Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Investiturstreit
Investiturstreit, der Streit um die Frage, wer in die kirchlichen Stellen, besonders die höheren, zu investieren, sie durch symbolische Verleihung zu besetzen habe. Nach altem römischen Kirchenrecht ging der Bischof aus der Wahl durch Klerus und Volk hervor; der Bischof begabte allein die unter ihm stehenden Geistlichen und wies ihnen Funktionen zu; er verfügte allein über das Kirchengut. Als beim Überwiegen der Naturalwirtschaft zu Beginn des Mittelalters Großgrundbesitzer allenthalben auf ihrem Eigengut Kirchen und Klöster gründeten, fühlten sie sich als deren Eigentümer und beanspruchten, allein deren Geistliche ernennen zu dürfen.
Die Könige suchten die Auffassung von Eigenkirchen auch auf Bistümer und Abteien anzuwenden, da diese meist vom König reichlich mit Besitz und Einkünften ausgestattet waren. Sie betrachteten sich unter dem Einfluss der feudalen Gesellschafts-Ordnung als Obereigentümer des Kirchengutes, das sie dem Inhaber bei Nichterfüllung der Lehnspflichten nehmen konnten; sie verlangten den Lehnseid und ernannten vielfach die Bischöfe ohne Rücksicht auf das Wahlrecht. Sie wiesen durch Übergabe von Ring und Stab die von ihnen Erkorenen in ihr Bistum (Abtei) ein und überließen es diesen, sich die Weihe zu verschaffen.
Solange fromme Herrscher dabei die kirchlichen Interessen im Auge behielten, war dieser Zustand erträglich. Als aber die Bistümer nicht selten um Geld vergabt wurden, musste die im 11. Jahrhundert einsetzende kirchliche Reformbewegung hier eingreifen. Eine wirkliche Reform der Kirche war nur möglich, wenn die Kirche bei der Besetzung der kirchlichen Ämter, besonders der Bistümer, zuerst maßgebend war.
Der Streit, der sich darüber entspann, entwickelte sich aber bald zu einem grundsätzlichen zwischen Staat und Kirche. Entsprechend der Bedeutung der Symbolik im Mittelalter sah man in der Investierung eines Bischofs mit den Zeichen seiner geistlichen Würde durch einen weltlichen Herrscher die Übertragung von geistlichen Ämtern durch diesen Herrscher und die Unterordnung der geistlichen Gewalt unter die weltliche.
Den Höhepunkt ihrer Macht zeigte die weltliche Gewalt unter Kaiser Heinrich III. 1046, als dieser, allerdings nur um in Rom wieder würdige Zustände herzustellen, die Päpste Benedikt IX., Silvester III. und Gregor VI. absetzte und dann mehrere deutsche Päpste nacheinander einsetzte: Klemens II., Damasus II., Leo IX., Viktor II. Unter diesen Päpsten, besonders Leo IX., fasste aber nun die Reformidee, deren Träger Hildebrand wurde, in Rom selbst feste Wurzeln.
Das Papsttum suchte sich zunächst selbst vom überragenden Einfluss des Kaisertums und seine Wahl unabhängig von diesem zu machen (Papstwahl-Dekret Nikolaus II. v. 1059). Dann ging es gegen die mit der Simonie verbundenen Laien-Investitur vor. Das 1. Verbot erließ schon Leo IX. auf der Synode von Reims 1049: ne quis sine electione cleri et populi ad regimen eccl. Proveheretur. Deutlicher war das Investitur-Verbot Nikolaus II. 1059: ut per laicos nullo modo quilibet clericus aut presbyter obtineat acclesiam nec gratis nec pretio.
Als Gregor VII. mit Heinrich IV., der für die kirchliche Reform nicht das Verständnis seines Vaters hatte, wegen Besetzung des Mailänder Bischofstuhles in Streit kam, verbot er 1075 dem König, Bischöfe zu investieren. Das war der Ausgangspunkt des eigentlichen Investiturstreits, der sich bald verschärfte, als der Papst dem König die Exkommunikation androhte. Auf die Absetzung des Papstes in Worms Januar 1076 folgte auf der römischen Fastensynode Exkommunikation und Absetzung des Königs.
Der Canossagang brachte keine wesentliche Änderung der Lage Heinrichs, die sich durch den Sachsenaufstand und die Haltung der deutschen Fürsten verschlechterte, obgleich die Aufstellung von Gegenkönigen ihm nicht viel Abbruch tat. Aber auch Gregor VII. war nicht zu beugen, als Heinrich mit seinem Gegenpapst Wibert von Ravenna (Klemens III.) ihn 1084 in der Engelsburg belagerte.
Am schlimmsten traf den Kaiser die Empörung seines Sohnes Heinrich V. Unter diesem flammte der durch die Kreuzzugs-Bewegung zurückgedrängte Investiturstreit wieder auf. Der König nötigte vor seiner Kaiserkrönung 1111 dem gefangenen Paschalis II. das Zugeständnis der Investitur ab. Doch Paschalis widerrief es bald, und seine Nachfolger Gelasius II. und Kalixtus II. bannten den Kaiser von neuem.
Endlich einigten sich Kalixtus III. (vertreten durch den späteren Papst Honorius II.) und Heinrich V. zu Worms 1122 unter folgenden Bedingungen: Der Kaiser gab die Investitur mit Ring und Stab auf, die nur dem Papst oder den Bischöfen zustehen sollte. Die Wahlen sollten frei sein, der Kaiser erhielt aber in Deutschland das Recht, dabei zugegen zu sein, um bei Spaltung nach dem Urteil des Metropoliten und der Bischöfe derselben Provinz den besseren Teil mit Rat und Tat unterstützen zu können.
Der Kaiser hatte in Deutschland dem Erwählten vor der Weihe, in Italien und Burgund nach der Weihe binnen 6 Monaten die Regalien durch die symbolische Verleihung des Zepters zu übergeben. Die Hauptstützen der Gregorianer waren in Deutschland die Hirsauer Mönche und Bischof Altmann v. Passau, in England Anselm v. Canterbury gewesen.
In England hatte König Heinrich I. 1107 auf die Investitur verzichtet, dafür aber die Gegenwart bei der Wahl und von den Erwählten vor der Weihe den Lebenseid verlangt. Ivo v. Chartes wirkte besonders für solche Vergleiche. In Frankreich war die kirchliche Wahl schon vorher durch den Legaten Hugo v. Die (1075-80) wieder eingeführt worden. Allgemein war also anerkannt, dass die Kirche allein die geistlichen Symbole zu übertragen habe und ihr das erste Wort bei der Besetzung der geistlichen Stellen gebühre.
Aber der Staat erreichte dies, dass das Reichsgut nicht der Kirche einverleibt wurde. Freilich traten nun die geistlichen Fürsten, die für die Verleihung der Temporalien und Regalien dem Herrscher den Lehnseid leisteten, als Genossen neben die im Investiturstreit erstarkten weltlichen Fürsten, teilten deren Bestrebungen und zeigten sich am Ende des Mittelalters wieder weniger als Hirten. – Der Ausgleich des Kampfes, der besonders Deutschland und Italien schwer erschütterte, war teuer erkauft worden. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. V, 1933, Sp. 443 – Sp. 445