Die Gebote der göttlichen Tugenden – Die Liebe
Drittes Kapitel
Die Tugend der Liebe
Die Liebe ist eine übernatürliche, eingegossene Tugend, durch die wir Gott als das höchste Gut um seiner selbst willen lieben und um seinetwillen auch uns selbst und den Nächsten.
Erster Artikel
Die Gottesliebe
I. Die Pflicht
einen Akt der Gottesliebe zu erwecken, besteht manchmal necessitate medii, öfters noch necessitate praecepti.
1. Necessitate medii ist jeder Erwachsene verpflichtet, einen Akt der Gottesliebe zu erwecken, weil er sonst keine Mittel hat, die Rechtfertigung zu erlangen.
Andere Mittel sind außer dem Martyrium noch Taufe und Bußsakrament, bei denen übernatürlich unvollkommene Reue zur Erlangung der Rechtfertigung genügt.
2. Necessitate praecepti ist man zu einem Akt der Gottesliebe verpflichtet, sobald man den Gebrauch der Vernunft erlangt hat; ferner wenn man den Gnadenstand nötig hat, ihn aber nicht durch ein Sakrament erlangen kann; ebenso wenn man eine Versuchung sonst nicht überwinden kann. Auch muss man öfters im Leben einen Akt der Gottesliebe erwecken.
Den Gnadenstand hat man nötig, z. B. wenn man in Todesgefahr ist, oder wenn man ein Sakrament spenden oder ein Sakrament der Lebenden empfangen soll. – Wie oft man im Leben einen Akt der Gottesliebe erwecken muss, steht nicht fest; übrigens erweckt jeder, der christlich lebt und sich vor der Todsünde hütet, von selbst wenigstens virtuell häufig Akte der Liebe.
II. Direkte Sünden
gegen die Gottesliebe kann man begehen durch Unterlassung des vorgeschriebenen Liebesaktes und durch Haß gegen Gott.
Durch Haß gegen Gott sündigt man, wenn man Abscheu gegen Gott hat, weil er z.B. die Sünde verbietet und bestraft oder weil er Leiden zuläßt; ferner wenn man Gott feindlich gesinnt ist, ihm Böses wünscht, wenn man wünscht, Gott möchte nicht existieren, nicht allwissend oder gerecht sein, wenn man aus Abneigung gegen Gott daran arbeitet, das zu zerstören, was Gott Ehre macht, z. B. durch Verfolgung und Unterdrückung der Kirche.
Zweiter Artikel
Die christliche Selbstliebe
I. Die Notwendigkeit
der theologischen Selbstliebe ergibt sich aus dem Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Matth. 22,39).
Außerdem ergibt sich die Notwendigkeit der christlichen Selbstliebe aus der Tatsache, daß derjenige, der Gott liebt, von selbst auch alles liebt, was Gott gehört, und worin dessen Vollkommenheiten ihm entgegen treten.
II. Betätigt
wird die Selbstliebe dadurch, daß man sich um übernatürliche, geistige Güter bemüht, ferner um Güter, die nötig sind zur Erhaltung unseres leiblichen Lebens und um äußere Glücksgüter.
Dabei aber müssen wir nicht immer aus dem Motiv der theologischen Selbstliebe handeln, da ja auch die natürliche Tugend der Selbstliebe ihren sittlichen Wert behält.
III. Sünden
gegen die Selbstliebe werden begangen durch Egoismus und durch Haß seiner selbst.
Durch Egoismus sündigt man, wenn man z. B. das eigene Wohl der Ehre Gottes oder dem allgemeinen Wohl vorzieht; durch Haß seiner selbst, wenn man nicht in vernünftiger Weise für Leib und Seele sorgt. Eigentlich ist jede Sünde auch eine Sünde gegen die geordnete Selbstliebe, aber gerade weil dies selbstverständlich ist, braucht man sich darüber nicht eigens anzuklagen. –
aus: Heribert Jone OMCap, Katholische Moraltheologie, 1931, S. 102 – S. 104