Verfolgung und ein glänzender Sieg des heiligen Thomas
Auf der Burg Rocca di Monte St. Giovanni erwartete Gräfin Theodora mit Ungeduld die Ankunft des Sohnes. Schon von weitem erkannte sie das weiße Ordensgewand zwischen den schillernden Rüstungen der Reiter. Die verschiedensten Gefühle bestürmten das Herz der Mutter: Liebe und Stolz, Freude und Zorn. Bis jetzt hatte sie gesiegt, nun wollte sie auch ihren Willen bis zum Ende durchsetzen. Deshalb drang sie in ihren Sohn, das Ordenskleid der Dominikaner abzulegen. Obschon in allen anderen Dingen der Wunsch der Mutter stets für Thomas ein Befehl gewesen war, so weigerte er sich doch jetzt standhaft, ihr in diesem Fall zu gehorchen. Freiwillig und überzeugt von seiner göttlichen Berufung, hatte er das Ordenskleid angenommen; mutig widerstand er deshalb allen Verlockungen. Das väterliche Schloß ward nun zu einem Kerker für den heiligen Jüngling und nichts wurde unversucht gelassen, um ihn zum Wanken und zum Übergang in einen anderen Lebensberuf zu bringen. Welch` eine schwere Prüfung für ihn! Hatte er ja doch bisher seine größte Freude darin gefunden, die Wünsche seiner Eltern zu erfüllen. Seine Seele war durch die mit harter Strenge abwechselnden häufigen Tränen seiner Mutter tief betrübt. Gar heftig war der Kampf der Gefühle im sanften und liebenden herzen des Aquinatenkindes, das zugleich bereits zu den Söhnen des hl. Dominikus zählte.
Auch seinem Vater, dem Grafen Landulf, war alles daran gelegen, den Sohn zum Ablegen des Dominikaner-Ordenskleides zu bewegen; aber auch ihm gegenüber blieb Thomas bei seinem Vorhaben, wodurch er den Zorn des Vaters noch mehr reizte.
Da nun die Eltern weder durch Bitten noch durch Drohungen etwas bei dem Sohn erreichen konnten, versuchten sie ihn durch den Einfluß der schwesterlichen Liebe von seinem Entschluss abzubringen. Aber auch diese Mittel sollten nicht zum Ziel führen. Vielmehr hatten die Unterhaltungen des hl. Thomas mit seinen Schwestern, worin er sich so überzeugend über das große Glück der Nachfolge des Gekreuzigten äußerte, den nicht geahnten Erfolg, daß eine der Schwestern sich für immer von den eitlen Freuden der Welt lossagte und beschloß, gleich ihrem Bruder ihr Leben dem Dienst Gottes zu weihen.
Landulf und Reginald aber konnten die höheren Beweggründe ihres Bruders nicht erfassen. Schon in früher Jugend in das Gefolge des siegreichen Kaisers eingetreten, hatten sie im Kriegs- und Lagerleben vieles von dem Seelenadel verloren, welcher sonst denen von Aquino angeboren schien. Gereizt durch den Widerstand des Bruders, schreckte ihr stolzer Charakter, welcher durch das lange Kriegsleben in Übermut ausgeartet war, selbst vor rohen Gewaltakten nicht zurück. Auf jede mögliche Weise quälten und peinigten sie den Bruder, der standhaft bei seinem Entschluss blieb. Sie zerrissen sein Gewand; Hunger, Kälte und grobe Misshandlungen musste er fast täglich erdulden. Aber der Heilige blieb unter allen diesen Qualen ergeben und geduldig, und demütig bedeckte er sich mit den Fetzen seines Ordens-Gewande. Hatte er doch das dürftige Gewand aus Liebe zu dem armen König von Bethlehem angenommen.
Die Brüder Landulf und Reginald waren blind für die sittliche Größe ihres Bruders, und durch den Umgang mit gottlosen Freunden verwildert, schmiedeten sie einen Plan, welcher an Niedrigkeit und Bosheit nichts zu wünschen übrig ließ. In das Schlossgemach, in welchem ihr Bruder unter Gebet und Studium die Zeit seiner Gefangenschaft verbrachte, führten sie eine feile Dirne, jung, schön und erfahren in allen Künsten der Verführung. Mit dieser Person ließen sie den Heiligen allein. Thomas aber durchschaute bald das arglistige Vorhaben seiner Brüder. Tief beschämt durch einen solchen Bubenstreich, geriet er in heiligen Zorn. Bebend ergriff er ein brennendes Scheit von dem flackernden Herdfeuer, und trieb damit die Verführerin in die Flucht. Dann zeichnete er mit der Kohle des verlöschenden Holzes ein Kreuz auf die Wand seines Gemaches: das Zeichen, worin er gesiegt hatte. Ein Strom von Tränen floß über seine Wangen und, die Seele von Dankbarkeit erfüllt, warf er sich auf die Knie und betete inbrünstig um Kraft und Beistand zu Gott, bis er, überwältigt durch die heftigen Gemütserregungen, in einen tiefen Schlaf versank. Während dieses Schlafes des keuschen Novizen ereignete sich etwas Geheimnisvolles. Einstimmig erzählen die alten Schriftsteller, daß ihn die Engel besuchten; sie beglückwünschten ihn ob seines Sieges, welcher ihn zu einem der Ihrigen machte, umgaben seine Lenden mit einem Gürtel und sprachen: „Wir kommen zu dir im Auftrag Gottes, um dir die Gabe beständiger Jungfräulichkeit zu übermitteln. Diese Gnade wird dir von diesem Augenblick an gewährt.“ Der heilige Diener Gottes war wie lauteres Gold aus dem Schmelzofen der Versuchung hervor gegangen. Inzwischen beteten viele zu dm allmächtigen Beschirmer der Unschuld, auf daß er einen Lichtstrahl in den Kerker des Ordens-Genossen senden möge. Und Er, dessen Allmacht die verschiedensten Ziele durch ein und dasselbe Mittel erreicht, Er, der alles zum Besten seiner Auserwählten zu lenken weiß, ließ aus den mannigfachen Wirnissen das Morgenrot der Befreiung aufsteigen für den zukünftigen König im Reich der Wissenschaft. –
aus: Jordanus Jansen, Ord.Praem., Der heilige Thomas von Aquin, Leben und Lehre des Heiligen dargestellt und dem katholischen Volk, insbesondere der studierenden Jugend gewidmet, 1898, S. 34 – S. 37