“ ? (3) Was will nun damit der Weltapostel Anderes sagen, als daß wir um uns einen geistigen Wohlgeruch verbreiten, der die Seelen erfreut und sie durchdringt? –

Die Seele welche den heiligen Geist ausatmet

verbreitet einen Geruch des Lebens

Die Seele atmet Gott aus durch ihre Rede, welche ganz himmlisch ist; durch die verschiedenen Bewegungen und Eindrücke, welche sie ihrem Leibe beibringt; durch die Bescheidenheit, die sie der Stirne mitteilt; durch das göttliche Feuer, vermittelst dessen sie die Augen verschönert; durch eine Summe von Dingen, welche Jedermann fühlt, und die man sehr schwer erklären kann.

Die Heilige Schrift wiederholt oft diese Ausdrücke: „Gott nahm dieses Opfer auf als lieblichen Wohlgeruch“; „der Rauch des Räucherwerks stieg zu Gott empor wie ein lieblicher Wohlgeruch“. zweifelsohne ist dieses eine bildliche Redeweise. Aber sie ist sehr geeignet, um verständlich zu machen, was eine Seele ist, welche den Heiligen Geist ausatmet.

Der hl. Paulus sagt, daß die Einen einen Geruch des Todes, die Anderen eine Geruch des Lebens verbreiten. (4) Ganz gewiß kann ein Mensch, welcher nur den verdorbenen und verpesteten Geruch der Welt und der groben Vergnügen des Fleisches einatmet, auch nur einen pestartigen Geruch, einen Geruch des Todes über seine Mitbrüder verbreiten. Wenn manche Personen ein Haus verlassen, sollte man die Engel herbei rufen, und sie bitten, mit ihren goldenen Weihrauch-Fässchen zu kommen, um an diesem Ort, wo die Luft für die Seelen verpestet ist, einige himmlische Weihrauch-Körnlein zu verbrennen, und so die süßen Wohlgerüche der Reinheit wieder an diese Orte zurück zu führen.

verbreitet den Wohlgeruch des Himmels

Vergleichen wir aber mit einer solchen Person, die nur den starken und unangenehmen Geruch des Todes verbreitet, die christliche und fromme Frau, die Jungfrau, deren Stirne rein und heiter, und deren Sprache ganz himmlisch ist -: atmet man in ihrer Nähe nicht einen süßen Wohlgeruch ein? Christi Wohlgeruch, von welchem der Apostel spricht, hat sich verbreitet, wie jene Salbe, welche Magdalena über die Füße des Heilandes ausgoß, und deren Wohlgeruch das ganze Haus des Pharisäers erfüllte.

Es gibt Seelen, deren Atem verderblich ist, er verpestet die Luft. Es gibt andere, deren Atem den Wohlgeruch Gottes, Jesu Christi, den Wohlgeruch des Himmels verbreitet. –

teilt das Reine und Himmlische mit

Heiligen Geist ausatmen heißt also, das Gute, das Süße, das Reine, das Himmlische, was man in sich hat, mitteilen. Maria, die Mutter Jesu, atmete Heiligen Geist aus; die, welche sie gesehen und gehört hatten, waren erfüllt vom lieben Gott. Die Apostel atmeten Heiligen Geist aus. Das erste Mal, als man sie sah und ihre Rede hörte, ward man erfüllt vom Geiste Gottes. Wenn man heute noch, nach 1800 Jahren, ihre Schriften liest, empfindet man den Geruch des Heiligen Geistes, und wird ganz von demselben durchdrungen.

Heiligen Geist ausatmen heißt also, Ihn seinen Brüdern mitteilen durch einen ganz übernatürlichen Hauch, einen ganz übernatürlichen Atem; es heißt, um sich er einen Geruch des Lebens verbreiten, mit balsamischen Düften die geistige Luft erfüllen, d. i. die Seele, das Herz, an welches man sich wendet, mit welchem man in Verbindung tritt. Kann ich von mir sagen, daß ich diese Wirkung hervor bringe?

Können alle Personen, mit denen ich geschäftlich oder freundschaftlich verkehre, mir dieses Zeugnis geben? Können sie bei meinem Weggehen glücklich sein und sagen: „Der liebe Gott ist hier durchgekommen! Das Feuer der Liebe, die Liebe zur Unschuld, der Geist des Evangeliums ward auf uns gehaucht und ausgeatmet: wir sind davon durchdrungen, und wir nehmen in uns einen Wohlgeruch wahr, der uns soeben mitgeteilt wurde“? –

Anmutungen

O Heiliger Geist! Du allein kannst mich diese göttliche Kunst lehren, Dich in die Seelen einzuführen! Ach, meistens atme ich einen Geist der Eitelkeit, des Zornes und des Neides auf meine Mitbrüder aus! Also Das müssen sie von mir erwarten nach all` den Gnaden, mit denen Du mich beglückt hast? – Nein, mein Gott, nein, ich will nicht mehr den Geruch des Todes unter Deine Kinder tragen, sondern ich will unter ihnen stets einen Geruch des Lebens zurücklassen, der sie besser macht: Das tue ich, indem ich sie anhauche wie Jesus Christus, um ihnen den Geist der Gnade und der Heiligkeit mitzuteilen! …

Anmerkungen zu: Man muss Heiligen Geist ausatmen

(1) Joh. 20,22
(2) Exi ab eo, immunde spiritus, et da locum Spiritui Sancto Paraclito!
(3) 2. Kor. 2, 15-16
(4) ebd.

aus: F. X. Coulin, Apostol. Missionar und Ehrendomherr von Marseille, Der Heilige Geist Betrachtungen, 1881, S. 141-159

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