Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Origenistische Streitigkeiten
Origenistische Streitigkeiten, ein Sammelname für einen willkürlichen Ausschnitt aus der Geschichte der Kirche, der Theologie und des Mönchtums, in denen Origenes nicht immer den eigentlichen Gegenstand des Streites bildet. Die Streitigkeiten ziehen sich zu 3 Abschnitten um die Jahre 300, 400, 550 zusammen.
1. Abschnitt. Die Schule des Origenes war zu seinen Lebzeiten maßgebend für Katechumenen-Belehrung und Theologie. Die Bischöfe Firmilian von Cäsarea in Kappadokien, Alexander von Jerusalem und Theoktist von Cäsarea schätzten ihn sehr (Eusebius, HE VI 27). Doch schon er selbst musste sich gegen die Verfälschung seiner Schriften (Rufinus bei Hier., Ad Ruf. 2, 18) wehren und wegen einiger (welcher?) Lehren beim Papst Fabian verantworten (Hier., Ep. 84, 10). Gegen die Vorwürfe des Bischofs Nepos verteidigte ihn Dionysius d. Gr. Auf Origenes berief sich Athanasius und schützte ihn (Decr. Nic. Syn. 27). Ferner schätzten ihn Basilius von Cäsarea und Gregor von Nazianz hoch und verteidigten ihn gegen den Vorwurf des Arianismus (Socrates, HE IV 26); sie verfaßten gemeinsam die Philokalia (Florilegien), d. h. Auszüge aus seinen Schriften. Gegen die Angriffe des Methodius von Olympus (Dialog. ) und des Petrus von Alexandria schrieb Pamphilus eine Apologie (Erwiderung auf 9 Vorwürfe). Der Streit blieb literarische Angelegenheit; die Kirche griff nicht ein. Er fand sein Ende durch den Martertod des Methodius, Petrus und Pamphilus unter Maximinus Daza (311/12). –
Den 2. Abschnitt entschieden Hieronymus und Theophilus von Alexandria, nachdem die neuerlichen Gegenschriften des Marcellus von Ancyra (Euseb., Contra Marc. 1, 4) und Epiphanius von Salamis (Haer. 63 u. 64) nicht nachhaltig gewirkt hatten. Nach einem Predigtstreit 394 des Epiphanius (gegen Origenes und des Johannes von Jerusalem (für Origenes) trat Hieronymus, anfänglich Lobredner des Origenes (Ep. 844, 8) auf die Seite des Epiphanius. Bischof Theophilus vermittelte 397 den Frieden. Der Streit, der einen ungünstigen Eindruck erweckte (Sulp. Sev., Dial. 1, 6) und auf unedle Beweggründe zurück geführt wurde, (Socr., HE VI 13), brach erneut und heftiger aus, als Hieronymus und Rufinus wegen ihrer beiderseitigen Übersetzung von De principiis des Origenes sich an den Papst Anastasius wandten, der die Irrtümer dieser Schrift und zugleich den Theophilus (ungünstig beurteilt von Isidor Pelus., Ep. 1 n. 152) wegen Schwierigkeiten mit seinen Mönchen 401 in einem Osterfestbrief Origenes aufs entschiedenste verurteilte, nachdem er ihn auf mehrere Synoden gebannt hatte. Die Mönche, die Origenes verteidigten, flohen zu Johannes Chrysostomus. Dieser, selbst in schwieriger Lage, wurde durch die Umtriebe des Theophilus 403 vorübergehend und 404 endgültig verbannt; schon 402 hatte Epiphanius bei Konstantinopel eine Synode gegen Origenes gehalten, sich bald aber zurück gezogen und war auf der Heimreise 403 gestorben. –
3. Abschnitt. Daß Origenes zu den Streitigkeiten sehr oft nur den Namen hergab, ersieht man daraus, daß streitende religiöse Parteien „Origenisten“ hießen. Daß er teilweise noch in hohem Ansehen stand, bezeugt Vinzenz von Lerin (Commonit. 1, 17). Daß seine Schriften noch fortwirkten, erhellt daraus, daß nach mehr als 100 Jahren der Streit neu entbrannte. Besonders die Mönche der neuen Laura bei Jerusalem studierten sie eifrig. Aus ihnen ernannte Justinian I. den Domitian zum Bischof von Ancyra, den Theodor Askidas zum Bischof von Cäsarea in Kappadokien. Um die Streitigkeiten zu beenden, verwarf Ephräm von Antiochien 542 den Origenismus; Petrus von Jerusalem, von den origenistischen Mönchen zur Gegenwehr aufgefordert, sandte ein schreiben (gegen die Origenisten!) an Justinian, der 543 auf einer Synode in Konstantinopel unter Menas 15 Anathematismen gegen einzelne Lehren des Origenes beschließen ließ, die von Papst Vigilius und allen Patriarchen unterzeichnet, von den Bischöfen der 5. allgemeinen Synode vor deren Beginn noch einmal bestätigt und deshalb später (irrtümlich) dieser Synode zugeschrieben wurden. Die Origenisten spalteten sich in die Isochristen (alle Seelen sind zugleich mit der Christi erschaffen und einander gleich) und die Protochristen (die Seele Christi wurde zuerst erschaffen). Letztere verbanden sich mit den Rechtgläubigen. Auch die Isochristen fügten sich, außer Alexander von Abyla, der abgesetzt wurde. Das kaiserliche Edikt von 543 wurde allenthalben angenommen, womit zugleich das Schicksal der origenistischen Schriften entschieden war, dem auch die Schriften der Origenisten verfielen (z. B. Evagrius Pontikus). –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. IX, 1937, Sp. 780 – Sp. 781