Leo XIII über die falsche Philosophie

Hut, bischöflicher Krummstab, Kleidungsstücke eines Papstes

Papst Leo XIII über die falsche Philosophie 

Papst Leo XIII. sitzt in seiner päpstlichen Kleidung in seinem Arbeitszimmer, links von ihm sieht man auf einem Art Altar ein Kruzifix, rechts ist ein Bücherschrank

Auszug aus dem Schreiben

Aeternis Patris

von Leo XIII. v. 4.8.1879

Die Ursache der Übel unserer Zeit ist die falsche Philosophie

154. Jeder, der unsere traurigen Zeitverhältnisse aufmerksam betrachtet und die Erscheinungen im öffentlichen und privaten Leben auf ihren Grund hin prüft, wird sicherlich finden, daß die furchtbare Ursache jener Übel, die uns gegenwärtig schon drücken, und die Wir für die Zukunft noch befürchten, darin zu suchen sei, daß die verkehrten Anschauungen über Gott und Welt, ehedem nur in den Schulen der Philosophen vertreten, jetzt in alle Klassen der Gesellschaft durchgesickert sind und fast überall einmütigen Beifall gefunden haben. Es ist ja tief in der menschlichen Natur begründet, daß wir uns in unserem Handeln von der Vernunft leiten und bestimmen lassen, und darum zieht ein Irrtum in der Erkenntnis leicht auch eine Verfehlung des Willens nach sich: und das ist der Grund, daß die verkehrten Anschauungen, welche der Erkenntnis entstammen, auf die menschliche Tätigkeit einen verderblichen Einfluß ausüben. Umgekehrt aber wird die menschliche Erkenntnis, wenn sie gesund ist und sich auf gediegenen, wahre Grundsätze gründet, für das öffentliche und private Wohl die segensreichsten Wirkungen zeitigen. – Freilich erwarten Wir von dem Einfluß und der Bedeutung der menschlichen Philosophie nicht so viel, daß Wir sie der Aufgabe für gewachsen hielten, durchaus alle Irrtümer zurück zu weisen oder gar in ihrer Wurzel zu vernichten: denn wie in jenen frühen Zeiten der Grundlegung der christlichen Religion dem Erdkreis seine ursprüngliche Würde wieder gegeben wurde durch das Licht des Glaubens, der weithin verbreitet wurde, „nicht durch überredende Worte menschlicher Weisheit, sondern in Geistes- und Krafterweisung“ (1. Kor. 2,4), so müssen Wir auch in der Gegenwart hauptsächlich erhoffen, daß Gott mit seiner hilfsbereiten Allmacht die Finsternis des Irrtums behebe und die Menschen zur rechten Erkenntnis zurück führe. Aber gleichwohl dürfen wir die natürlichen Hilfsmittel, die Wir der alles mit Kraft und Milde ordnenden göttlichen Weisheit zu verdanken haben, nicht verachten oder auch nur gering schätzen; und daß zu den vorzüglichsten dieser Mittel der rechte Gebrauch der Philosophie gehört, steht außer Frage. Denn nicht zwecklos hat Gott dem menschlichen Geiste das Licht der Vernunft verliehen; und wenn dann das Licht des Glaubens noch hinzu gegeben worden ist, so wird dadurch die Erkenntniskraft nicht vernichtet, vielmehr wird sie dadurch vervollkommnet, ihre Stärke wird erhöht und sie dadurch zu Höherem befähigt. – Also verlangt schon die Rücksicht auf die göttliche Vorsehung, daß man, um die Völker zum Glauben und zum Heil zurück führen zu können, auch die menschliche Wissenschaft in seinen Dienst stelle; und die Zeugnisse des Altertums bestätigen uns, daß sich dessen auch die hervorragendsten Kirchenväter in anerkennenswerter und kluger Weise beflissen haben. Ganz allgemein haben sie der Vernunft eine hohe und weite Bedeutung zuerkannt, und der große Augustinus hat diese Bedeutung mit wenigen Worten darin zusammen gefaßt, daß „er dieser Wissenschaft die Aufgabe setzt…, den so heilsamen Glauben… hervor zu rufen, ihn zu nähren, zu schützen, zu stärken“ (De Trin. Lib. 14. c. 1).

Leider wird Thomas neuerdings angefeindet

174. Wenn Wir nun, Ehrwürdige Brüder, bei solcher Sachlage Uns die Vortrefflichkeit, die Bedeutung und den mannigfachen, herrlichen Nutzen der in der Vergangenheit hoch geschätzten Philosophie vergegenwärtigen, so müssen Wir es für Unverstand halten, wenn ihr nicht immer und nicht an allen Orten die gebührende Anerkennung zuteil geworden ist; zumal da es ja eine bekannte Tatsache war, daß die scholastische Philosophie durch die lange Erfahrung, durch das Urteil der berühmtesten Männer, und, was am meisten ins Gewicht fällt, durch die Gutheißung der Kirche empfohlen wurde. Vielmehr ist an die Stelle der alten Lehre hier und da eine Art neuer Methode in der Philosophie getreten, aber diese Methode hat nicht die erwünschten und heilsamen Ergebnisse hervor gebracht, wie sie die Kirche und auch die bürgerliche Gesellschaft wohl gern gesehen hätte.

1. Die Neuerer des 16. Jahrhunderts sagten sich los von Thomas.

175. Der Richtung der Neuerer des 16. Jahrhunderts folgend, fand man es für gut, Philosophie zu betreiben, ohne irgend welche Rücksicht auf den Glauben zu nehmen, indem man dafür die Freiheit verlangte und gewährte, alles mögliche, je nach Belieben und eigener Einsicht zu ersinnen. Die natürliche Folge war, daß eine Unzahl philosophischer Systeme entstanden, und daß selbst in den für die menschliche Erkenntnis wichtigsten Fragen verschiedene und einander widersprechende Ansichten vertreten wurden. Die Menge der vertretenen Ansichten führte sehr oft zum Schwanken und Zweifeln; und daß vom Zweifeln zum Irrtum für den Menschen nur ein Schritt ist, ist männiglich bekannt.

2. Einige katholische Gelehrte haben dasselbe getan.

176. Diese Neuerungssucht hat aber, wie es scheint, unter dem Einfluß des den Menschen angeborenen Nachahmungstriebes die und da auch katholische Philosophen erfaßt; und es war sicherlich kein weises Beginnen und trug der Wissenschaft keinen Nutzen ein, wenn diese Männer unter Geringschätzung der aus den alten Zeiten überkommenen Weisheit es vorzogen, ein ganz neues Gebäude zu errichten, anstatt das alte auszubauen und der Vollendung entgegen zu führen. Denn diese zahlreichen philosophischen Systeme können sich nur auf das Ansehen und das Urteil der jeweiligen Lehrer stützen und haben darum eine wankende Grundlage; und so hat die Philosophie, nicht wie es früher war, sicheren Halt, festen Bestand und überzeugende Kraft, sondern sie wird unbeständig und oberflächlich. Wenn diese Philosophie darum kaum je den Angriffen der Gegner standhalten kann, so muss sie zugeben, daß sie selbst hiervon viel verursache und verschulde.

3. Die Errungenschaften der Neuzeit benutzen, heißt nicht, vom Geiste des hl. Thomas abgehen.

177. Mit diesen Ausführungen wollen Wir gewiß nicht die Bestrebungen jener gelehrten und praktischen Männer mißbilligen, welche ihren ganzen Fleiß, ihre ganze Gelehrsamkeit und all die Errungenschaften der modernen Erfindungen zu dem Zwecke verwenden, die Philosophie weiter auszugestalten; denn Wir wissen recht wohl, daß dies den Fortschritt der Wissenschaft fördert. Anderseits muss man aber doch wohl recht darauf achten, daß man nicht ganz oder doch zum größten Teil in diesem Fleiß und dieser Gelehrsamkeit aufgehe. – Ähnlich ist betreffs der Theologie zu urteilen. Es ist recht gut, wenn die Theologie durch Gelehrsamkeit jeder Art gefördert und beleuchtet wird; aber es ist durchaus notwendig, sich nach der ernsten Form der Scholastik zu behandeln, damit sie in sich die Kraft der Offenbarung mit der Kraft der Vernunft vereine, und so für alle Zeiten „ein unbesiegbares Bollwerk des Glaubens“ (Sixtus V.) bleibe. –
aus: Carl Ulitzka, Lumen de Caelo, Leo XIII. der Lehrer der Welt“, 1934, S. 77 – S. 78; S. 90 – S. 91

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