Betrachtung über die Tugend der Sanftmut

Aphorismen aus dem Tagebuch des P. Rinn SJ

VII. Sanftmut ist die Mischung von Demut und Liebe

Lasse dich, wenn deine Klage auch noch so gerecht scheint, nie zu bitteren Worten hinreißen. – Wenn du selbst trüb, – unruhig, gekränkt bist, o strafe nicht, auch wenn Strenge notwendig scheinen würde. – In Trauer und im innerlichen Schmerz suche deinen Trost nicht sowohl darin, daß dir immer deine Freunde durch besondere Aufmerksamkeit die Bitterkeit versüßen sollen; – nimm es ihnen nicht übel, wenn sie gerade in solchen Augenblicken deinen durch innerliche Gereiztheit allzu hoch gespannten Erwartungen nicht entsprechen. – Viel mehr Erquickung wirst du finden, wenn du in solcher Lage, nachdem du zuerst im Gebet dich gestärkt hast, – deinen eigenen Schmerz – wenn auch nur auf Augenblicke – zu überwinden trachtest, um Anderen irgend etwas Liebreiches zu tun, oder wenigstens zu sagen. Habe deine eigene Schwäche stets vor Augen, so wirst du die der Anderen gern ertragen.

Die Grundsätze, die du in gewissenhafter und sorgfältiger Erforschung und im lebendigen Gefühl deiner eigenen Schwäche erkennst, wende dann auch in Beurteilung Anderer an. Wie oft erfährst du an dir selbst: – „der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch ist schwach.“ – Und du willst, wenn du an Andern irgend eine Schwäche siehst, auch gleich auf Mangel an seinem guten Willen schließen, oder vergißt wenigstens so oft darauf, diesen Unterschied zu machen. – Nicht Alles, was lieblos und treulos erscheint, geschieht deswegen aus Mangel an Liebe. Ach! Wenn Gott mir alle Vergessenheit, Trägheit usw. gleich als gänzlichen Mangel an Liebe anrechnen wollte? –

„Es trage also Einer die Lasten des Andern, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ Gal. 6, 2.

Die Sanftmut besteht nicht bloß in einer milden Sprache, oder in freundlicher Miene noch auch in augenblicklicher Beherrschung heftiger Affekte des Zornes, des Verlangens – usw., sondern in der beharrlichen, aus Einfalt und Demut, Geduld und Liebe hervorgehenden Übung und Geläufigkeit, bei allen Gedanken, Worten und Werken – das Maß und die Waage des Heiligtums anzuwenden – und aus der natürlichen Mischung vom Guten und Bösen in sich und anderen nach Art der Bienen nur das Gute auszusondern, aufzunehmen und hervor zu bringen.

Mir ist oft aufgefallen, warum denn der Heiland gar so dringend und wichtig diese Tugend der Sanftmut von den Seinigen fordert, und obenan stellt, da es beim ersten Anblick scheint, als wäre es gar nichts Ungewöhnliches noch Seltenes; denn manche besitzen diese Eigenschaft schon von Natur durch glückliches Temperament, und oft findet sich diese äußere Sanftmut bei Seelen, von denen man sonst unmöglich behaupten kann, daß sie als Muster der Tugend aufgestellt zu werden verdienen.

Es muss also der Heiland wohl etwas Anderes und Höheres, als man gewöhnlich darunter versteht, gemeint haben, da er sagte: „Lernet von mir, daß ich – sanftmütig bin.“

Die Sanftmut ist nicht bloß eine natürliche Eigenschaft, sondern eine grundsätzlich erworbene, mit heiliger Kunst und Weisheit und Gnade zu Stande gebrachte, – und mit Sorgfalt bewahrte harmonische Stimmung des Gemütes, die im Innern Ruhe schafft und äußerlich rings umher Alles anzieht und erquickt.

Sanftmut ist keine Grundfarbe, sondern Mischung von Demut und Liebe, von Einfalt und Geduld. Sie ist in der Tat eine glückliche Königin, die ihr eigenes Besitztum mit Weisheit, und gegen Außen siegreich Alles durch Anmut, Ebenmaß und Gleichmut beherrscht. Darum heißt es auch von ihr: „Die Sanftmütigen werden das Erdreich besitzen“, nicht bloß nur als ewigen Lohn das Land der Lebendigen, sondern auch hier schon das Erdreich ihres Herzens.

„Wer zu Vorwürfen schweigt, ist Besitzer des Herzens.“ Sprichw. 15, 32.

„O Jungfrau ohne Gleichen, unter allen milde, löse unsere Schulden, und mach` uns mild und keusch.“ –
aus: Friedrich Rinn SJ, Die ewigen Wahrheiten der geistlichen Übungen des heiligen Ignatius von Loyola, 1878, 1. Bd., S. 65 – S. 66 

Tags: Tugenden

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