Herz-Jesu-Litanei Anrufung Lobspruch Bitte
Nach Anweisung unseres göttlichen Lehrmeisters soll unser Gebet immer Geist und Wahrheit sein. Dazu ist aber notwendig, daß man wisse und verstehe und zu Herzen nehme, was die Gebete der Kirche enthalten. Die Litanei zum Herzen Jesu ist ein gar tiefsinniges Gebet und bei aller Kürze der 33 Anrufungen reich an Geist und Wahrheit.
Die Litanei zum göttlichen Herzen fängt damit an, daß zuerst fünfmal Christus Herr, dann jede der frei göttlichen Personen und endlich die gesamte heiligste Dreifaltigkeit angerufen und um Erbarmung angefleht wird. – Dann folgen dreiunddreißig Bitten, welche sich ausschließlich an das göttliche Herz Christi des Herrn richten. Jede derselben besteht aus drei drei Teilen. Zuerst wird immer das „Herz Jesu“ angerufen; dann folgt ein Lobspruch oder die Bezeichnung einer besonderen Eigenschaft dieses Herzens; endlich bittet man es um Erbarmung. Jeder dieser Teil will wohl verstanden und beherzigt werden. Reden wir also von jedem derselben ein kurzes Wort.
Der Notschrei
Ist ein Mensch in äußerster Bedrängnis, daß er zum Beispiel grausame Schmerzen leidet, oder in Gefahr zum Ertrinken ist und sucht er bei andern Abhilfe, so studiert er nicht lange Reden aus, sondern ruft und schreit immer nur und anhaltend das eine: „O helft mir doch, erbarmt euch meiner!“ und dergleichen.
In der heiligen Schrift wird erzählt, wie der Prophet Elias das abscheuliche Götzentum bei den Juden abgeschafft hat. Um den Abtrünnigen recht klar zu zeigen, wie ihre Götter rein nichts sind als Menschenwerk, hat er den Götzenpriestern befohlen, sie sollten, von Baal, der vermeintlichen Gottheit, Feuer vom Himmel erbitten, um ihre Opfer zu verzehren. Die Götzendiener taten es und riefen nun vom Morgen bis zum Mittag ununterbrochen: „Baal, erhöre uns! Baal, erhöre uns!“ Natürlich war alles umsonst. Da ging nun Elias ins Gebet zum wahren Gott. Auch er hielt keine lange Rede, sondern verrichtete nur ein kurzes, aber herzliches Gebet und fand alsbald Erhörung. Er sprach und betete: „Erhöre mich, o Herr! Erhöre mich, damit dieses Volk erkenne, daß du der Herr, Gott, bist, und bekehre du wieder ihr Herz!“
Im Neuen Testament wird erzählt, wie der Heiland eines Tages in Begleitung vielen Volkes von Jericho nach Jerusalem gewandert ist. Da saßen zwei arme Blinde am Wege. Als sie hörten, daß Wundertäter, Jesus von Nazareth, vorüber ziehe, fingen sie an, laut zu schreien: „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich unser!“ Viele aus dem Volk verwiesen ihnen das Schreien und hießen sie schweigen. Sie aber schrien in ihrer Not nur umso mehr: „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich unser!“ Der Herr erbarmte sich ihrer wirklich und gab ihnen das Augenlicht.
Eine solche Gebetsweise von kurzen inständigen Anrufungen und Bitten ist auch in der katholischen Kirche schon in uralter Zeit in Gebrauch gewesen und wurde abwechselnd vom Priester und vom Volk verrichtet. Der Priester spricht die Anrufung Gottes oder der Heiligen vor, und das Volk antwortet mit der Bitte um Erbarmung, Erlösung, Erhörung oder um Fürsprache bei Gott. Diese Gebetsweise nennt man Litanei.
Solcher Art ist auch die Litanei zum Herzen Jesu. Sie ist ihrem ganzen Wesen nach ein Hilferuf, ein Bittgebet. Dreiunddreißig Mal ruft man darin zum Herzen des göttlichen Erlösers um Erbarmen. Nun bittet aber niemand einen andern um etwas, wenn er von ihm nichts braucht oder wenigstens meint, er brauche von ihm nichts, oder der andere könne oder wolle ihm nichts geben.
Soll demnach das Gebet der Herz-Jesu-Litanei dir wirklich vom Herzen kommen, Geist und Wahrheit sein, so ist das allererste, daß du dein Herz auch in die Stimmung eines Bettlers versetzest. Du musst dich elend, arm und der Erbarmung deines Heilandes bedürftig wissen und fühlen. Es gibt nicht viele Menschen, welche nicht von Jammer, Elend und Not umlagert wären und Hilfe brauchen. Wärest du aber auch der glücklichste Mensch von der Welt, so fehlt dir doch noch vieles und großes, und es steht nicht gut mit dir, wenn du es kaum weißt, viel weniger danach begehrst. Hast du Liebe zu Gott, eine Liebe von ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Gemüt über alles? Liebst du den Nächsten wie dich selbst? Bist du sanftmütig und demütig von Herzen? Bist du frei von Neid und Schadenfreude, von Rachsucht, Haß und Zorn? Bist du nie geplagt worden vom „Stachel des Fleisches“, der dich in den Sumpf unlauterer Lust hinein treibt? Bist du nicht von schwachem Willen, daß du dir zwar das Gute vornimmst, hintennach aber nie ausführst? Sieh! Das sind größere Übel als Pest, Hunger und Krieg. Sollst und willst du nicht Hilfe suchen? Und wärest du auch ganz unschuldig und ein großer Heiliger, kannst du nicht jeden Augenblick in eine schwere Sünde fallen, darin sterben und dann jämmerlich für immer und ewig verloren sein? Brauchst du also nicht fortwährend die mächtige Hilfe deines Erlösers? Muss dich dieser andauernde, lebenslängliche Notstand nicht antreiben, ihn dringend anzurufen, daß er sich doch deiner erbarme?
Wenn dir damit nicht Ernst ist, wirst du auch keine Hilfe bei ihm finden, wenn du auch dreiunddreißig Mal mit den Lippen sagst: „Erbarme dich meiner!“ Die heilige Gottesmutter hat in ihrem edlen Magnifikat sehr wahr gesprochen: „Die Hungrigen hat Gott mit Gütern erfüllt, die Reichen aber“ – welche meinen, sie brauchen von Gott nichts – „hat er leer davon gehen lassen.“ Du musst also vor allem Hunger haben, das heißt: ein ernstes Verlangen nach den Schätzen und Gaben des Heilandes mitbringen, wenn du willst, daß sein Herz sich deiner erbarme und dich mit seinen Gütern erfülle. Vertiefe und versenke dich also jedes Mal, wenn du diese Litanei beten willst, vorerst recht in dein Elend, in deine Not. Dann wird dir schon von selbst wahr und ernst der Ruf aus dem Innersten aufsteigen: „O Herz Jesu, erbarme dich unser!“
Die richtige Adresse
Die Anrufungen der Litanei richten sich alle an das Herz unseres göttlichen Erlösers. Warum denn nicht lieber an die Person des Heilandes selber, wie zum Beispiel bei der Namen-Jesu-Litanei?
Darauf ist zu antworten: Man halte sich vor allem vor Augen, was die katholische Kirche unter dem Herzen Jesu versteht und verstanden wissen will. Sie hat sich hierüber kurz und bündig ausgesprochen. So erklärte Papst Pius VI. am 30. Mai 1871: „Das Wesen dieser Andacht besteht darin, daß wir nämlich die maßlose Liebe und Hingebung unseres Erlösers in seinem Herzen, als ihrem Sinnbild, betrachten und verehren.“ Und die Kongregation des heiligen Ritus erklärte am 6. Februar 1765: „In dieser Andacht wird im Sinnbild“ (des leiblichen Herzens) „die Erinnerung an jene Liebe erneuert, in welcher der Eingeborene Sohn Gottes die menschliche Natur annahm, gehorsam wurde bis zum Tode, und sich als Muster der Nachfolge für die Menschheit aufstellte, weil er sanft sei und demütig von Herzen.“
Wenn der Gläubige sich also bei dieser Andacht zunächst an das leibliche Herz des göttlichen Erlösers wendet, so bleibt er dabei nicht stehen; sofort steigt er auf und denkt an die Liebe, Güte, Erbarmung und die Tugenden desselben, wofür ihm das Herz zum Sinnbild dient. Daß nun dieser Gegenstand in besonderer Weise verehrt, angebetet, geliebt werde, dafür gibt es mehrere wohl erwogene Gründe. Es sind nämlich die eigentümlichen Vorzüge und Herrlichkeiten desselben, welche gerade in dieser Litanei bezeichnet werden durch die Lobsprüche, welche die heilige Kirche ihm erteilt.
Alle diese Gründe gelten auch dann, wenn wir Hilfe suchen bei unserem göttlichen Heiland. Für den Fall der Not gibt es nun einen eigenen, besonderen Grund, weswegen wir den Ruf ans Herz des Herrn richten.
Wenn wir Menschen von einander etwas brauchen und bitten, so pflegen wir nicht zu sagen: „Sei so gescheit, sei so groß, sei so schön!“ sondern wir sagen: „sei doch so gut!“ Wir richten unsere Bitte an seine Güte, an sein Mitleid, an sein Herz; von diesem erwarten wir Hilfe, nicht von seinem Verstande. Und so ist es auch ganz einfach und natürlich, daß der Christ mit seiner Bitte sich an die Liebe, an die Güte, an das Mitleid, an das Herz Jesu wendet. Die Litanei zum heiligsten Herzen Jesu ist aber, wie gesagt, wesentlich ein Bittgebet.
Es hängt ferner die Erhörung unseres Gebetes sehr ab vom Vertrauen, mit welchem wir zu Gott bitten. Damit nun der Gläubige recht Mut bekomme für sein Bittgesuch, sagt ihm die Kirche gleichsam: „Habe nur recht Vertrauen; dein Heiland Jesus hat ja Liebe, Mitleid, Erbarmung, hat ein Herz für dich; fasse ihn bei diesem seinem guten Herzen, er hat es gerne, daß du dich an seine Liebe wendest. Hat er uns ja gelehrt, unser Gebet an Gott nicht mit den Worten: O schrecklicher Herr, sondern Vater unser anzufangen, damit wir recht kindlich und zutraulich zu ihm reden sollten. Was also das „Vater unser“ zu Anfang der sieben Bitten, das soll das Wort „Herz Jesu“ vor jeder der 33 Notrufe bewirken; es soll dich mit großem Vertrauen zum Heiland erfüllen.
Ich gebe dir daher, lieber Christ! den Rat: wenn du in einer Not die Litanei zum Herzen Jesu beten willst, so denke zuvor einige Augenblicke, wie der Heiland vordem immer gegen alle Hilfsbedürftigen so gütig gewesen ist, wie er selber alle Mühseligen und Beladenen zu sich gerufen und verheißen hat, sie zu erquicken, wie er, um uns zu retten, freiwillig in den Tod gegangen ist; kurz, denke an das Mitleid, an die Erbarmung, an die Liebe seines guten Herzens für alle Notleidenden! Dann wird es dich von selber treiben, dich geradezu an diese seine unermeßliche Güte zu wenden und zu rufen: „O Herz Jesu; erbarme dich unser!“
Der Ehrenpreis
Mit der flehentlichen Ansprache an das Herz des Herrn ist in der Litanei jedesmal noch ein kurzer Spruch über das heiligste Herz verbunden, z. B. daß es von der Lanze durchbohrt worden, daß es der Tempel Gottes sei. In diesen Sprüchen liegt ungemein viel Geist und Wahrheit. Wenn du sie wohl verstehst, werden sie wesentlich beitragen, deine Bitten fruchtbar zu machen.
Sie enthalten erstlich, ich möchte sagen, eine Beschreibung des göttlichen Herzens. Sie sagen uns, was dieses Herz an sich, und was alles es für uns ist, was der Heiland für ein Herz hat. Indem die heilige Kirche uns diese Litanei anbietet, sagt sie uns, ihren Kindern, was sie selbst von diesem Herzen denkt, und was wir von demselben zu glauben, und wie wir es zu verehren haben. Jeder Spruch zeigt uns dieses Herz gleichsam von einer neuen Seite und in einer neuen Schönheit, und alle zusammen geben uns von ihm ein prächtiges Bild, welches die Kirche uns zur Beschauung vorstellt.
Diese Sprüche sind wie eine Festpredigt auf das göttliche Herz, denn sie sagen uns in kurzen aber sinnreichen Worten, warum wir demselben Anbetung, Hochachtung, Verehrung, Liebe, Dank, Mitleid und Nachahmung schuldig sind.
Die Litanei ist auch wie ein Blumenkranz, welchen die Braut des Herrn, die heilige Kirche, dem Herzen ihres Bräutigams geflochten hat, und welchen demselben jeder Betende immer wieder von neuem windet. Jeder Spruch ist eine wunderschöne und duftende Blume, die du dem Herrn aus Verehrung für sein Herz anbietest
Die Litanei ist auch ein Betrachtungsbuch, ein tiefer Brunnen, aus welchem du reichlich schöpfen magst, was du brauchst, um deine Andacht zum göttlichen Herzen immer frisch zu erhalten und zu immer gedeihlicherem Wachstum zu bringen…
Endlich liegen in den dreiunddreißig Sprüchen ebenso viele Beweggründe und Aufmunterungen, mit rechtem Mut und starker Hoffnung das göttliche Herz um Hilfe anzurufen. Sie zeigen uns dasselbe als ein Schatzkästlein, in welchem unermeßliche Gaben und Reichtümer für uns aufgehäuft sind. Jeder Spruch weist auf ein neues Kleinod, und jeder sagt immer wieder, daß der Heiland davon auch jedem gerne geben will, der sie bei ihm sucht.
Der Heiland hat uns durch die selige Margareta M. Alacoque wiederholt das Versprechen gegeben, er wolle denjenigen, welche sein heiligstes Herz würdig verehren, ungewöhnliche Gnaden geben. Du verehrst aber dasselbe mit jedem Lobspruch der Litanei, indem du gläubig erkennst und bekennst, daß es ein über alle Herzen erhabenes, göttliches, gütevolles, liebereiches Herz sei. Du darfst also auch aus diesem Grunde hoffen, daß dein Bittgesuch um Erbarmung Erhörung finden werde. Übrigens hat der Herr in der Güte seines Herzens alle Mühseligen, Beladenen und Notleidenden ausdrücklich zu sich gerufen, sie sollten doch kommen, er wolle ihnen Erquickung in ihren Mühen, Arbeiten und Nöten geben. Wenn du nun selber zu ihm kommst, abgeschickt von der heiligen Kirche, also gleichsam an der Hand deiner Mutter, seiner geliebten Braut, und dreiunddreißig Mal sein Herz anrufst, so wird er dich doch gewiß nicht von sich weisen und dir sagen: „Ich erbarme mich deiner doch nicht.“ Solches vermagst du selber von seinem guten Herzen nicht zu glauben.
Und jetzt noch eines. Unter allen Übeln, welche unsere Zeit so armselig machen, ist wohl das allergrößte dieses, daß unter den Leuten der wahre, heilige Glaube matt wird, bei vielen gänzlich abstirbt und infolge davon auch die Liebe abnimmt und erkaltet. Damit wird der Mensch von Gott, seinem einzigen Helfer und Erlöser, losgerissen und muss zeitlich und ewig jämmerlich zugrunde gehen. Den entgegen tut es also gewaltig not, daß der katholische Christ immer wieder seinen Glauben und seine Hoffnung auf Jesus Christus, seinen Gott und Erlöser, auffrische und stärke. Dazu ist aber gerade dies andächtige Beten der Litanei zum göttlichen Herzen sehr geeignet. Die 33 Anrufungen bringen uns die wichtigsten Glaubens-Wahrheiten über Jesus Christus in Erinnerung, stellen uns den Heiland in seiner ganzen Liebenswürdigkeit vor die Seele, und das andächtige Beten derselben von einzelnen oder einer ganzen Gemeinde ist jedesmal eine Übung und ein Bekenntnis des Glaubens an unsern göttlichen Erlöser. Das oftmalige Beten dieser Litanei ist also ein vorzügliches Heilmittel gegen das gefährlichste Übel unserer Zeit. –
aus: Hattler, Franz Ser., SJ, Herz-Jesu-Ehrenpreis, Erklärung der Litanei vom heiligsten Herzen Jesu, 1902, S. 10 – S. 19