Papst Pius XII. über Priestererziehung

Tiara des Papstes, Bischofsstab, Schlüssel

Pius XII. über die Priestererziehung in der modernen Zeit

Ansprache an Rektoren lateinamerikanischer Priesterseminare: 23. September 1958. AAS L (1958) 947-952.

Begrüßung

5941 Wenn schon alle und jeder Unserer Söhne, die von den entferntesten Enden der Welt in dieses Haus des gemeinsamen Vaters kommen, von Uns stets mit Anteilnahme und Freude empfangen werden, was sollen Wir dann sagen, wenn Wir Euch vor Uns sehen, Direktoren der lateinamerikanischen Priesterseminare und herzlich geliebte Söhne, in deren Händen der Herr eine so hohe Aufgabe gelegt hat, die Wir wohl zu den wichtigsten unter denen rechnen können, welche die Kirche in Euren Ländern und im augenblicklichen Zeitpunkt übertragen kann.

Das große Problem Lateinamerikas: der Priestermangel

5942 Lateinamerika, dieser eindrucksvolle katholische Block, den der Missionseifer der großen iberischen Seevölker zu ihrer Ehre und zum größten Nutzen der Kirche aufzubauen verstand, stellt heute wegen seiner Ausdehnung, seiner Bevölkerung, wegen der Unerschütterlichkeit seines Glaubens und seiner glänzenden Zukunft, die ihm beschieden zu sein scheint, auf allen Gebieten, vor allem aber in religiöser Hinsicht, eine der größten Hoffnungen von morgen dar. Niemand verkennt die schwierige Lage des gegenwärtigen Augenblicks, wo es sich neuen Lebensformen anpassen muss, und gerade des Augenblicks, wo eine Entwicklungskrise vielleicht einige seiner lebenswichtigen Organe zu schwächen vermochte, während die Kräfte des Bösen, ihrer Macht bewußt, es zugleich von allen Seiten anzugreifen versuchen, um es zu ihrer sicheren Beute zu machen.
In dieser geschichtlichen Stunde kommt es vor allem darauf an, diese guten Katholiken, Unsere Kinder, mit einem zahlenmäßig ausreichenden und bildungsmäßig, vor allem religiös gesehen, gut vorbereiteten Klerus zu versorgen.
Und dies ist gerade die Arbeit. Welche die Kirche Euch anvertraut. Ihr versteht darum, mit welch ganz besonderer Liebe Wir Euch zu empfangen wünschen. Und welchem Verlangen Wir Euch väterlich Anteil nehmen lassen möchten an Unserer Sorge um die Ausbildung der jungen Priesterkandidaten, welche die Göttliche Vorsehung Euch anvertraut hat.

Die offiziellen Verlautbarungen der Kirche über die Priestererziehung

Wir sehen, daß Euer Programm Probleme enthält, die man mit „Technik“ Eurer Arbeit bezeichnen könnte. Doch Ihr kennt die Ansicht der Kirche über die Seminarien, vor allem über die Priester-Seminarien, für die alle Empfehlungen wegen der bevorstehenden Weihe eine doppelte Bedeutung erhalten, genau aus den zahlreichen Verlautbarungen und vor allem jene, in der Unser verehrter Vorgänger seligen Angedenkens diese Häuser den kirchlichen Oberen als ihre Hauptanliegen empfahl, über die sie wachen sollten wie über ihren Augapfel (Vgl. Pius XI., Enzyklika Ad catholici sacerdotii vom 20. Dezember 1935. AAS XXVIII (1936) 37). Und Wir selbst haben ohne Unterlass Unserem Gedanken Ausdruck gegeben mit dem Hinweis, daß sie [die Priester-Seminarien] ein „äußerst wichtiges und äußerst schweres“ Problem darstellten (Apost. Brief Haud mediocrem an die Bischöfe Boliviens vom 23. November 1941. AAS XXXIV (1942) 233) und unterstrichen die Notwendigkeit, sie den Bedürfnissen entsprechend zu vermehren (Apost. Brief Volvidos cinco años an die Bischöfe Brasiliens vom 23. April 1947. AAS XXXIX (1947) 285-289).

Drei Gesichtspunkte zur Priesterausbildung von heute.

5944 Deshalb möchten Wir Euch bei dieser Begegnung, die so herzlich und intim, wie nur möglich sein soll, Unser Herz öffnen wie ein Vater, der seinen Kindern seine Sorgen und Ängste mitteilen will, und Euch drei einfache Gedanken – darauf wollen Wir uns beschränken – vorlegen.

5945 Das erste, das sich Uns aufdrängt, besteht im Problem der mangelnden Priesterberufe. Gewiß stellt man allenthalben eine spürbare Besserung fest, doch wie kann heute, geliebte Söhne, die jetzige gute Ausbildung Eurer zukünftigen Priester morgen diesen Mangel beseitigen helfen? Wir denken hier an drei Dinge.

Apostolisch anziehendes Priestertum

5946 Man darf die Berufe nicht wie eine zufällige oder vereinzelte Frucht ansehen, die entsteht, man weiß nicht wie, und die sich selbst in einer gegensätzlichen und feindseligen Umgebung zeigen kann. Dies mag bisweilen zwar wohl vorkommen, denn die Gnadenmacht Gottes kennt keine Grenzen. Doch gewöhnlich und normaler Weise gehen die Berufe aus einem wohl kultivierten und gut vorbereiteten Milieu hervor. Im allgemeinen wachsen sie als letzte Frucht aus einem tief ernsten Frömmigkeitsleben.
Eure Priester werden morgen, allgemein gesprochen, um so mehr Berufe unter Euren Gläubigen gewinnen, als sie ihr ganzes apostolisches Leben besser zu führen verstehen, als sie den Seelen eine tiefere Bildung vermitteln, als sie sie auf wirksamere Weise zu einem echten Leben der Frömmigkeit begeistern und erziehen. Wenn sie sich schon jetzt so auf ihr Apostolat vorbereiten, fangen sie bereits an, Berufe zu erhalten.

Werbendes Beispiel der priesterlichen Persönlichkeit

5947 Doch bei den Berufungen gibt es bisweilen etwas, das man nicht übersehen darf. Oft stellt sich vor den unschuldigen Augen des Kindes der brennende Wusch ein, das Beispiel des vollkommenen Lebens, das es von einer Person seiner Umgebung – für das Kind die konkrete Verwirklichung einer ganzen Reihe von kaum geahnten Idealen – vorgelebt sieht, nachzuahmen und zu befolgen.
Eure Priester müssen morgen lebendige Beispiele sein, welche die Geister zur Sehnsucht nach Vollkommenheit hinreißen, die ihnen in der Praxis die anziehende Schönheit eines heiligen Lebens zeigen, und die, mit einem Wort, die Personifizierung eines Glückes sein könnten: des Glückes – des höchsten, das es auf dieser armseligen Welt gibt -, sich aus Liebe zu Gott und den Seelen ganz und gar hinzugeben.

Gebet und Opfer

5948 Schließlich darf man nicht vergessen, daß Berufe eine Gnade des Himmels sind, eine Gnade, die nachher menschliches Mittun erfordern kann, aus sich selbst aber wird sie dieses trockene und öde Land des menschlichen Herzens nicht hervor bringen, wenn es nicht zuvor durch die Gnade von oben befruchtet und betaut wurde. Es ist eine Gnade, und Gnaden werden durch Gebet und Opfer erfleht.

Das „soziale Anliegen“ der modernen Welt und das katholische Priestertum

5949 Apostolische, vorbildliche, opferfreudige Priester sollen sie sein, doch Priester des Herrn, die inmitten ihres Volkes leben, die seine Nöte kennen, seine Schmerzen fühlen, vor allem die Schmerzen derer, die am meisten zu leiden haben. Und sie sollen dies nicht nur, um mit zu leiden, sondern um sie nach Möglichkeit zu lindern. Priester sollen sie sein, durchdrungen von dem, was man heute „soziales Anliegen“ zu nennen pflegt, ein Gedanke, von dem die neuen Priester-Generationen so erfüllt sind. Wir haben volles Verständnis für dieses Anliegen und können nur wünschen, daß es den Euren nicht unbekannt sei, obgleich Wir es stets vollkommen ans einem Platz sehen möchten unter Vermeidung von drei Fehlern.

Das „soziale Anliegen“ darf nicht an erster Stelle stehen

5950 Der erste bestünde darin, einem solchen Anliegen den Ehrenplatz im Leben des Priesters Christi einzuräumen. Wenn er aus der Mitte seiner Brüder gerufen und erwählt wurde, so deswegen, um den Seelen das Wort und die Gnade Gottes zu bringen und Gott die Seelen zuzuführen, die ihm gehören. Die Vertreter dessen, der gesandt war, um „den Armen das Evangelium zu verkünden“ (Luk. 4, 18), und der sagen konnte: „Mich erbarmt des Volkes“ (Mark. 8, 2), werden für jedes Leid empfindlich sein, doch sie verlassen nicht fortwährend ihr Katheder, ihren Beichtstuhl und ihren Altar, um auf die Rednertribünen zu steigen oder Ämter zu übernehmen, die für sie nicht passend sind. Der Priester bleibt stets Priester, denn er hat ein geistiges und unauslöschliches Siegel empfangen, das in jedem Augenblick seines Lebens und in all seinem Tun aufleuchten muss.

Sozial wirken durch rein priesterliches Wirken!

5951 Man soll nicht meinen, seine Tätigkeit zugunsten seiner Brüder sei deswegen weniger wirksam. Wenn er auf seinem Gebiet bleibt, die brüderliche Liebe und die echte Liebe predigt und verbreitet, den Geist der Zwietracht bannt und zur Versöhnung mahnt, wenn er alle an ihre Pflichten erinnert und die Rechte aller verteidigt, dann hält er die Kirche, die er vertritt, außerhalb der rein irdischen Angelegenheiten, und kann so stets in Unabhängigkeit seine hohe Sendung erfüllen. Denn in Wirklichkeit fehlen allen anderen Lösungen der sozialen Frage die Grundlagen, wenn sie nicht von diesen Prinzipien ausgehen, und die Erfahrung zeigt, bis zu welchen Exzessen und welchen Schreckens-Zuständen sie führen.

Die kirchliche Gesellschaftslehre als Grundlage des sozialen Wirkens

5952 Schließlich darf der Priester, bei aller Sorge, über alles auf dem Laufenden zu sein, was man mit gutem Recht als Fortschritt auf diesem Studiengebiet nennen kann, nicht vergessen, daß das erste aller sozialen Gesetzbücher das Evangelium ist, in dem die Kirche Christi wie in einem unausschöpfbaren Brunnen alle notwendigen Elemente für die Ausarbeitung einer vollkommenen und umfassenden Lehre finden konnte. Prägt sie Euren jungen Leviten in all Euren Seminarien ein, sorgt dafür, daß sie sie in rechter Weise verstehen und wiederholt ihnen immer und immer wieder, daß sie es nicht nötig haben, aus anderen, mehr oder weniger trüben Quellen zu schöpfen, mehr oder weniger gefährlichen für ihr eigenes geistiges Heil und für das Heil derer, die von ihnen den sicheren Weg lernen sollen. –
aus: Utz OP/Groner OP, Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens, Soziale Summe Pius XII., Bd. III, 1954, S. 3546 – S. 3551

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