Heiligenkalender
10. Mai
Die heilige Solongia von Villemont, Jungfrau und Märtyrerin
(Falsche Liebe)
Schon die Heiden haben erkannt, daß es eine zweifache Liebe gibt, wovon die eine von der andern wie Himmel und Erde unterschieden ist, und haben die edlere Liebe Urania, die himmlische, genannt. In der Geschichte der hl Solongia kommen beide Arten vor und es zeigt sich so recht grell, wie die sinnliche Liebe gerade das Gegenteil von der himmlischen Liebe ist, und eigentlich gar nicht Liebe, sondern Begier heißen sollte.
Es sind vielleicht bald tausend Jahre schon, daß in einem Dorf des fränkischen Reiches, in Villemonte, ein Rebmann wohnte, welcher ein Mädchen hatte, das an Leib und Seele zugleich ausnehmend schön war. Die Eltern waren selbst gute Christen und ließen sich deshalb ernstlich angelegen sein, ihr Kind von früher Jugend an im Christentum zu unterweisen; insbesondere flößten sie ihm einen unauslöschlichen Haß gegen die Sünde ein, und einen Abscheu gegen Alles, was im Geringsten die Augen der göttlichen Majestät beleidigen konnte. Diese fromme Erziehung bereitete wunderbar die junge Seele vor, um die Saat der göttlichen Gnaden in sich aufzunehmen und reiche Frucht zu bringen.
Schon als Kind von sieben Jahren fing Solongia an, Jesus Christus innig zu lieben und seinen heiligsten Namen oft mit süßer Andacht auszusprechen, indem derselbe ihrem Herzen tief eingeprägt war. Sie wählte sich den Herrn als ihre einzige Liebe und wollte nur allein ihm angehören; sie entschloß sich daher stets in jungfräulichem Stand zu bleiben.
Nicht weit von Villemonte war ein einsamer Platz, unangebaut und waldig, wohin selten Jemand kam. Jetzt wird jener Platz das Feld der hl. Solongia genannt und es steht ein hölzernes Kruzifix dort zum Andenken dessen, was dort geschehen ist. Weil man dort so ungestört verweilen konnte, so ging das fromme Mädchen, so oft sie nicht durch Arbeit verhindert war, an jenen stillen Ort, oder weidete auch ihre Herde dort. Hier gab sie sich nämlich ganz dem Gebet und geistlichen Unterredungen mitGott hin; besonders stellte sie hier Betrachtungen an über den Heiland, wie er am Kreuz seinen Geist aufgibt, und opferte sich in Liebe zu ihm demselben gänzlich auf.
Während aber Solongia nur die Ehre und Verherrlichung Jesu Christi suchte, so verherrlichte er auch wieder diese treue Seele vor den Menschen. Es wird von ihr erzählt, daß Besessene durch sie von der Plage der bösen Geister befreit wurden, wenn nur ihr Schatten auf sie fiel, daß sie Sturm und Ungewitter abgewendet oder gestillt habe. Und wie sie durch ihr reines gottgetreues Leben den ersten Menschen vor dem Sündenfall gleich war, so wurde ihr gleichsam auch einiges von den Vorrechten vergönnt, welche die Menschen im Paradies besaßen, nämlich daß ihr die Tiere gehorsam waren. Wenn zuweilen eines ihrer Schafe von der Herde sich entfernte und an fremdem Feld weidete, so machte es Solongia nicht wie gewöhnlich die Hirten; sie rannte nicht darauf los, brach nicht in heftiges Geschrei aus, hetzte nicht die Hunde, warf nicht mit Steinen oder Grundschollen, schlug nicht mit ihrem Hirtenstab, sondern ohne Zorn und ohne Gewalt rief sie die Schafe lediglich zurück durch sanfte und leise Worte in der Art wie Engel zu reden pflegen. Ja, sie soll durch ihren bloßen Willen manchmal auf die Vögel, welche in jener Gegend die Saaten verwüsteten, gewirkt und sie vom Feld abgehalten haben.
Mehrere Stunden von dem Dorf der hl. Solongia lag die Hauptstadt des Bezirkes. Der Sohn des Statthalters hörte von der großen Schönheit des frommen Mädchens, und ritt aus Neugierde nach Villemonte unter dem Anschein, als wolle er in der Gegend Jagd halten. Er fand die heilige Jungfrau gerade an dem einsamen Ort, wo sie der Andacht wegen so gern verweilte. Den Jüngling erfaßte alsbald eine heftige Leidenschaft, da er Solongia erblickte; er stieg vom Pferd, grüßte sie höchst freundlich, und redete ihr die schmeichelhaftesten Dinge vor. Zuerst redete er noch mit einiger Zurückhaltung und Scheu von seiner Liebe, zuletzt gestand er ihr ganz offen, wie sein Herz ganz für sie eingenommen sei, ja er nannte sich ihren Diener und sie seine Gebieterin. Um aber die tugendhafte Jungfrau zu beruhigen, damit sie nicht eine sündhafte Zumutung oder argen Plan fürchte, so erklärte er ihr alsbald, daß er durchaus nichts anderes im Sinne habe, als sie zu seiner rechtmäßigen Gemahlin zu nehmen. Er stellte ihr vor, welche Ehre und welches Glück dies für ein armes Hirtenmädchen sei, wenn sie die Gemahlin eines so vornehmen und reichen jungen Mannes werde, wie er sei. Kurz er brachte alle Schmeicheleien und Versprechungen vor, welche nur ein Mädchen reizen können. –
Allein, da Solongia vom Heiraten sprechen hörte, erschrak sie darüber, weil sie einen Abscheu davor hatte; und um kurzweg alle Hoffnung und weiteres Zureden dem jungen Menschen abzuschneiden, antwortete sie mit ernstem, unfreundlichem Gesicht: „Ich habe mich von Kindheit an gänzlich Gott geopfert; gegen Den, welcher meinetwegen Mensch geworden und alles menschliche Elend auf sich genommen hat, gegen den gelten mir alle Liebhaber auf Erden nichts.“
Der Jüngling war zuerst überrascht eine so unverhoffte Antwort zu bekommen; Tausende hätten mit beiden Händen nach einem so glänzenden Antrag gegriffen, wie er, der Sohn des vornehmsten Mannes weit und breit, einem armen Bauernmädchen machte, nämlich sie zur Ehe zu nehmen. Voll Begierde und Übermut wollte er nun der Jungfrau Gewalt antun; sie wehrte sich und entfloh; er lief ihr nach, holte sie ein, nahm sie auf sein Pferd und ritt mit ihr im Galopp davon. Ungefähr 600 Schritte vom Platz, wo der Bösewicht die Jungfrau ergriffen hatte, war ein Bach, hier riß sich die Jungfrau plötzlich los und stürzte sich vom Pferd herab. Die wilde Begierde des gewalttätigen Menschen verwandelte sich nun auf einmal in Raserei und Mordlust; wütend zog er sein Schwert und führte eine Streich auf das Mädchen; dieses, tödlich getroffen, rief noch dreimal den Namen Jesus Christus und gab seinen reinen Geist auf.
Du siehst hier, was die sinnliche Liebe für einen Charakter hat; sie ist oft weiter nichts, als wüste Lust, welche die sogenannte Geliebte nicht liebt, sondern nur mißbrauchen will, und dieselbe sehr oft ins Verderben stürzt. Die hl Solongia wurde von dem Menschen, der ihr alle Liebe geschworen hatte, ermordet, weil sie seinen Willen nicht tat; wegen gleicher Ursache wurde Josef in Ägypten von dem Weib des Putiphar verleumdet, Susanna von den zwei Richtern auf den Tod angeklagt. Und doch ist dieses noch nicht das größte Übel, was die sogenannte Liebe des sinnlichen Menschen dem anderen zufügt. Josef und Susanna wurden durch Gottes Fügung selbst zeitlich gerettet, und die hl. Solongia wurde durch den gewaltsamen Tod, welchen sie erlitt, den Dem geführt, den sie über Alles liebte und der auch sie mit ewiger Liebe geliebt hat. Hingegen das ist das größte Unglück, was ein sittenloser Mensch der Person zufügt, die sich durch seine Liebesbeteuerung betören läßt und seinen schändlichen Zumutungen Gehör gibt, nämlich ihre Unschuld geht unwiederbringlich verloren, ihre Seele stürzt in die Todsünde und wird vor dem heiligen Gott zum Abscheu wie ein unreiner Ort, und sehr oft geht auch vor der Welt Ehre und guter Name zu Grunde – und ihr Leben auf Erden ist äußerlich und innerlich unglückselig, und zuletzt kommt erst noch die Angst vor der Ewigkeit. Fliehe deswegen alle Liebeserklärungen von einem sinnlichen Menschen, wie man eine schön farbige Schlange flieht; der Ausgang seiner Liebe ist oft eine Mordtat an einer Seele.
Solongia wurde alsbald nach ihrem Tod als eine Heilige verehrt, teils weil sie schon zu Lebzeiten wegen ihres heiligen Wandels berühmt war, teils wegen der Wunder, die auf ihre Anrufung geschahen. Später wurde ihr zu Ehren auch eine Kirche gebaut. Insbesondere sind zwei wunderbare Vorkommnisse aufgezeichnet, in welchen gleichsam das heilige Hirtenmädchen seine Nähe übernatürlich anzeigte. Es wurde nämlich ihr heiliger Leib in einen kostbaren Sarg eingeschlossen und zuweilen bei Prozessionen herum getragen; da geschah es einige Male, daß Leute, welche mit einer größeren Sünde befleckt waren, den Sarg nicht von der Stelle brachten, bis andere ihn trugen. Desgleichen kamen gewöhnlich einige tausend Menschen zusammen, wenn jährlich am 10. Mai ein feierlicher Umgang auf das Solongia-Feld gemacht wurde. Der Weg dorthin ist aber zu schmal um diese Menge Volkes zu fassen, daher wurden die nebenliegenden Getreidefelder ganz überlaufen und die Saat nieder getreten; aber alle Jahre stand das Getreide wieder nach zwei Tagen auf, wie wenn niemals damit das Geringste geschehen wäre. Auch war der Pfad, auf welchem Solongia zu ihrem einsamen Bet-Ort ging, viel schöner und stärker bewachsen, als der übrige Boden rings herum. –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 2 April bis Juni, 1872, S.196 – S. 200