Heiligenkalender
23. Dezember
Heilige Viktoria, Jungfrau und Märtyrerin
Am heutigen Tage gedenkt die heilige Kirche der heiligen Viktoria. Sie ward im Anfang des dritten Jahrhunderts zu Tivoli in Italien als Kind hoch adeliger christlicher Eltern geboren. Ihre einnehmende Schönheit, ihr munterer Geist, ihre holdselige Freundlichkeit und andere große, natürliche Gaben machten sie bei den Menschen, ihre Tugend und Gottseligkeit aber bei Gott und den heiligen lieb und angenehm. Ihre Eltern versprachen sie frühzeitig einem der reichsten adeligen Jünglinge in Rom, Eugenius, welcher aber ein Heide war, zur Ehe. Viktoria entsetzte sich über dieses Versprechen, und wollte nicht einwilligen aus Liebe zu Jesus und zur Keuschheit. Allein die Eltern stellten ihr vor, daß sie das Gemüt des Eugenius gar leicht einnehmen, ihn von dem Heidentum abziehen, zur Annahme des christlichen Glaubens bewegen und ihn so mit sich in den Himmel führen könnte. Dadurch ließ sie sich überreden und willigte endlich ein. Zu der nämlichen Zeit ihre beste Freundin mit Namen Anatolia ebenfalls von einem heidnischen Jüngling, Titus Aurelius, zur Ehe begehrt. Diese schlug aber das Begehren standhaft ab, obschon ihre Eltern mit Gewalt darauf drangen, aus Furcht, durch die natürliche Liebe zu einem heidnischen Manne im Christentum lauer zu werden und am Seelenheil Schaden zu erleiden, was leichter geschieht, als daß eine Frau einen der Welt anhangenden Mann bekehrt. Titus Aurelius bot alle Kräfte auf, selbe zur Einwilligung zu bringen, aber vergebens. Er ließ daher durch Eugenius, seinen besten Freund, die Viktoria ersuchen, sie solle der Anatolia zureden und selbe zur ersehnten Vermählung mit ihm durch ihre eindringliche Beredsamkeit bewegen. Viktoria versprach, dies zu tun, begab sich deswegen zu Anatolia und stellte ihr vor, was zu dem vorgehabten Ziel und Ende dienlich sein konnte. Unter anderem entdeckte sie auch, ihre vorzüglichste Absicht bei ihrer Verehelichung mit dem heidnischen Eugenius sei die Hoffnung, denselben zur Erkenntnis des wahren Glaubens und zur ewigen Seligkeit zu bringen. Gleiche Hoffnung sei auch bei Titus Aurelius, den Anatolia ebenfalls zum Christentum leicht bekehren könne. Welch ein Trost, sprach sie, für uns, wenn wir zwei Heiden bekehren und in den Himmel bringen.
Als Viktoria ausgeredet, fing Anatolia an, ihr zuerst den betrug des bösen Geistes zu zeigen, der sie unter dem Scheine der Hoffnung, den heidnischen Ehegatten zu bekehren, in große Gefahr setze, von demselben selbst verkehrt, oder wenigstens in dem wahren Glauben irre gemacht und behindert zu werden. Dann erklärte sie ihr den unschätzbaren Wert der jungfräulichen Reinigkeit und offenbarte ihr zugleich, daß sie in der nämlichen Nacht, vor welcher sie das Gelübde der Reinigkeit abgelegt hatte, mit der Erscheinung eines Engels begnadigt worden sei, welcher die jungfräuliche Reinigkeit ein unschätzbares Kleinod, einen unvergleichlichen Schatz nannte und sie zur Bewahrung derselben ermahnte; sie habe nun Jesus zu ihrem Bräutigam erwählt und wolle eher das Leben lassen, als ihm untreu werden. Viktoria solle nun erwägen, ob ihr sterblicher heidnischer Bräutigam dem unsterblichen und himmlischen vorzuziehen sei. Durch diese und andere Reden wurde Viktoria innerlich so bewegt, daß sie ihrer Freundin Anatolia um den Hals fiel und unter Tränen ausrief: „Liebe Freundin! Ich will dasselbe tun wie du; Jesus Christus, dein Bräutigam, soll auch mein Bräutigam sein. Ich danke dir, daß du mir den Betrug des Teufels entdeckt hast, der mich mit der Hoffnung, einen Heiden zu bekehren, beinahe um meine jungfräuliche Reinigkeit gebracht hätte. Nun ist es festgesetzt: ich will als eine Jungfrau leben und sterben.“ Dieser Entschluß beider heiligen Jungfrauen wurde sowohl dem Eugenius als Titus Aurelius ohne Verweilen gemeldet. Wie er aber von ihnen aufgenommen wurde, ist leicht zu erraten. Beide boten alles auf, die Jungfrauen zu gewinnen. Weil aber alles fehl schlug, so begehrten sie von dem Kaiser Decius die Erlaubnis, besagte heilige Jungfrauen aus der Stadt Rom hinweg auf ihre Landgüter zu führen, in der Hoffnung, selbe dennoch endlich zur Einwilligung zu bewegen. Allein auch dieses Mittel war vergebens. Die zwei heiligen Jungfrauen wurden zwar, jede an dem Ort, wo man sie hingeführt, sowohl mit Güte als durch Mißhandlungen eine geraume Zeit zur Verehelichung angehalten; weil sie aber in ihrem Vorsatz, als Jungfrauen zu leben und zu sterben, unbeweglich blieben, wurden sie von jenen als Christinnen bei dem Kaiser angeklagt und auf dessen Befehl auf gleiche Weise getötet. Der Richter stieß ihnen mit Gewalt das Schwert durch den Leib, der heiligen Anatolia am 9. Juli, der heiligen Viktoria aber am heutigen Tage im Jahre 250. –
aus: Wilhelm Auer, Kapuzinerordenspriester, Goldene Legende Leben der lieben Heiligen Gottes auf alle Tage des Jahres, 1902, S. 1028 – S. 1029