Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Amerikanismus
Amerikanismus, eine durch J. Th. Hecker, den Gründer der Paulisten, propagierte, Ende des 19. Jahrhunderts auch in Europa schriftstellerisch vertretene Reformbewegung innerhalb der katholischen Kirche. Ihr Ziel ist Versöhnung von Kirche und modernem Zeitgeist, negativ durch ein diskretes Zurückstellen des dem Außenstehenden Anstößigen, positiv durch eine möglichst weitherzige Lehr-, Missions- und Konversionsmethode. Bezüglich des Dogmas gilt der Minimismus als Losung, d.h. Ein Mindestmaß an Glaubensforderung, ferner ein gewisser Interkonfessionalismus (Religionsparlament von Chicago 11.- 7.9.1893) und Einschränkung des Prinzips der Autorität in der Kirche. Nach deren hierarchischen Höchstdurchbildung durch das Vatikanische Konzil müsse auch die unmittelbare Leitung der Einzelseele durch den Hl. Geist Betonung finden. Je größer die individuelle Freiheit in Denken, Rede und Schrift sei, desto mehr Anknüpfungspunkte habe die Gnade. Daraus folgen die neuen Moralprinzipien: christliches Volleben durch aktive Tugenden statt der passiven Unterwürfigkeit, Demut, Entsagung; christlicher Aktivismus statt der Passivität des Ordenslebens mit seinen eher hinderlichen als fördernden Gelübden, Pflege der natürlichen Tugenden vor den übernatürlichen statt Kontemplation, Aszese usw. Für das kirchlich-soziale Leben werden Abkehr von allem Konservativismus, humanitäres Schaffen, Förderung der Wohlfahrt der Rasse, Demokratie, betonter Nationalismus, Trennung von Kirche und Staat verlangt. Als Ideal wird die Synthese des Fortschritts und des reinsten Katholizismus aufgestellt.(Bischof Keane, Rektor der kath. Universität Washington, in Catholic World, März 1898) Das amerikanische System wird panegyrisch erhoben.
Der Amerikanismus ist in mancher Beziehung Wegbereiter des Modernismus. Laut war das Echo der Bewegung in Frankreich (Nationalkongresse der franz. Geistlichkeit 1896 in Reims, 1900 zu Bourges; Sillon; Néo-chrétiens) und Deutschland (Reformkatholizismus). Der eigentliche Kampf gegen den Amerikanismus begann nach dem Erscheinen der von Abbé F. Klein eingeleiteten französischen Übersetzung des Lebens P. Heckers (1898), durch die Artikelserie des Abbé Ch. Maignen… Die kirchliche Abwehr der Radikalismen des Systems erfolgte durch das Apostolische Schreiben „Testem benevolentiae“ an den Bewunderer und Förderer der Paulisten, Kardinal Gibbons von Baltimore (22.1.1899; Denzinger 1967/76), das Muster einer klugen Inangriffnahme der heiklen Angelegenheit. Kein Schatten soll fallen auf die besonderen Geistesgaben des amerikanischen Volkes, seine Staatsordnung, seine Gesetze und Sitten. Anlaß zur Verwerfung sei allein die Unmöglichkeit, die Lehre der Kirche irgendwie verschweigen oder beeinträchtigen zu lassen. Änderungen der Disziplin seien allzeit möglich, stünden aber nur der Kirche, nicht einzelnen zu. Christi Tugendwandel in seiner unverfälschten Gestalt bleibe maßgebend für die Wertungen des Tugendlebens überhaupt. Die Zustimmung zum päpstlichen Schreiben erfolgte rasch und uneingeschränkt, besonders vom amerikanischen Episkopat (Msgr. Ireland v. St. Paul), vom Obern der Paulisten und von Abbé Klein.
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. I, 1930, S. 359-360