Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Oströmisches Reich oder Byzantinisches Reich
Die östliche Hälfte des römischen Reiches nach dessen endgültiger Teilung 395, die im Verlauf der Geschichte den Gegensatz zwischen der germanisch-romanischen und der griechisch-slawischen Welt zur Folge hatte. Das Oströmische Reich hat bis zu seinem Untergang bewußt und überzeugt den Gedanken gepflegt, die rechtmäßige Fortsetzung des römischen Weltreiches in der durch Konstantin den Großen ihm gegebenen christlichen Gestalt zu sein; deshalb nannten sich seine Herrscher Kaiser der Römer und deren Untertanen Römer (Romäisches Reich). Es erhob stets, wenigstens ideell, auch den Anspruch auf die Beherrschung der Ökumene. Innerlich ist es gekennzeichnet durch die Christianisierung des mit orientalischen Elementen verschmolzenen Griechentums hellenistischer Prägung und durch starke Verquickung der kirchlichen und politischen Belange bis zur Vorherrschaft des Staates über die Kirche (Byzantinismus). Seine weltgeschichtliche Bedeutung liegt darin, daß es ein Jahrtausend für Westeuropa der Schutzwall gegen Slawen und Islam war. Auch die Byzantinische Literatur und die Byzantinische Kunst haben anregend auf dem Westen gewirkt. –
Schon in der ersten zeit seines Bestandes war das Oströmische Reich durch Germanen und Hunnen bedroht. Ein Jahrhundert später begannen die Einfälle slawischer Stämme und der finn.-tatar. Bulgaren (493). Gleichzeitig lag es im Kampf mit den Persern. Den Gipfel seiner Macht erstieg das Oströmische Reich unter Justinian I. (527-65). Seine Nachfolger vermochten es nicht auf dieser Höhe zu halten. Zwar schlug Heraklius (610-41) die Perser, die bereits Jerusalem (614) und Ägypten (619) erobert hatten, bei Ninive 627 entscheidend und hielt die Avaren und Slawen auf; aber in den Arabern erstand ein neuer furchtbarer Gegner. Syrien, Mesopotamien, Ägypten und Nordafrika gingen rasch an sie verloren. Die Abtrennung dieser national verschiedenen Teile diente anderseits der inneren Festigung: das Oströmische Reich wies nunmehr eine nach Sprache und Religionsbekenntnis einheitliche Bevölkerung auf.
Der Dynastie des Heraklius folgten die syrischen oder isaurischen (717-820), dann die phrygischen (820-67) Kaiser. Sie vertieften den Bilderstreit (726 bis 787 u. 842) die Entfremdung mit dem Westen. Nach außen verteidigte sich das Oströmische Reich glücklich gegen die Araber (672-77 jährliche Angriffe auf Konstantinopel, 717-18 Belagerung) und Slawen, konnte jedoch die Entfaltung der arabischen Seeherrschaft im Mittelmeer nicht mehr hindern. In die Zeit der armenischen (makedonischen) Dynastie (867-1081) fallen die Wiederherstellung der byzantinischen Seemacht (965), die Niederwerfung der Bulgaren (971 u. 1014), die Christianisierung der Russen und die endgültige kirchliche Trennung von Rom (1054).
Die Dynastie der Komnenen und Angeli (1081 bis 1204) brachte durch Zurückgreifen auf antike Muster eine literarische Wiedergeburt, die aber die natürliche Entwicklung der lebenden Volkssprache künstlich unterbrach. Es gelang auch noch, das Reich gegen Normannen, Seldschuken, Petschenegen und Kumanen zu schützen, bis es infolge der Reibereien mit dem Westen während der Kreuzzüge und infolge innerer Wirren durch die Lateiner unter Führung des venezianischen Dogen Enrico Dandolo zertrümmert wurde. Nun bestanden neben einander: das lateinische Kaisertum in Konstantinopel (1204-61), das Kaisertum des Theodor Laskaris und der Paläologen in Nicäa, das Reich der Komnenen in Trapezunt (bis 1462), das Reich von Epirus, endlich die fränkischen Herrschaften in Hellas und auf den Inseln. Das lateinische Kaisertum wurde 1261 von den Paläologen gestürzt; damit war das Oströmische Reich mit Konstantinopel als Hauptstadt wieder hergestellt. Innere Zwiste ermöglichten es aber den Osmanen, von Kaiser Johannes VI. Kantakuzenos gerufen, schon 1354 sich in Europa (Kallipolis) festzusetzen. Das Ende des Oströmischen Reiches, durch Timurs Sieg bei Angora über die Osmanen 1402 nochmals verzögert, erfüllte sich mit der Erstürmung Konstantinopels (29.5.1453) durch Sultan Mohammed II. In das Erbe Konstantinopels als Schutzmacht des orthodoxen Ostens trat Moskau ein. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. VII, 1935, Sp. 824 – Sp. 35