Die Mission – eine Welteroberung
Predigt zum ersten Fastensonntag Invocabit
„Den Herrn , deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen.“ (Mt. 4, 10)
Die Versuchung Christi in der Wüste
Andächtige Christen! „Dies alles will ich dir geben, wenn du nieder fällst und mich anbetest.“ So lautet das dritte Versucherwort, das der Teufel an den göttlichen Heiland richtet. Und indem er so spricht, zeigt ihm von einem hohen Berg aus alle Königreiche der Welt und ihre Herrlichkeit. „Dies alles will ich dir geben!“ Ach ja, so konnte derjenige sprechen, in dessen Gewalt und Knechtschaft die ganze Welt geraten war. „Wenn du nieder fällst und mich anbetest!“ Ach, diese Bedingung konnte der stellen, dem die ganze Welt durch den Götzendienst huldigte. Eine ganze Welt für einen Kniefall, wahrlich ein verlockendes Angebot!
Entrüstet weist aber Christus das Angebot von sich. „Weiche zurück, Satan!“ Dieser Kniefall wäre ein Verrat an der Ehre seines himmlischen Vaters, ein Raub an dem Reich Gottes gewesen, das er zu gründen gekommen war. „Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen.“ Gewiß, diese ganze Welt, die ausgebreitet zu seinen Füßen lag, wird ihm einst gegeben werden; aber auf eine andere Weise wird er sie sich erobern. Einen andern Kniefall wird er tun und ihn zweimal wiederholen, verspottet und verhöhnt von den Menschen, gekrönt mit Dornen, beladen mit einem Kreuz. Aber er weiß es, ein anderes Angebot ist dafür ihm von Gott gemacht worden. „Fordere von mir, und ich will dir geben die Nationen zum Erbe und die Enden der Welt zum Eigentum“ (Ps. 2, 8). Am Kreuze wird Christus die Sündenschuld sühnen und Gott die Ehre geben. Und deshalb wird Gott ihn setzen „zum Erden über alles“ (Hebr. 1, 2), „ihm einen Namen über alle Namen geben“ (Phil. 2, 9), ihm alle Gewalt im Himmel und auf Erden verleihen (Mt. 28, 18). Der Kreuzkönig ist der König der Welt. Nicht auf dem Berg der Versuchung, sondern dort, auf dem Berg der Prüfung, auf Golgatha, steht sein Thron. Von hier aus streckt er sein Zepter über den Erdkreis. Von hier aus beginnt die Eroberung der Welt für Christus.
Die Welteroberung Christi von den Apostel übernommen
Diese Welteroberung wurde zuerst von den Aposteln unternommen, dann fortgesetzt von deren Nachfolgern, und diese Welteroberung für Christus wird weiter geführt in unsern tagen durch das Missionswerk. Die Mission führt den glorreichen Kampf für Christus gegen das Heidentum, und jeder ihrer Siege bringt einen Zuwachs dem Reich Christi. An diesem Kampf müssen wir uns alle beteiligen; keiner, der sich mit dem Kreuzzeichen bezeichnet, mit diesem Zeichen des himmlischen Feldherrn, keiner der mit Christi Worten betet: „Zukomme uns dein Reich“, darf sich der Missionspflicht entziehen. Um uns in diesem Pflichtbewusstsein zu bestärken, laßt uns erwägen, daß die Mission
1. eine Welteroberung ist für Christi Recht und
2. eine Welteroberung für der Seelen Heil.
Die Welteroberung für Christi Recht
Andächtige Christen! König sein, und zwar König der ganzen Welt, das ist die hohe Würde, womit der himmlische Vater den göttlichen Heiland auszeichnete.
Als einen König hatten einst die Propheten den Messias geweissagt; er sollte der Erbe von Davids Thron sein, wieder aufrichten sollte er das israelitische Gottesreich in verjüngter Pracht und Größe. Doch nicht mehr sollten Judäas Grenzen die Ausdehnung seiner Macht beschränken, nein, weit darüber hinaus sollte das messianische Königreich sich erstrecken; auch die Heidenvölker im fernstenOsten und von der entlegensten Meeresküste sollte es in sich aufnehmen; ihre Könige sollten dem neuen Herrscher auf Davids Thron huldigen, ihre Macht und Reichtümer ihm zu Füßen legen.
Und der Heiland selbst bekannt sich feierlich als König der ganzen Welt! Wohl sehen wir ihn sich verbergen, als die Volksscharen kommen und ihn in ihrer Augenblicks-Begeisterung zum irdischen König ausrufen wollen. Doch als er von den Juden verklagt wird, er mache sich zum König, und Pilatus an ihn die feierliche Frage richtete: „Bist du der König der Juden!“ da gibt Jesus die Antwort: „Du sagst es; ich bin es.“ Und er gibt auch Aufschluss über sein Königtum und über seine Königswürde: „Mein Reich“, so spricht er, „ist nicht von dieser Welt.“ Nicht um irdische Throne zu stürzen, nicht um weltlichen Fürsten die Krone zu rauben, ist der Heiland in diese Welt gekommen, seine Königsgewalt beschränkt sich nicht auf die Leiber der Menschen, nein, in den Herzen der Menschen will der Heiland herrschen mit seiner Gnade und seiner Lehre, in ihren Herzen will er sich einen Thron errichten; alle Menschen will er durch demütigen Gehorsam unter seine Gebote beugen. Sein Reich besteht in dieser Welt, ja es ist weit größer als irgend ein Reich dieser Erde; doch es ist nicht von dieser Welt; es ist ein Königreich geistiger Natur, das herrschen soll über die Herzen und den Willen seiner Untertanen.
Der Heiland ist König, und damit seine Königswürde in der ganzen Welt verkündet werde, war sein Kreuz überragt von der Inschrift: „Dieser ist Jesus von Nazareth, der König der Juden.“ Ja, andächtige Christen, Jesus Christus ist in Wirklichkeit der verheißene König der Juden, dem die ganze Erde als Erbteil zugefallen ist, dessen Reich keine Grenze kennt, und der Tag wird kommen, an dem alle Völker diese Inschrift verstehen und in demütiger Huldigung anbetend vor ihrem König nieder fallen werden!
Christus hat die Herrschermacht über die ganze Welt
Andächtige Christen! Der göttliche Heiland hat die Herrschermacht über die ganze Welt erlangt; doch er hat sie nicht erlangt ohne schweren Kampf und große Mühen. Die Menschheit lag gefangen in der Knechtschaft Satans, dem ja alle Reiche der Welt gehörten; sie hatte sich verkauft in die Sklaverei der Sünde; sollte also der Heiland über sie herrschen, ihr König sein, so musste er sie befreien und loskaufen. Es war ein blutiger Befreiungskampf, ein schwerer Loskauf. Am Stamm des Kreuzes musste er sein Leben opfern, und mit dem Lösepreis seines kostbaren Blutes kaufte er die Menschheit los aus der Sklaverei der Sünde.
Aber herrlich war auch der Lohn, der ihm von seinem himmlischen Vater zu teil geworden! Mit Ruhm und Herrlichkeit hat er ihn gekrönt. Alle Menschenkinder, so verschieden von Nation und Sprache, die da zerstreut wohnen auf der ganzen weiten Erde, sie alle hat der Heiland durch sein Leiden und seinen Tod dem bösen Feind abgerungen, sie sind jetzt sein, sie bilden seine Siegeskrone, er herrscht über sie. Der Heiland, andächtige Christen, „hat sich selbst erniedrigt, indem er gehorsam ward bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, auf daß im Namen Jesu sich beugen die Knie aller derer, die im Himmel, auf Erden und unter der Erde sind“ (Phil. 2, 8-10).
Die Missionsgeschichte ist eine Leidensgeschichte
Andächtige Christen! Wie einst Christus sein Anrecht auf die Menschenseelen, sein Königtum, mit dem schmerzvollen Kniefall seines bitteren Leidens sich erwerben musste, so ist auch das Missionswerk unserer heiligen Kirche eine Welteroberung unter schweren Opfern. Die Missionsgeschichte der Kirche ist zum größten Teil ihre Leidensgeschichte. Fragen wir uns deshalb, was denn die Kirche eigentlich antreibt, daß sie Jahr um Jahr ihre Missionare hinaus sendet, daß sie ihre besten Kräfte opfert, um Christi Rechte vor den Völkern zu verteidigen? Es ist das Heil der unsterblichen Seelen. Diese Seelen sind das ihr anvertraute Eigentum Christi. Als ersten Grund finden wir den Gehorsam gegen Christi Befehl.
Der göttliche Heiland hat seiner heiligen Kirche den Befehl erteilt, in alle Welt hinaus zu ziehen und alle Menschen durch die Taufe seinem Reich einzugliedern. Dieser Befehl ist der Kirche heilig. Mag er auch viele Opfer und Mühen auferlegen, mag er selbst für viele Glaubensboten zu einem Befehl werden, der sie hinschickt in den Martertod, die Kirche schreckt dennoch vor ihrer Aufgabe nicht zurück. Solange sie besteht, und sie wird bestehen bis zum Ende der Zeiten, wird sie nie dieses heiligen Befehles Christi vergessen. Um das Kreuz, um dieses Königsbanner ihres himmlischen Feldherrn, soll sie die Völker scharen, damit alle es verstehen und es erfassen: Gott, den Herrn, allein anzubeten und ihm allein zu dienen.
Das Missionsrecht ist notwendig zum Heil der Seelen
Ach, wie gering ist die Zahl der Getreuen des Heilandes, wenn wir sie vergleichen mit der großen Zahl derjenigen, die noch dem himmlischen Heereszeichen fern stehen! Hier ein kleine Schar von Christus-Jüngern, und dort ein fast endloses Heer von Götzendienern. Bei diesem Anblick erfaßt es die Kirche mit ungestümer Macht; es drängt sie, hinaus zu eilen zu jenen Unglücklichen und auch sie um Christi Fahne zu scharen. Schmerzlich ist es für die Kirche, wenn sie den göttlichen Heiland, ihren Kreuzkönig, so verlassen von den Völkern sehen muss, während die Götzen umlagert sind von Missionen, die vor ihnen das Knie beugen und ihnen den Tribut ihrer Anbetung darbringen. Ach, sie haben das Wort, das da geschrieben steht, noch nicht gehört: „Gott, deinen Herrn, sollst du anbeten und ihm allein dienen.“ Den Millionen von Heiden dies Wort von der wahren Gottesverehrung zu verkünden und ihnen zu sagen, daß dieser eine, wahre Gott vom Kreuz aus regiert, das ist die brennende Begierde der heiligen Kirche, und deshalb sehen wir sie überall am Werk, dieselben zum Heil ihrer Seelen für Christus zu erobern. Dazu kommt noch ein anderer Grund. Es ist das innige Mitleid mit den armen irrenden Seelen der Heidenwelt.
Andächtige Christen! Die heilige Kirche hat ein warmfühlendes Herz für die traurige Notlage der Heidenwelt, und ihr innigster Wunsch ist es, sie heraus zu führen aus der Nacht des Elendes, hin zum Licht des Reiches Christi! – Wie finster und traurig ist doch das Leben im Reich der Sünde und des Unglaubens! Da strahlt nicht die Sonne der Lehre Christi, die uns dort oben im Himmel einen guten Vater zeigt, einen Vater, der uns alle mit aufrichtiger Liebe umfängt. Da erfrischt den Menschen nicht diese Hoffnung, dereinst nach des Lebens Müh und Leid dort oben im Himmel einen Ort der Ruhe und des Friedens zu finden. Da ist unbekannt jener Friede und jene Eintracht, welche Christi Religion uns lehrt. –
O wie glücklich müssen sich doch alle jene schätzen, die Gott zu Mitgliedern des Reiches seines Sohnes gemacht hat, wo alle wie Brüder in Eintracht beisammen leben unter dem einen Haupt Jesus Christus! Unter seiner gnadenreichen Führung wandern wir durch alle Gefahren und Mühseligkeiten dieses Erdenlebens hindurch und hoffen, dereinst auch im Himmel auf ewig mit ihm vereinigt zu werden. Darum wünscht die Kirche so sehr, daß auch jene armen Heiden recht bald den Weg in das Reich Christi finden. Darum sendet sie ihre Glaubensboten aus, damit das reich Gottes zu ihnen komme. Die Liebe Christi entflammt ihre Streiter mit Heldenmut und drängt sie unaufhaltsam vorwärts in der Eroberung der Welt für Christi Recht und für das Heil der unsterblichen Seelen.
Das Reich Christi ist ein Reich des Friedens
Und wie kämpft unsere Kirche diesen Eroberungs-Kampf? Andächtige Christen! Das Reich Christi ist ein Reich des Friedens. Christus selbst kam als Friedensfürst, um Frieden zu stiften auf Erden, jenen Frieden, der nach langerZeit die Menschen aussöhnte mit Gott, der die Menschen untereinander mit dem heiligen Band der Bruderliebe umschließt. Nicht mit Waffengewalt und unter Schlachtenlärm hat der Heiland hier auf Erden sein Reich gegründet, sondern indem er die herzen der Menschen für sich gewann und für seine Lehre empfänglich machte.
Auch die Kirche ist in ihrer Missions-Arbeit diesem Charakter des messianischen Friedensreiches treu geblieben; auch sie trägt den Frieden hinaus in die Völker und in die Herzen. Friedlich und ohne Waffengewalt vollbringt sie ihr großes Werk der Welteroberung. Sie betreibt keine gewaltsame Unterwerfung unter Christi Herrschaft. Gewaltmittel zählt sie nicht zu ihren Kampfeswaffen. Nein, sie will die Heidenwelt dem Reich Christi einverleiben durch eine Umgestaltung des Geistes und des Herzens. Der Geist soll, erleuchtet durch Gottes Gnade, die Lehre Christi erkennen und umfangen, der Wille soll sich freiwillig beugen unter das Joch der Gebote Gottes; allmählich sollen die Hindernisse fallen, die die Heidenvölker noch von der Herde Christi trennen, bis daß sie endlich in der heiligen Taufe durch das unauslöschliche Merkmal als Anhänger und treue Untertanen Christi gekennzeichnet werden, daß sie endlich das Wort erfassen: „Gott, deinen Herrn, sollst du anbeten und ihm allein dienen.“
Unser Gebet: Zukomme uns dein Reich
Andächtige Christen! Jesus Christus ist unser König. Auf seine Fahne haben wir Treue geschworen. Täglich beten wir auf sein Geheiß: „Zukomme uns dein Reich!“ Als treue Untertanen unseres göttlichen Herrn und Meisters müssen wir deshalb innig wünschen, Christi Reich möge sich immer weiter und weiter ausdehnen. Als Kinder seiner heiligen Kirche müssen wir unsere pflichtbewußte Mitarbeit in den Dienst der Heidenmission stellen; wir müssen als Christus-Streiter uns einreihen unter die Zahl derer, die da arbeiten, um die ganze Welt dem friedlichen Königszepter des Heilandes zu unterwerfen. Und können wir auch nicht wie die Missionare dem Feind selbst auf dem fernen Kampfplatz entgegen treten, so müssen wir doch wenigstens den Kämpfen durch unser Gebet und unser Missions-Almosen jene Hilfsmittel und Unterstützungen darreichen, wodurch sie in der Lage sind, siegreich den heiligen Kampf ausfechten zu können, damit recht bald allüberall Jesus Christus als der König des Himmels und der Erde anerkannt und ihm gehuldigt werde, daß bald allüberall die Völker Gott, den Herrn, anbeten und ihm allein dienen. Amen. (Steph. Dillmann O.M.I.) –
aus: Robert Streit O.M.I., Missionspredigten Zweiter Teil Der göttliche Wille, 1914, S. 34 – S. 42