Unsere Pflichten gegenüber dem Heiligen Geist
Auszug aus dem Schreiben „Divinim illud“
von Leo XIII. v. 9. Mai. 1897
Den Heiligen Geist kennen lernen
21 Die Fülle dieser Gaben, welche die unermessliche Güte des Heiligen Geistes uns gegenüber offen kundtut, verlangt unbedingt von uns den größten Erweis dankbarer und ehrfürchtiger Verehrung. Das werden aber die Christgläubigen auf die richtige und beste Weise verwirklichen, wenn sie sich täglich bemühen, ihn besser kennen zu lernen, zu lieben und anzurufen. Unsere väterliche, von Herzen kommende Ermahnung möge sie dazu aneifern! – Vielleicht gibt es auch heute noch Christen, die wie jene, die einst der Apostel Paulus fragte, ob sie den Heiligen Geist empfangen hätten, antworten müssten: Wir haben nicht einmal gehört, dass es einen Heiligen Geist gibt. (Apg. 19, 2) Jedenfalls gibt es gewiß viele, denen eine tiefere Kenntnis des Heiligen Geistes abgeht; wohl sprechen sie bei ihren religiösen Übungen öfters seinen Namen aus, aber ihr Glaube ist von dichter Finsternis umhüllt. Deshalb sollen alle Prediger und Seelsorger wohl bedenken, dass es ihre Pflicht ist, die Lehre über den Heiligen Geist äußerst sorgfältig und eingehend dem Volke vorzutragen. Dabei soll man jedoch schwierige und spitzfindige Streitfragen beiseite lassen und die abwegige Torheit jener vermeiden, die meinen, alles, auch die tiefsten Geheimnisse Gottes, ergründen zu können. Statt dessen sollen vielmehr die zahlreichen und großen Wohltaten, die der göttliche Gnadenspender uns schon zugewandt hat und unablässig zuwendet, in Erinnerung gerufen und schlicht erklärt werden. Dann werden Irrtum und Unwissenheit, die den Kindern des Lichtes in so wichtigen Dingen schlecht anstehen, ganz und gar verschwinden. Wir betonen dies mit besonderem Nachdruck nicht nur deshalb, weil es sich hierbei um ein Geheimnis handelt, das mit unserer Hinführung zum ewigen Leben sehr eng zusammenhängt und deshalb fest zu glauben ist, sondern auch, weil man das Gute umso entschiedener schätzt und liebt, je besser und je gründlicher man es kennt.
Den Heiligen Geist wahrhaft lieben
22 Denn gerade die Liebe sind wir – wie es Unsere Ermahnung als die zweite Pflicht betonte – dem Heiligen Geiste schuldig, weil er Gott ist: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele und aus allen deinen Kräften. (Deuter. 6, 5) Ihm gebührt ferner Liebe, weil er die wesenhafte, die erste, die ewige Liebe ist. Nichts ist ja liebenswerter als die Liebe selbst. Umso mehr sind wir dazu verpflichtet, als er uns mit den größten Wohltaten überhäuft, die im gleichen Maße, wie sie Beweise seines Wohlwollens sind, vom Empfänger wahre Herzens-Dankbarkeit fordern. Diese Liebe trägt uns doppelten Segen ein, und zwar keinen geringen; denn einmal wird sie unseren Verstand schärfen, damit wir die Wahrheiten über den Heiligen Geist stets klarer erkennen; sagt doch der heilige Thomas: „Der Liebende ist nicht zufrieden mit einer oberflächlichen Erfassung dessen, was er liebt, sondern er sucht alle Einzelheiten des geliebten Gegenstandes eingehend zu erforschen; so dringt er tief in dessen Inneres ein, wie es vom Heiligen Geist, der die Liebe Gottes ist, heißt, dass er auch die Tiefen der Gottheit erforscht.“ (Thomas v. Aquin, Sum. Theol. I-II q. 28 a. 2) – Sodann wird sie uns ein reicheres Maß von übernatürlichen Gaben sicherstellen; wie nämlich Herzenskälte die Hand des Gebers verschließt, so wird diese durch einen dankbaren und erkenntlichen Sinn geöffnet.
Ihn nicht beleidigen, die Sünde meiden
23 Es ist jedoch sehr darauf zu achten, dass sich diese Liebe nicht nur auf dürres Wissen und auf äußerliche Ehrerbietung beschränke; sie soll sich vielmehr in unserem ganzen Tun und Lassen bekunden, am allermeisten in der Vermeidung der Sünde, beleidigt sie doch in besonderer Weise den Heiligen Geist. Denn was immer wir sind, das verdanken wir der göttlichen Güte, die insbesondere dem Heiligen Geiste zugeeignet wird. Ihn, seinen Wohltäter, beleidigt also der Sünder, der gerade im vermessentlichen Vertrauen auf die Gaben seiner Güte sich täglich anmaßender gebärdet.
Freilich, wenn jemand aus Schwäche oder Unverstand sündigt, so ist er vielleicht vor Gott noch entschuldbar, da der Heilige Geist der Geist der Wahrheit ist; wer jedoch aus Bosheit der Wahrheit widersteht und sich von ihr abwendet, der versündigt sich sehr schwer gegen den Heiligen Geist. Diese Haltung ist allerdings in unseren Tagen so häufig, dass jene schlimmen Zeiten angebrochen zu sein scheinen, die Paulus vorausverkündet hat, und wo die Menschen, durch Gottes Gericht verblendet, die Lüge für Wahrheit hinnehmen und dem Fürsten dieser Welt, der Lügner ist und Vater der Lüge, Glauben schenken, als wäre er der Lehrer der Wahrheit: Gott wird die Macht der Irreführung über sie kommen lassen, so dass sie der Lüge glauben (2. Thess. 2, 11); in den letzten Zeiten werden manche vom Glauben abfallen und irreführenden Geistern und Teufelslehrern Gehör schenken. (1. Tim. 4, 1)
Da aber, wie Wir oben erwähnt haben, der Heilige Geist in uns wie in einem Tempel wohnt, sollen wir auch jene Worte des Apostels beherzigen: Betrübet nicht Gottes Heiligen Geist, mit dem ihr besiegelt seid. (Eph. 4, 30) Dabei genügt es aber nicht, alles Ungeziemende zu meiden; um seinem großen und gütigen Gaste zu gefallen, muss der Christ vielmehr im Glanze aller Tugenden leuchten, besonders durch Keuschheit und Frömmigkeit. Denn Keuschheit und frommer Sinn sind der Schmuck des Tempels. Deshalb lesen wir bei demselben Apostel: Wißt ihr nicht, dass ihr ein Tempel Gottes seid, und dass der Geist Gottes in euch wohnt? Wenn aber jemand den Tempel Gottes entheiligt, wird ihn Gott zugrunde richten, denn der Tempel Gottes ist heilig, und der seid ihr. (1. Kor. 3, 16f) Eine furchtbare, aber vollkommen gerechte Drohung!
Ihn im Gebet anrufen
24 Schließlich müssen wir den Heiligen Geist inständig anrufen, da jeder von uns seines Schutzes und Beistandes dringend bedarf. Ein jeder schwankt in Ratlosigkeit, jedem gebricht es an Kraft, jeden drückt ein Kummer, jeder neigt zum Bösen; so müssen wir denn alle Zuflucht suchen bei ihm, der als stets lebendiger Quell Licht und Kraft, Trost und Heiligkeit spendet. Namentlich jene Gnade, deren der Mensch vor allem bedarf, die Verzeihung der Sünden, muss vorzugsweise vom Heiligen Geist erbeten werden. „Es ist die Eigentümlichkeit des Heiligen Geistes, die Gabe des Vaters und des Sohnes zu sein; die Nachlassung der Sünden geschieht also durch den Heiligen Geist, insofern er Gabe Gottes ist.“ (Thomas von Aquin, Sum. Theol. III q. 3 a. 8 ad 3) Ausdrücklich sagt ja die Liturgie: „Er ist die Vergebung aller Sünden.“ (Römisches Missale, Postcommunio vom Pfingstdienstag) Über die richtige Art, ihn anzurufen, gibt uns die Kirche die allerbeste Anweisung, indem sie ihn unter den zärtlichsten Namen inständig anfleht und beschwört: „Komm, o Geist der Heiligkeit, Vater aller Armen du, aller Herzen Licht und Ruh, komm mit deiner Gaben Zahl! Tröster in Verlassenheit, Labsal voll der Lieblichkeit, komm, o süßer Seelenfreund!“ (Pfingstsequenz) Innig betet sie zu ihm, dass er Herz und Sinn reinige, heile und erquicke, und dass er denen, die auf ihn vertrauen, „den Lohn der Tugend, ein seliges Lebensende und die ewige Freude“ verleihe. Und niemand darf auch nur im geringsten daran zweifeln, dass er diesen Gebeten Gehör schenken wird; denn unter seiner Eingebung wurden die Worte niedergeschrieben: Der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern. (Röm. 8, 26) Endlich sollen wir vertrauensvoll und unablässig darum beten, dass er uns mehr und mehr mit seinem Licht erleuchte und in uns den Feuerbrand seiner Liebe entzünde. So werden wir, gestützt auf Glaube und Liebe, den ewigen Belohnungen unverwandt zustreben, denn er ist das Unterpfand unserer Erbschaft. (Eph. 1, 14) –
aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII., 1953, S. 18-22
siehe auch die Beiträge von F. X: Coulin über den Heiligen Geist