P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
§ 2. Das heilige Messopfer
Warum ein Speiseopfer im neuen Bund ?
Sollte mit dem Tode Jesu jedes Opfer aufhören?
Nein; es sollte auch im Neuen Bund ein immerwährendes Opfer geben, um jenes, das am Kreuz einmal dargebracht wurde, allzeit zu vergegenwärtigen und uns die Früchte desselben zuzuwenden.
Auch der von Christus gestiftete Neue Bund musste wie der Alte ein Opfer besitzen, welches nicht bloß einmal dargebracht werden, sondern so lange fortdauern sollte, als dieser Bund selbst dauert. So forderte es 1. die Vollkommenheit der christlichen Religion überhaupt; 2. ihre Bestimmung, alle Vorbilder des Alten Bundes zu erfüllen; 3. die ausdrückliche Verheißung Gottes.
1. Die christliche Religion muss alle andern Religionen an Vollkommenheit überragen. Das geht sowohl aus der Göttlichkeit ihres Stifters als auch aus der Erhabenheit ihrer Bestimmung hervor. Nun aber besteht das Wesen einer Religion in ihrer Gottesverehrung, und das Opfer ist als Ausdruck der rückhaltlosen Hingabe an Gott der vornehmste Akt der Gottesverehrung. Daraus folgt, daß überhaupt keine Religion, und am allerwenigsten die christliche als die vollkommenste von allen des Opfers entbehren kann. Wirklich lehrt uns die Geschichte, daß selbst die Heiden das Opfer als den wichtigsten Teil ihrer religiösen Gebräuche betrachteten. Aristoteles, einer der größten Gelehrten des heidnischen Altertums, nennt es ausdrücklich „den vorzüglichsten Bestandteil des für jeden wohl geordneten Staat unentbehrlichen Götterkultus“. Und wie es nie ein Volk gegeben hat ohne jegliche Religion, so hat es auch nie eine Religion ohne irgend welche Opfer.
2. Das Opfer darf in der christlichen Religion umso weniger fehlen, da sie noch die besondere Bestimmung hat, in Wirklichkeit das zu sein, was die jüdische bloß dem Vorbild nach war. Die in Altem Bund angeordneten, gottesdienstlichen Gebräuche sollten nämlich im Neuen Bund nicht einfachhin abgeschafft, sondern vervollkommnet werden; eine Art der Gottesverehrung, die Gott unvergleichlich wohlgefälliger und uns heilsamer wäre, sollte an die Stelle der alttestamentlichen treten. Wenn wir daher sehen, daß im Alten Bund nicht nur ein einmaliges, sondern tägliche, nicht nur blutige, sondern auch unblutige Opfer dargebracht wurden; wenn wir ferner sehen, daß bei manchen alttestamentlichen opfern eine Teilnahme an denselben durch Genuss statt hatte, – so ergibt sich von selbst der Schluss, daß alles dieses auch im Neuen Bund vorhanden sein müsse. Denn, wie öfters bemerkt, dieses alles war Vorbild und Vorbedeutung; es musste demnach im Neuen Testament zur Wahrheit werden. Sollte daher die Wahrheit nicht hinter dem Schatten, das Vorgebildete nicht hinter dem Vorbild zurück bleiben, so musste Gott auch im Neuen Bund durch ein tägliches Opfer geehrt werden, es musste auch der Neue Bund ein unblutiges Opfer besitzen, an dem die Glieder dieses Bundes teilnehmen und so in ausgezeichneterer Weise als die Israeliten Tischgenossen Gottes werden könnten.
3. Überdies hatte Gott ausdrücklich vorher gesagt, daß auch der Neue Bund ein unblutiges, immer dauerndes Opfer besitzen werde. Der Prophet Malachias (1, 10.11) wendet sich im Namen Gottes an die Priester des israelitischen Volkes mit den Worten: „Ich habe an euch kein Wohlgefallen mehr, spricht der Herr der Heerscharen, und nehme kein Opfer mehr an von eurer Hand; denn vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang wird mein Name groß werden unter den Völkern, und an allen Orten wird meinem Namen geopfert und ein reines Speiseopfer dargebracht werden.“ Offenbar spricht hier der Prophet von einem neutestamentlichen Opfer im Gegensatz zu den alttestamentlichen; denn nachdem diese verworfen worden, also nach dem Aufhören des Alten Bundes soll jenes an deren Stelle treten. Das hier vorher gesagte neue Opfer aber soll ein Speiseopfer sein und an allen Orten dargebracht werden. Daraus folgt, daß das Kreuzesopfer nicht gemeint sein kann; dieses war kein Speiseopfer und ist nur an einem Ort dargebracht worden. Es muss demnach im Neuen Bund außer dem blutigen Kreuzesopfer noch ein anderes, unblutiges Opfer geben, das überall auf der ganzen Welt dargebracht wird. –
aus: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Ein Hilfsbuch für die Christenlehre und katechetische Predigt, 3. Band Lehre von den Gnadenmitteln, 1912, S. 161 – S. 163