P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
Die den Hauptsünden entgegen gesetzten Tugenden
Die christliche Tugend der Freigebigkeit
2. Dem Geiz ist die Freigebigkeit entgegen gesetzt. Diese Tugend besteht darin, daß man bereit und geneigt ist, mit seinem Vermögen den Hilfsbedürftigen beizustehen oder zu andern löblichen Zwecken beizutragen. Sie hält demnach die Mitte zwischen Geiz und Verschwendung, indem sie einerseits die Begierde nach zeitlichen Gütern mäßigt und die unordentliche Anhänglichkeit an dieselben nicht aufkommen läßt, anderseits aber auch weit entfernt ist, die zeitliche Habe unverständiger Weise zu vergeuden. Der Freigebige sorgt zwar für sein Vermögen, aber nicht anders als nach der Vorschrift christlicher Klugheit; auch liebt er dasselbe nur als ein Mittel zur Erreichung guter, dem Christen angemessener Zwecke.
Die Freigebigkeit verleiht dem Menschen eine besondere Ähnlichkeit mit Gott, der alle Geschöpfe mit den Gaben seiner Güte überhäuft. Wie Gott, so ist auch der Freigebige „reich für alle“, die seiner Unterstützung bedürfen. Sieht er einen Armen, so spendet er ihm mit Freuden Almosen, der Weisung gemäß, die der fromme Tobias (4, 9) seinemSohn erteilte: „Hast du viel, so gib reichlich; hast du wenig, so gib auch von dem Wenigen gern.“ Gilt es die Errichtung einer gemeinnützigen Anstalt, die Gründung eines bleibenden Werkes der Barmherzigkeit, die Erbauung einer Kirche oder die Unterstützung eines sonstigen guten Werkes, so ist der Freigebige gern bereit, sein Scherflein beizutragen. Vermag er nicht wie Salomon einen Tempel zu bauen, so opfert er gleich der Witwe im Evangelium eine geringe Gabe, aber mit einer Willigkeit und Herzens-Freudigkeit, die in Gottes Augen unvergleichlich wertvoller ist als große Schätze, die man aus weniger edlen Beweggründen hingibt. Die Seligkeit des Freigebigen besteht im Spenden, nicht im Empfangen, und wenn er mit Freude empfängt, so geschieht es, um das Empfangene mit noch größerer Freude den Bedürftigen zu schenken. Durch eine solche Freigebigkeit zeichnete sich der fromme Tobias aus, von dem schon eben die Rede war. Während der assyrischen Gefangenschaft „besuchte er täglich alle seine Verwandten, tröstete sie und teilte einem jeden von seinem Vermögen mit, wie er konnte“. (Tob. 1, 19) So übten auch die ersten Christen die Freigebigkeit in erbaulichster Weise, indem sie ihr Vermögen verkauften und den Erlös zu den Füßen der Apostel nieder legten, damit diese den Bedürfnissen aller abhelfen könnten.
Die christliche Freigebigkeit sucht keinen irdischen Lohn, sie läßt sich sogar durch Undankbarkeit und Verkennung von ihren Liebesspenden nicht abhalten. Sie hat den himmlischen Lohn im Auge und vertraut den Worten des Heilandes, der da sagt: „Gebt, so wird euch gegeben werden.“ (Luk. 6, 38) Gott aber, der sich von seinem Geschöpf an Freigebigkeit nicht übertreffen läßt, pflegt dafür zu sorgen, daß die habe des Freigebigen nicht abnimmt, sondern sich mehrt wie das Öl und das Brot der armen Witwe von Sarepta, die den Propheten Elias gastfreundlich aufnahm. Jedenfalls vergilt der Allerhöchste die mit freigebiger Hand ausgeteilten zeitlichen Güter mit viel kostbareren himmlischen Schätzen, mit Schätzen der Gnade hienieden, mit Schätzen der Glorie im zukünftigen Leben. Deshalb bemerkt der hl. Chrysostomus (Hom. 16 über den Römerbrief) sehr treffen: „Sieh nicht auf das Geld, das du ausgibst, sondern auf die Einkünfte, die du daraus ziehest. Wenn der Sämann sich freut, obschon er ins Ungewisse hinsät, wieviel mehr soll der sich freuen, welcher für den Himmel aussät? Dieser Gedanke ist in der Tat ein mächtiger Beweggrund, von unserm Besitz den Bedürftigen mitzuteilen, soweit unsere Vermögens-Verhältnisse dies nur gestatten; denn alles, was wir für uns behalten, wird die räuberische Hand des Todes uns bald für immer entreißen. Was wir hingegen aus Liebe zu Gott hingeben, das werden wir alles mit überreichen Zinsen in der Ewigkeit wieder finden, um es nie zu verlieren. –
aus: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Ein Hilfsbuch für die Christenlehre und katechetische Predigt, 2. Band Lehre von den Geboten, 1912, S. 388 – S. 389