P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
Die den Hauptsünden entgegen gesetzten Tugenden
Über die Kardinaltugend des Starkmutes
Der Starkmut besteht darin, daß wir uns durch keine Beschwerden und Verfolgungen von der Ausübung des Guten abschrecken lassen.
Die Übung jeglicher sittlichen Tugend ist, namentlich für die Dauer, mit mannigfachen Beschwerden verbunden. Dieselben schrecken schwache Seelen leicht von einem beharrlichen Tugendstreben ab. Wer also auf dem Weg der Tugend ausharren will, muss einen männlich kräftigen Mut besitzen, er muss starkmütig sein. In diesem Sinn ist aber der Starkmut nicht sowohl eine besondere Tugend als vielmehr eine Bedingung, ohne welche gar keine echte Tugend denkbar ist. Als besondere Tugend hat der Starkmut vorzüglich die Besiegung solcher Beschwerden und Hindernisse zum Gegenstand, die sich bei Übung der Tugend von außen her darbieten, wie da sind: leibliche Mühen und Anstrengungen, Verfolgungen, Bedrückungen, Gefangenschaft, Folter und Todesgefahr. Dem christlichen Starkmut ist es eigen, sich durch keine derartige Beschwerden und Verfolgungen abschrecken zu lassen.
Ein herrliches Beispiel des Starkmutes gaben schon vor der Ankunft des Heilandes die sieben machabäischen Brüder und ihre Mutter, von denen allen der Hl. Geist bezeugt, daß sie, um das göttliche Gesetz zu beobachten, „die Peinen für nichts achteten“. (2. Mach. 7, 12) Das großartigste Beispiel aber bot uns der Heiland selbst, der sich zu unserer Erlösung dem bittersten Leiden und schmerzvollsten Tode mit unbeschreiblicher Ruhe und Bereitwilligkeit unterzog. Auf die Nachahmung dieses göttlichen Vorbildes verlegten sich denn auch alle eifrigen Jünger Jesu Christi und brachten es darin so weit, daß sie um der Ehre Gottes und ihres Seelenheiles willen allen Gefahren, Verfolgungen, allen Martern und dem Tode selbst trotzten. Durch Starkmut zeichneten sich die Apostel aus, die ungeachtet aller Drohungen und Gefahren den Glauben an den Gekreuzigten und Auferstandenen vor aller Welt verkündeten, durch Starkmut die hl. Märtyrer, die um des Bekenntnisses ihres Glaubens willen freudigen Mutes unerhörten Folterqualen und dem grausamsten Tode entgegen eilten, durch Starkmut auch jene hl. Jungfrauen, die lieber alles erdulden und ihr Leben zum Opfer bringen als die Perle unbefleckter Jungfräulichkeit verlieren wollten.
Mit dem Starkmut geht Hand in Hand die Tugend der Hochherzigkeit, welche zu den heldenmütigsten Opfern bereit ist, ferner die ruhige Zuversicht in den größten Schwierigkeiten und Gefahren, die unerschütterliche Geduld in Ertragung von Leiden, die Ausdauer in der Übung des Guten bis zum Tode.
Die Tugend des Starkmutes ist in unserer Zeit wiederum von besonderer Wichtigkeit. Zwar haben wir nicht gerade wie die Christen der ersten Jahrhunderte Marter und Tod zu befürchten, wenn wir uns offen zu Christus und seiner heiligen Kirche bekennen; allein auf mancherlei Schwierigkeiten, zeitliche Nachteile, Spöttereien und kleinliche Verfolgungen muss jeder gefaßt sein, der heutzutage sich als treuen und gewissenhaften Katholiken zeigt. Eben deshalb müssen wir uns recht in dieser Tugend üben und bei den sich fast täglich darbietenden Gelegenheiten ohne Menschenfurcht unsern religiösen Pflichten nachkommen und mit Wort und Tat mutig einstehen für die Sache unseres heiligen Glaubens. Durch das Sakrament der hl. Firmung sind wir eigens hierzu gestärkt und als Streiter Christi ausgerüstet worden. Möge diese Gnade uns nicht vergebens zuteil geworden sein!
Aus dem Gesagten ist es klar, daß tatsächlich auf den vier Kardinaltugenden wie auf vier Grundpfeilern der ganze Bau des christlichen Tugendlebens ruht. Die Klugheit lehrt uns, wie wir in den verschiedenen Lagen und Verhältnissen des Lebens die Tugend zu üben haben. Die Gerechtigkeit macht unsern Willen geneigt, all unsere Pflichten gegen Gott und den Nächsten treu und vollkommen zu erfüllen. Die Mäßigung bewirkt, daß die sinnlichen Begierden der Vernunft unterworfen bleiben und so in uns selbst die rechte Ordnung gewahrt werde. Der Starkmut endlich befähigt uns, allen äußeren Schwierigkeiten zum Trotz auf dem Wege der Pflicht und Tugend auszuharren und vorwärts zu schreiten. Daher sagt sehr treffend die Hl. Schrift von der wahren Weisheit. „Sie lehrt Mäßigung und Klugheit, Gerechtigkeit und Starkmut, welche das Nützlichste sind im Menschenleben.“ (Weish. 8, 7)
aus: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Ein Hilfsbuch für die Christenlehre und katechetische Predigt, 2. Band Lehre von den Geboten, 1912, S. 383-385