Abnahme des Glaubens bringt Verirrung hervor

Die Abnahme des Glaubens bringt eine Abnahme der Wahrheit hervor

Abnahme des Glaubens bringt Verirrung der Intelligenz mit sich

Die Abnahme des Glaubens, welche die Abnahme der Wahrheit hervorbringt, hat nicht notwendig die Verminderung, wohl aber die Verirrung der menschlichen Intelligenz im Gefolge. Barmherzig und gerecht zugleich verweigert Gott den schuldhaften Intelligenzen die Wahrheit, aber nicht das Leben; er verdammt sie zum Irrtum, nicht zum Tod. Wir alle haben vor unsern Augen jene so ungläubigen und so hoch kultivierten Jahrhunderte vorbei ziehen sehen, welche auf den Wogen der Zeit eine weniger leuchtende als brennende Spur zurückließen, und in der Geschichte wie im Phosphorlicht glänzten.

Aber richte deinen Blick auf dieselben, betrachte sie aufmerksam, und du wirst sehen, daß ihr Glanz ein Brand ist und ihr Licht nur ein Wetterleuchten. Das Tageslicht, das uns dieselben zeigt, scheint eher von der plötzlichen Explosion an sich dunkler aber entzündbarer Stoffe zu kommen, als aus den reinen Regionen, wo jenes friedliche Licht geboren wird, das sich durch den unübertrefflichen Pinsel eines unübertrefflichen Malers sanft über die Gewölbe des Himmels ausdehnt.

Was von den Jahrhunderten, das kann man auch von den Menschen sagen. Indem Gott ihnen den Glauben verweigert oder bewilligt, verweigert oder nimmt er ihnen die Wahrheit; die Intelligenz gibt er ihnen nicht und verweigert sie ihnen nicht. Die Intelligenz der Ungläubigen kann sehr erhaben, und die der Gläubigen sehr beschränkt sein. Jene ist jedoch nur groß wie der Abgrund, während diese heilig ist wie ein Tabernakel; in jener wohnt der Irrtum, in dieser die Wahrheit. In dem Abgrund herrscht der Tod mit dem Schrecken, in dem Tabernakel das Leben mit der Wahrheit. Darum gibt es keine Hoffnung für jene Gesellschaften, welche den strengen Kultus der Wahrheit gegen den Götzendienst des Geistes aufgeben. Hinter den Sophismen kommen die Revolutionen und hinter den Sophisten die Henker.

Wer die politische Wahrheit besitzt

Derjenige besitzt die politische Wahrheit, welcher die Gesetze kennt, denen die Regierungen unterworfen sind; derjenige besitzt die soziale Wahrheit, der die Gesetze kennt, denen die menschlichen Gesellschaften gehorchen; jener kennt diese Gesetze, welcher Gott kennt; jener kennt Gott, der versteht, was Gott von sich selbst sagt und glaubt was er versteht. Die Wissenschaft, welche diese Affirmationen zum Objekt hat, ist die Theologie.

Daraus folgt, daß jede Affirmation in Bezug auf die Gesellschaft oder die Regierung eine Affirmation in Bezug auf Gott voraussetzt, oder was dasselbe ist, daß jede politische oder soziale Wahrheit sich notwendig in eine theologische Wahrheit umwandelt. Wenn Alles sich in Gott und durch Gott erklärt, und wenn die Theologie die Wissenschaft Gottes ist, in welchem und durch welchen Alles sich erklärt, so ist die Theologie die Wissenschaft von Allem. Ist dies, so gibt es nichts außer dieser Wissenschaft, welche keine Mehrheit hat, weil das All, das ihr Objekt ist, keine hat.

Die politische Wissenschaft und die soziale existieren nur als willkürliche Klassifikationen des menschlichen Verstandes. Der Mensch in seiner Schwäche unterscheidet, was in Gott auf die einfachste Weise vereinigt ist. So unterscheidet er die politischen Affirmationen von den sozialen und religiösen, während es in Gott nur eine einzige unteilbare und höchste Affirmation gibt. Wer, indem er explicite von etwas spricht, nicht weiß, daß er implicite von Gott spricht, und wer explicite von einer Wissenschaft spricht und nicht weiß, daß er implicite von der Theologie redet, der wisse, daß er von Gott nur die Intelligenz erhalten hat, die absolut notwendig ist, um ein Mensch zu sein.

Was die Theologie in ihrer allgemeinsten Bedeutung ist

Die Theologie in ihrer allgemeinsten Bedeutung betrachtet ist also das beständige Objekt aller Wissenschaften, wie Gott das beständige Objekt der menschlichen Spekulationen ist. Jedes Wort, das über die Lippen des Menschen geht, ist eine Affirmation der Gottheit, selbst jenes, welches dieselbe verflucht oder leugnet. Wer sich gegen Gott kehrt und in seiner Wut ausruft: Ich hasse dich, du existierst nicht! legt ein vollständiges theologisches System dar, so gut als wer sein zerknirschtes Herz zu Gott erhebt und spricht: Herr, schlage deinen Diener, der dich anbetet. Jener wirft ihm eine Gotteslästerung ins Gesicht, dieser legt ein Gebet zu seinen Füßen nieder, aber beide bejahen, jeder auf seine Weise, Gott, weil beide seinen unmitteilbaren Namen aussprechen.

In der Art und Weise, diesen Namen auszusprechen, liegt die Lösung der furchtbarsten Rätsel: die Berufung der Volksstämme, die providentielle Mission der Völker, die großen Wechselfälle der Geschichte, die Erhebung und der Sturz der berühmtesten Reiche, die Eroberungen und Kriege, die verschiedenen Charaktere der Völker, und selbst ihr verschiedenes Schicksal.  –
aus: Donoso Cortes, Versuch über den Katholizismus, den Liberalismus und Sozialismus, 1854, S. 2- S. 4

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