Pius X. und seine Fürsorge für den Klerus
Ein persönlicher Freund Pius X. sprach ihm einst mit Entrüstung von den Beschimpfungen, die ein modernistischer Schriftsteller gegen das Oberhaupt der heiligen Kirche schleudere. Des Papstes Antwort war ebenso charakteristisch wie das Lächeln, das sie begleitete:
„Nun“, sagte er, „gab er nicht schließlich doch zu, daß ich ein guter Priester bin? Das ist aber das einzige Lob, auf das ich je Gewicht gelegt habe.“
„Ein Mann, der grenzenlosen Ehrgeiz unter dem Deckmantel der Demut birgt“ – so hatte ein wütender Gegner von Pius X. geschrieben. In einem gewissen Sinne besaß Pius allerdings Ehrgeit, einen Ehrgeiz, der ihn ergriffen hatte, als er in der Hauptkirche von Castelfranco vor dem Altar kniete, um die heilige Salbung des Priestertums mit all ihren Wirkungen zu empfangen. Studium, Gebet, Arbeit, Selbstverleugnung, unbegrenzte Hingabe, Nächstenliebe, Armut und völliger Gehorsam gegen die Autorität: all das war in jenem Ehrgeiz einbegriffen. Der Ehrgeiz, als guter, eifriger Priester in den Fußstapfen des Meisters zu wandeln, war sein Leitstern im Leben gewesen; ihm hatte er alles geopfert, und dieser heilige Ehrgeiz, den er in seinem musterhaften priesterlichen Leben verwirklichte, hatte ihn gegen seinen Willen auf den Thron Petri erhoben.
Ein edler und würdiger Klerus sollte, nach den Worten seines ersten Rundschreibens, eines der Mittel sein, um „alles in Christo zu erneuern“, und dadurch die Wunden der Welt zu heilen. „Der Priester ist der Stellvertreter Christi auf Erden“, sagte er bei einer Gelegenheit den Studenten des französischen Seminars in Rom; „er soll die Gedanken Christi denken, seine Worte reden. Sanft muss er sein, wie Christus sanftmütig war, rein und heilig wie sein Herr und Meister; wie ein Stern soll er in der Welt leuchten.“ Für die menschliche Natur sei das nicht leicht, gab er zu; es brauche eine lange Vorbereitung an Studium, Selbstzucht und Gebet. Die geistlichen Waffen müssten dem Kampf wohl angepaßt werden, denn dieser werde schwer und lang sein. „Ein heiliger Priester macht das Volk heilig“, sagte er bei einem andern Anlass, „ein unheiliger Priester ist nicht nur nutzlos, sondern schädlich für die Welt.“
Pius X. verlangte vom Priester nicht allein Tugend, sondern auch Streben nach geistiger Fortbildung. Sein Leben lang hatte er sich die Stunden des Schlafes beschnitten, um mehr Zeit für das Studium zu gewinnen. Unablässig bildete er sich in der Theologie weiter, denn er wollte den gefahrvollen Geistesströmungen der Zeit mit Aussicht auf Erfolg entgegen treten und mit dem scharf geschliffenen Schwert der echt katholischen Lehre gegen alle ihre Widersacher gewappnet sein.
Obwohl seine Gegner nie müde wurden, ihm Unwissenheit und Mangel an Bildung vorzuwerfen, und er selbst die Welt in dieser Ansicht bereitwillig zu belassen schien, so konnten sein reiches Wissen und seine hohe Gelehrsamkeit auf die Dauer doch nicht verborgen bleiben. Wer mit ihm in Berührung trat und seine Leistungen gewahrte, der musste notwendig staunen über die Gedankentiefe, die Wissensfülle, die feine klassische Schulung, das klare Verständnis der Philosophie und Theologie, das ihn auszeichnete. Die weitsichtige und tief schürfende Auffassung von Menschen und Dingen war bewundernswert in einem Manne, der nicht viel gereist war. Mancher Staatsmann äußerte nach einer Unterredung mit Pius hierüber sein Erstaunen. Des Papstes Bewegungen und Umgangsformen waren vornehm, sein Verkehr mit andern unvergleichlich zart und edel. Ein Vertreter der neuen Richtung versuchte es einmal, ihn in eine schwierige philosophische und theologische Streitfrage zu verwickeln. Die unerwartete Festigkeit, mit der der Heilige Vater seinen Standpunkt behauptete, ärgerte ihn. Schließlich verlor er die Geduld. „Mir scheint es unnütz, diese Diskussion fortzusetzen“, rief er aus; „denn ich merke, daß wir uns nie verstehen werden.“ – „Da sind Sie ganz im Irrtum, mein Sohn“, lautete die ruhige Antwort; „wir verstehen einander sehr gut, so gut, daß ich weder Ihnen noch Ihren Unternehmungen meinen Segen und meine Billigung geben kann.“
„Die erste Sorge soll sein, daß wir Christus in denen gestalten, die durch ihr Amt berufen sind, Christus in den übrigen zu gestalten“, sagte der Papst in seinem ersten Rundschreiben. Die Augen auf dies Ziel gerichtet, unternahm er die vor ihm liegende Aufgabe. Die sechs ersten Jahre seines Pontifikates waren vornehmlich Werken gewidmet, die den Klerus und priesterlichen Institutionen betrafen.
Allen italienischen Seminarien wurden gleich lautende Normen für Studium, Disziplin und priesterliche Erziehung gegeben. Von Zeit zu Zeit sollten apostolische Männer, denen gleich dem Papst die Vollkommenheit des Klerus am Herzen läge, die Alumnate sorgfältig inspizieren. Diözesen, die ihre zu unbedeutenden Seminarien nicht auf diesem Fuß erhalten konnten, mussten sie auflösen und ihre Alumnen in gemeinsamen Anstalten vereinigen. Die Bischöfe wurden ermahnt, das Werk durch alle in ihrer Macht stehenden Mittel zu fördern. Große Sorgfalt sollte der Auswahl der Priester-Kandidaten gewidmet werden. Eigene Verordnungen regelten die vor der Weihe abzulegenden Prüfungen. Das Studium der Heiligen Schrift war in den Seminarien mit dem vierjährigen theologischen Kurs zu verbinden; hervorragend begabte Studenten wurden zu höheren Studien auserwählt. Wegen der Tüchtigkeit und Gründlichkeit im Unterricht spendete der Papst der St-Thomas-Akademie in Rom und dem Katholischen Institut in Paris besonderes Lob. Nach gründlicher Ausbildung im Seminar seien die Neupriester für die erste Amtstätigkeit weise anzuleiten, gegen den Rationalismus und die modernen Irrlehren zu wappnen und aufzumuntern, unbeschadet ihrer seelsorglichen Pflichten, die Studien fortzusetzen. Besondere Vorschriften regelten das Verhalten der in Rom weilenden auswärtigen Geistlichen; für den römischen Klerus wurden gemeinsame geistliche Übungen ins Leben gerufen. Durch makellosen Wandel, Unterwürfigkeit jeder rechtmäßigen Autorität gegenüber, geduldige Liebe im Verkehr solle der Priester allen als Muster voran leuchten. Nicht durch bitteren Eifer werde er die Seelen für Gott gewinnen; freilich habe er zu mahnen, zu tadeln, zurechtzuweisen, aber in Geduld; seine Nächstenliebe solle freundlich und gütig für alle Menschen sein, selbst für offenkundige Feinde. „Solch ein Beispiel“, sagte Pius X., „werde weit mehr Macht über die Herzen haben als viele noch so hohe Worte oder Abhandlungen.“ „Die Erneuerung des Klerus“, schrieb der Papst kurz vor seinem goldenen Priester-Jubiläum 1908, „wird das schönste und wohlgefälligste Geschenk sein, das die Geistlichkeit Uns darbringen kann.“
Die schöne Gabe, mit der der Heilige Vater selbst an seinem Jubelfest die katholische Priesterschaft bedachte, bestand in den wundervollen „Mahnworten an den katholischen Klerus“, die er am 4. August 1908 in der Enzyklika Haerent animo penitus veröffentlichte. Das ganze war von väterlicher Liebe durchglüht, und jedes Wort quoll aus seinem Herzen. Die Weisheit und Erfahrung eines im Dienst Gottes zugebrachten Lebens zusammenfassend, stellten diese „Mahnworte“ dem katholischen Klerus der ganzen Welt das Musterbild des „Gottesmannes“, des vollkommenen Seelsorgers vor. Dem eifrigen und beredten Aufruf an den Klerus aller Länder, sich seines hohen Berufes würdig zu erweisen, wahrlich „das Salz der Erde und das Licht der Welt“ zu sein, folgt eine klare und praktische Darlegung der für diesen Zweck notwendigen Mittel. Eifriges und beharrliches Gebet, tägliche Betrachtung der ewigen Wahrheiten, Lesen guter Bücher, besonders der Heiligen Schrift, häufige Gewissens-Erforschung werden allein den Priester befähigen, die für seinen erhabenen Stand würdige Heiligkeit zu erwerben und zu bewahren. Sein Amt muss Wort und Tätigkeit umfassen. „Er sei dessen eingedenk, daß er nicht nur Christi Diener, sondern Christi Freund ist, der ihn auserwählt hat, damit er gehe und viele Frucht bringe.“ Und da Freundschaft innige Verbindung von Geist und Herz voraus setzt, ist es die erste Pflicht des Priesters, Geist und Willen seines Meisters zu erforschen, um sich in allen Dingen ihm anzugleichen. Der Papst besteht auf der Notwendigkeit, sowohl die passiven Tugenden zu pflegen, die den Charakter des Menschen selbst vervollkommnen, als die aktiven Tugenden, die in den Beziehungen zu andern Menschen zu Tage treten. Diese Mahnworte bilden eine vollendete Lebensregel für jeden nach Heiligkeit strebenden Priester.
Abermals empfahl Pius, wie schon so oft, dem Volk die schlichte evangelische Wahrheit zu predigen, lieber als blumige und rhetorische Redekünste zu bieten. Abermals, aber diesmal als Haupt der ganzen Kirche, betonte er die Notwendigkeit eines klaren, schlichten Unterrichts in der christlichen Lehre für Erwachsene und für Kinder, indem er wiederum der Überzeugung Ausdruck verlieh, daß die Zunahme des Unglaubens in der Welt zum großen Zeil der Unwissenheit in der Lehre Christi zuzuschreiben sei. –
aus: F.A. Forbes, Papst Pius X. Ein Lebensbild, 1923, S. 119 -S. 123