Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Güntherianismus
Güntherianismus, Günthers System unterscheidet sich von der Kirchenlehre (vgl. Denzinger 1655ff, 1801ff (dazu CollLac VII 86a) und 1816ff (CollLAc VII 88a)) besonders in 3 Punkten:
a) Günther wollte durch eine neue Philosophie den modernen Pantheismus überwinden, was die auf die griechische Spekulation begründete (nach Günther „semipantheistische“) Philosophie der Kirchenväter und Scholastiker nicht vermocht hätte. Er will durch philosophische Darlegungen mittels des positiven Vernunftkriteriums auch den Inhalt der göttlichen Offenbarung als notwendig erweisen und die eigentlichen Mysterien der Trinität, Inkarnation usw. bezüglich ihres Warum wissenschaftlich begreifen. Die Offenbarungs-Wahrheiten seien nur in relativem Sinne übernatürlich und sollten allmählich in Vernunft -Wahrheiten übergehen; die kirchliche Lehre könnte infolge des Fortschritts der Wissenschaft neu formuliert werden, die Philosophie sei nicht die Magd der Theologie (Semirationalismus). Günther gelangt so zu einer Vermischung des Übernatürlichen und Natürlichen, will Glauben in Wissen auflösen. – b) Gegenüber der scholastischen Lehre von der intellektiven Seele als substanzialer Form des Menschen stellt Günther einen dem cartesianischen ähnlichen Dualismus zwischen Geist und „Natur“ auf: der Mensch ist eine Synthese von Geist und „Natur“; im Menschen ist eine Geistmonade mit einem höchst organisierten Naturwesen verbunden. Zur Natur gehört auch die menschliche „Seele“, die empfindet, vorstellt und Begriffe (Gemeinbilder) bildet. Das Naturprinzip treibt aus sich die einzelnen Naturwesen hervor. Der Geist ist von der Seele wesentlich verschieden, nicht an den Leib gebunden, unmittelbar von Gott geschaffen, während die Seele erzeugt wird; dem Geist eignet der Wille, der Seele das sinnliche Begehrungs-Vermögen. Vom logischen, begrifflichen Denken, das im Erscheinungsgebiet sich bewegt, ist (wie vom Begriff die Idee) das ideelle ontologische (metalogische) Denken (und Schließen) zu unterscheiden, das von der Erscheinung zum Sein vordringt; damit will Günther die Kantische Scheidewand zwischen Erscheinung und Ding an sich aufheben. – c) Nach Art des ontologischen Gottesbeweises erschließt Günther (wie Descartes) aus dem Selbstbewußtsein die Existenz Gottes als des unbeschränkten und unbedingten Wesens; Gott wird antipantheistisch über die Welt gestellt. Die Welt ist von Gott geschaffen (als Kontraposition, nicht Emanation), die gefallene Menschheit von Christus erlöst (Schöpfung und Erlösung, ebenso eine allgemeine Apokatastasis notwendige Tat Gottes). Günther wollte durch sein dualistisch-philosophisches System (Kreationismus) aufrichtig den Offenbarungs-Glauben stützen gegenüber der rationalistischen und pantheistischen neueren Philosophie, besonders Schellings und Hegels, hat dieser aber in Sprache und Inhalt zu weitgehende Konzessionen gemacht.
Anhänger Günthers: Papbst, Veith, Elvenich, Löwe, Ehrlich, Baltzer, Knoodt, k. Werner, Gangauf, Reinkens, Th. Weber u.a.;
Freunde: J. Görres, Schlüter, Staudenmaier u.a.;
Gegner: Oischinger, Clemens, Fr. Michelis, Dieringer, Hitzfelder, Kleutgen u.a.
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. IV, 1932, S. 748-749