Was verehren wir in der Herz-Jesu-Andacht?
„Wer Gott nicht kennt, der liebt ihn nicht.“ Das gilt auch von der Liebe zum göttlichen Herzen. Ohne richtige Anschauungen über dasselbe kann man keine echte Liebe zu ihm haben. Darum wollen wir zuerst Antwort suchen auf die Frage: Was verehren wir eigentlich in der so beliebten Herz-Jesu-Andacht?
Das Wort Herz wird von uns in zweifachem Sinne gebraucht. Wir verstehen darunter zuerst das körperliche Herz aus Fleisch und Blut, das wir in unserer Brust tragen und das das edelste und wichtigste Organ unseres Leibes ist. – Dann bezeichnen wir mit dem Worte Herz auch noch die Gesinnung eines Menschen, von der er sich in seinem Wollen und Streben und seinem ganzen Gemütsleben leiten und beherrschen läßt. Wir sagen von jemand, er hat ein gutes Herz, oder er hat ein verdorbenes Herz, und meinen damit nicht sein leibliches Herz, sondern die seelischen Stimmungen, Neigungen, Richtungen und Absichten, von denen sein Tun und Lassen regiert wird. Ganz besonders verstehen wir in diesem geistigen Sinne unter Herz das Schönste und Edelste, was es im Menschen gibt: seine Liebe, die er durch Wille und Gemüt offenbart; denn die Liebe ist schließlich der tiefste und entscheidenste Beweggrund für alles Streben und Handeln.
In dieser zweifachen Bedeutung nun, in leiblicher und geistiger, fassen wir auch das heiligste Herz Jesu auf, wenn wir von ihm sprechen und es zum Gegenstand unserer Verehrung machen. – Zuerst denken wir dabei an das körperliche Herz des Heilandes, das während seines Erdenwandels in seiner heiligen Brust geschlagen hat und im Himmel und in der heiligen Eucharistie immer noch in seinem verklärten hochheiligen Leibe schlägt. Wir denken dabei an jenes Herz, das, wie Papst Pius IX. so schön sagt, „von der Lanze durchbohrt und verwundet wurde… dessen Wunde Wasser und Blut entströmten, die uns Quellen des Heiles geworden sind.“ (Seligsprechungs-Breve der seligen Margareta Maria Alacoque 1865)
Allerdings verehren wir dieses Herz nicht getrennt vom Leibe des Heilandes – es war ja in Wirklichkeit nie getrennt -, sondern wir verehren es als das edelste und wichtigste Organ der heiligsten Menschheit Jesu, das in unzertrennlicher Vereinigung mit der Person des göttlichen Wortes wahrer Anbetung und göttlicher Huldigung würdig ist. Wie das kostbare Blut des Heilandes, wie sein heiliges Antlitz und seine schmerzlichen Wunden Gegenstand unserer besonderen anbetenden Verehrung sind, so auch mit Recht sein Herz, weil es ein wahrhaft göttliches Herz ist und „weil, was immer an Ehre, Willfährigkeit und Andacht dem göttlichen Herzen erwiesen wird, wahrhaft und wirklich Christus dem Herrn selbst geschieht“. (Leo XIII. in seinem Rundschreiben über die Weihe der Menschheit an das Herz Jesu, 25. Mai 1899).
Doch beim leiblichen Herzen des Heilandes bleiben wir in der Herz-Jesu-Verehrung nicht stehen. Dieses ist uns vielmehr ein Sinnbild und ein wunderbar herrliches Gefäß für das geistiges Herz Jesu, für seinen gottmenschlichen Willen mit all seinen heiligen Regungen, Neigungen und Betätigungen. Wir verstehen unter den Worten „Herz Jesu“ nämlich auch das ganze innere, geistige Leben des Herrn, sein Wollen und Wünschen bei seinem Tun und Lassen. Ganz vorzüglich aber denken wir dabei an das Ergreifendste und Herrlichste am Heilande: an seine gottmenschliche Liebe, weil sie die höchste und strahlendste Offenbarung seiner edlen Gesinnung und seines tiefen, heiligen Gemütslebens ist.
Ich sage, die „gottmenschliche“ Liebe Jesu ist Hauptgegenstand in der Andacht zu seinem heiligsten Herzen. Darunter ist zu verstehen seine göttliche und menschliche oder seine unerschaffene und erschaffene Liebe. Denn weil Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch ist, darum hat er einen göttlichen und menschlichen Willen, die ihn zu göttlicher und menschlicher Liebe befähigen. Mit seiner göttlichen Liebe hat er seinen Vater und auch uns von Ewigkeit her geliebt, schon vor seiner Menschwerdung. Diese göttliche Liebe hat ihn gedrängt, eine menschliche Natur und damit ein wahres, liebewarmes Menschenherz anzunehmen. Seit seiner gnadenvollen Menschwerdung konnte er uns dann auch mit menschlicher Liebe lieben. Diese menschliche Liebe offenbarte er uns am rührendsten in seinem Leiden und Sterben und in der Einsetzung des allerheiligsten Altarsakramentes, wo er nicht nur mit göttlicher, sondern auch mit ganzer menschlicher Freiheit aus Liebe uns seinen heiligsten Leib als Opfer und Seelenspeise schenkte.
Die gottmenschliche Liebe des Heilandes richtet sich nun sowohl auf seinen Vater wie auch auf uns Menschen, und beides verehren wir in der Andacht zu seinem heiligsten Herzen. Doch am meisten denken wir dabei an seine große Liebe zu uns. Diese Liebe drängt uns nämlich am natürlichsten zu dankbarer Gegenliebe, und darin besteht der Hauptzweck der Herz-Jesu-Verehrung, wie wir noch sehen werden. Jeder von uns kann und muss sprechen wie der hl. Paulus: „Er hat Mich geliebt und sich für mich dahin gegeben!“ (Gal. 2,20)
Nach diesen Erläuterungen besteht die wahre Herz-Jesu-Andacht also in der Verehrung der grenzenlosen Liebe Jesu vereint mit der Verehrung seines leiblichen Herzens, das Sinnbild und Offenbarung dieser Liebe ist. Kurz und unübertrefflich klar hat der Heiland selbst dies ausgesprochen, da er der seligen Margareta Alacoque sein göttliches Herz in Liebesflammen zeigte mit den Worten: „Siehe mein Herz, das von so großer Liebe zu den Menschen entbrannt ist!“ Auf Jesu leibliches Herz schauen und darin seine glühende Liebe erkennen und verehren: das ist die wahre Herz-Jesu-Andacht.-
aus: Hermann Fischer SVD, Herz-Jesu-Segen, Gebet- und Kommunionbuch, 1920, S. 1 – S. 4