Begriff des mystischen Leibes der Kirche

Vatikan Petersdom ist Sinnbild der katholischen Kirche

Der Begriff des mystischen Leibes der Kirche

3. Der „Mystische Leib der Kirche“ als zweites Subjekt des Prädikats „mystischer Leib Christi“

Wie in den exegetischen Schriften die römisch-katholische Kirche, so tritt in den systematischen ein anderes Subjekt des Prädikats „mystischer Leib Christi“ hervor. Es hat schon einen für uns ungewohnten Namen, nämlich „mystischer Leib der Kirche“.

Der Begriff des „mystischen Leibes der Kirche“

Wenn vom mystischen Leib der Kirche die Rede ist, so ist das nicht ein Prädikat, das von der Kirche ausgesagt wird, sondern ein Subjekt, von dem ein Prädikat ausgesagt wird. Das ist die erste und grundlegende Feststellung.
Schon Leib der Kirche ist mitunter etwas anderes als Kirche (1). Er ist die äußere Organisation der Kirche im Gegensatz zur inneren Seele, dem die Organisation belebenden Hl. Geist. Er verhält sich somit zur ganzen Kirche und zu deren Seele wie der menschliche Leib zum ganzen Menschen und zu dessen Seele.

Mystischer Leib der Kirche

oder auch „mystischer Leib seiner Kirche“, mitunter auch bloß „Leib der Kirche“ genannt und unter Berufung auf gewisse Gewährsmänner (quidam) in Gegensatz zur Kirche gestellt, ist zu verstehen als die mystische Organisation der Kirche, das heißt als die Organisation, die nicht in sichtbarer hierarchischer Gliederung besteht, sondern in der unsichtbaren Gliederung nach den übernatürlichen Gesichtspunkten des Gnadenstandes, der Auserwählung, der Seligkeit und ihrer Abstufungen.

Hierarchie und Gottesstaat

Dieser Begriff hängt zusammen mit dem Begriff einer allgemeinen Theokratie, das heißt der Gemeinschaft aller Theokratumenen, aller guten Engel und Menschen unter Gottes Herrschaft. Sie wird in Anlehnung an Pseudo-Dionysius allgemeine Hierarchie, in Anlehnung an St. Augustin Gottesstaat, das heißt Gesellschaft der guten Menschen und Engel im Gegensatz zur Gesellschaft der schlechten genannt.

Jener mystische Leib der Kirche ist im Wesen sachlich identisch mit dieser allgemeinen Hierarchie und Gottesgesellschaft, ist aber von ihnen begrifflich verschieden, indem zur begrifflichen Bestimmung dieser Gesellschaft im ersten Fall der Leib oder der menschliche Organismus, im zweiten Fall aber die Kirche mit ihrer Hierarchie und der Staat mit seiner Gliederung als Analoga herangezogen werden. Dabei fehlen die Versuche nicht, diese Hierarchie mit einem Leib zu vergleichen und umgekehrt jenen Leib als Hierarchie zu deuten und so direkte Brücken zwischen beiderlei Analogien zu schlagen.

Tatsächlich braucht man in der Gesellschaft aller guten Menschen und Engel statt des Bildes der Hierarchie oder des Staates nur das Bild des Leibes einzuführen und diesen Leib einerseits von dem Hl. Geist der Kirche und andererseits von der sichtbaren Hierarchie derselben zu unterscheiden, so ist der Begriff des mystischen Leibes der Kirche im Wesen fertig.

Innerhalb der „allgemeinen Hierarchie wird eine sichtbare und irdische von der unsichtbaren und himmlischen unterschieden, wobei sich die sichtbare irdische Hierarchie, sei sie alt- oder neutestamentlich, zur himmlischen verhält wie der Weg zum Ziel und das Abbild zum Vorbild.So dürfte sich auch in der Vorstellungsweise des hl. Thomas der sichtbare Leib der Kirche zum mystischen Leib der Kirche, besonders soweit er himmlisch ist, verhalten wie Weg zum Ziel und wie Abbild zum Vorbild. Jedenfalls gehen die Gerechten des mystischen Leibes der Kirche auf Erden schließlich in den mystischen Leib der Kirche im Himmel ein, wie alle Auserwählten der irdischen Hierarchie in die Ordnung der himmlischen Hierarchie eingereiht werden.

(1) Leib der Kirche ist dann, wenn der Genitiv Kirche denominativ gebraucht wird, dasselbe wie Kirche. Es ist der Leib der Kirche im Gegensatz zum Haupt der Kirche.

Terminologie des mystischen Leibes

Thomasische und kirchliche Sprechweise

So geläufig es uns ist, mit St. Thomas von einem mystischen Leib Christi zu reden und dieses Prädikat von der Kirche auszusagen, so ungeläufig ist es uns heute, von einem mystischen Leib der Kirche zu reden und ihn als ein von der Kirche verschiedenes Subjekt für jenes Prädikat zu betrachten.

Die Kirche redet gelegentlich von dem sichtbaren Leib der katholischen Kirche in dem erstgenannten Sinne, den auch St. Thomas kennt (1), aber von einem mystischen Leib der Kirche in seinem zweiten Sinne redet sie nicht.

Wohl sagt das Rundschreiben, die römische Kirche sei ein mystischer Leib, aber es meint damit einerseits ein Prädikat, nämlich das, daß sie der mystische Leib Christi sei, und andererseits, daß die katholische Kirche nicht bloß eine soziale, moralische oder juridische Körperschaft darstelle, sondern eine übernatürliche sei ,die als solche mystisch genannt wird. Mit diesem Prädikat „mystisch“ will sie also lediglich eine höhere Seite an der römisch-katholischen Kirche, also an demselben Subjekt hervorheben, aber nicht ein zweites Subjekt aufstellen, einen mystischen Leib der Kirche, der vom ersten Subjekt, der römisch-katholischen Kirche, verschieden wäre. Der Unterschied zwischen moralischem, sozialem und juridischem Leib einerseits und mystischem Leib andererseits ist nach der Sprechweise der Enzyklika kein Unterschied des Subjekts, sondern ein Unterschied der Attribute desselben Subjekts. Bei St. Thomas aber ist die römisch-katholische Kirche und der mystische Leib der Kirche sachlich verschieden. Es sind zwei Subjekte wie zwei Kreise, die allerdings nicht adäquat voneinander verschieden sind und ganz nebeneinander liegen, wohl aber inadäquat verschieden gedacht werden und sich überschneiden.

(1) Die Enzyklika „Summi pontificatus apicem“ redet von denen, die nicht zum sichtbaren Leib der kath. Kirche gehören. Auch unser Rundschreiben redet vom gesellschaftlichen Leib der Kirche, Klemens VI. vom „totum et universum corpus Ecclesiae militantis“ (D 570 d und e)

Der Umfang des Begriffes „mystischer Leib der Kirche“

Der Umfang des Begriffes Kirche, beziehungsweise römisch-katholische Kirche und der des Begriffes „mystischer Leib der Kirche“ decken sich nicht. Die Grenzen des mystischen Leibes der Kirche waren einerseits nach rückwärts und nach oben erweitert, andererseits nach unten eingeschränkt.

Die nach rückwärts erweiterten Grenzen des Leibes der Kirche

Die römisch-katholische Kirche ist kein bloß simultanes, sondern auch ein sukzessives Gebilde, das über Jahrhunderte, ja beinahe zwei Jahrtausende besteht. Aber sie hatte doch einen Anfang, der ungefähr mit dem Beginn unserer Zeitrechnung zusammen fällt.
Der mystische Leib der Kirche aber reichte nach St. Thomas viel weiter zurück. Er umfaßte nicht bloß die Gerechten der römisch-katholischen Kirche, sondern auch die hl. Väter des Alten Testamentes. Sie gehörten zwar nicht zur römisch-katholischen Kirche wie wir, wohl aber zu demselben Leib der Kirche, zu dem wir gehören. Wie der Glaube der alten und der neuen Theokratumenen einer, so sei auch die Kirche eine. Die also zur Zeit der Synagoge Gott dienten, gehörten zur Einheit der Kirche, in der wir Gott dienen.

Die Erweiterung der Grenzen nach oben

Nicht bloß die streitende Kirche, das heißt die Menschen, die gegenwärtig lebe, sondern auch die triumphierende Kirche, die aus Menschen im Himmel besteht, gehörte zum mystischen Leib der Kirche (1). Denn die Kirche habe einen zweifachen Zustand, den der Gnade in der Gegenwart und den der Glorie in der Zukunft, und das sei dieselbe Kirche (eadem Ecclesia) und Christus sei ihr Haupt in beiderlei Zustand (2).

Der mystische Leib der Kirche bestehe außerdem nicht bloß aus Menschen, seien es die gerechten Menschen des Alten und des Neuen Bundes, seien es die seligen Menschen im Himmel, sondern auch aus Engeln, nämlich aus den seligen Engeln des Himmels (3).

Man sieht hier klar, daß bei St. Thomas das Subjekt, dem im eigentlichen Sinne das Prädikat „mystischer Leib Christi“zukommt, nicht wie im Rundschreiben bloß die römisch-katholische Kirche ist, sondern auch eine Kirche, beziehungsweise der mystische Leib einer Kirche, die sachlich ungefähr mit dem sich deckt, was wir heute etwa Gemeinschaft der Heiligen nennen, wenn wir diesen Ausdruck im konkreten Sinne als Gemeinschaft und nicht im abstrakten Sinne als Gemeinsamkeit ihrer Glieder untereinander nehmen. Auffällig bliebt nur, daß dabei mit einer gewissen Beharrlichkeit die leidende Kirche im Fegefeuer übergangen wurde und nur von einem doppelten Stand der Kirche die Rede war.

Die nach unten verengten Grenzen des mystischen Leibes der Kirche durch Ausschluss der Sünder

Gehörte nach dem vorhin Gesagten und nach der Darstellung des hl. Thomas viel mehr zum mystischen Leib der Kirche als zur römisch-katholischen Kirche, so zählten andererseits nicht alle katholischen Christen zum mystischen Leib der Kirche. Ausgeschlossen waren vor allem die Sünder, deren volle Zugehörigkeit das Rundschreiben so energisch betont. St. Thomas hat seine gegenteilige Ansicht auf verschiedene Weise formuliert.

… St. Thomas hat es an Deutlichkeit nicht fehlen lassen, seine Meinung, daß Sünder der römisch-katholischen Kirche nicht zum mystischen Leib der Kirche gehören, unzweideutig auszudrücken…
Die große Schwierigkeit, die sich daraus ergab, daß im Falle sündiger Priester und Prälaten Nichtmitglieder der Kirche dienKirche lehren, führen und heiligen, hat auch er gesehen. Er hilft sich mit einem Vergleich: auswärtige Tätigkeiten, wie Schlagen und dergleichen, können von einem lebenden Leib auch durch verdorrte (arida) Glieder ausgeübt werden und der Hl. Geist könne sich dieser abgestorbenen, beziehungsweise toten Glieder bedienen, um in anderen geistiges Leben zu erzeugen.

Schon der Verkehr, ja die Inanspruchnahme der Sünder durch den gerechten Christen ist ihm ein Problem, ähnlich wie der Verkehr mit dem Teufel. Die Lösung liegt bei St. Thomas nicht darin, daß die Sünder Glieder Christi sind, sondern darin, daß sie es bei aller Bosheit noch werden können, solange sie leben, während die Teufel das nicht können (4).

Die Ansicht von Papst Pius XII.

Papst Pius XII. ist anderer Ansicht. Im Zustand der Sünde hört der römisch-katholisch Christ nicht auf, eindeutig Glied der Kirche und damit des mystischen Leibes Christi zu s ein. Erst wenn er durch Häresie, Schisma oder Apostasie aus der Kirche austritt oder wenn er von ihr ausgeschlossen wird, hört er auf, Glied der römisch-katholischen Kirche und damit des mystischen Leibes Christi zu sein (11). Das Rundschreiben vermeidet daher auch den Aus „totes“ oder „abgestorbenes“ Glied und gebraucht dafür den Ausdruck „wundes, beflecktes oder krankes Glied“. Auch dann also, wenn sein Glaube, weil ohne die Liebe und ohne die Werke, tot und das Glied der Kirche in diesem Sinne kein lebendiges Glied (Tridentinum VI, 7. Anm. 63) ist, ist doch deshalb seine Mitgliedschaft nicht tot. In diesem Sinne tot ist erst ein ausgetretener oder ausgeschlossener Christ. „Totes“ oder „abgestorbenes“ Glied ist also erst der Mensch, der der römisch-katholischen Kirche nicht mehr angehört.

(1) In Eph 1, 22
(2) In Kol. 1, 18
(3) Nur sofern die Kirche Braut ist, sind sie nicht Glieder der Kirche, weil die Artgleichheit fehlt.Sofern die Kirche ein Leib ist, sind sie Glieder trotz Artungleichheit, wie die angeführten Texte zeigen.
(4) Auch für St. Thomas ist der Exkommunizierte kein Mitglied der Kirche. –
aus: Albert Mitterer, Geheimnisvoller Leib Christi nach St. Thomas von Aquin und nach Papst Pius XII., 1950, S. 15 – S. 24

Bildquellen

  • vatican-city-2278859_1920: pixabay

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