Häretische Päpste? – Die Honoriusfrage
Vorbemerkung:
Als Schüler des Papstes Gregor des Großen, in dessen Fußstapfen er trat, entfaltete er nach allen Seiten hin eine lobenswürdige Tätigkeit, griff mit Nachdruck und Erfolg überall mit Belehrungen und Warnungen in die kirchlichen Verhältnisse ein und wurde von seinen Zeitgenossen als ein gelehrter, demütiger und ernster Hirte gepriesen. Unter ihm kehrten viele Schismatiker in Oberitalien und Illyrien zur Einheit der Kirche und zum Gehorsam gegen den hl. Stuhl zurück. In England machte die Christianisierung der Angelsachsen bedeutende Fortschritte. Im Orient glückte es dem oströmischen Kaiser Heraklius, die Perser in mehreren Schlachten zu besiegen und sie zu einem vorteilhaften Frieden zu zwingen. Alle Eroberungen mussten die Perser zurückgeben, alle Gefangenen freilassen und namentlich das hl. Kreuz zurückstellen (628). Im nächsten Frühling zog Heraklius mit dem hl. Kreuz nach Palästina und trug es auf seinen Schultern auf demselben Wege, auf welchen Christus der Herr es getragen hatte.
Von dieser Begebenheit datiert das Fest Kreuzerhöhung, welches die Kirche am 14. September feiert. Leider währte es nicht lange, daß Jerusalem unter christlicher Herrschaft blieb. Papst Honorius musste noch die Eroberung der Stadt durch die Mohammedaner erleben (637).
Honorius I. (625-638)
Durch Mangel an Vorsicht und Wachsamkeit der monotheletischen Irrlehre gegenüber hat Honorius die Kirche in eine nicht geringe Schwierigkeit verwickelt. Diese Irrlehre behauptete, daß in Christus nur ein Wille und eine Willenstätigkeit sei. Wir Katholiken aber lehren und glauben, daß, wie in Christus zwei vollkommene Naturen, die göttliche und die menschliche, vorhanden sind, so auch zwei Willen, ein göttlicher und ein menschlicher Wille. Klar finden wir das schon im Evangelium ausgedrückt, wo Jesus in Todesangst versenkt spricht: Nicht mein Wille, sondern der deine geschehe. Sein Wille ist der menschliche, welcher vor dem Leiden zurückbebt, des Vaters Wille ist zugleich der Wille Christi, insofern er Gott ist. Denn alle drei göttlichen Personen haben nur einen Willen.
Der Patriarch von Konstantinopel, Sergius, war von der Irrlehre angesteckt und wollte den Papst für seine Sache gewinnen oder wenigstens dahin bringen, daß er über die Frage von einem Willen oder von zweien Schweigen auferlege. Der Papst ging dem schlauen Griechen in die Falle. Honorius schrieb zwei Briefe, in welchen er in die Absicht des Sergius eingeht, man möge über diese Frage schweigen. Aus dem ganzen Inhalt beider Schreiben des Papstes geht hervor, daß er nicht einen einzigen, sondern einen geeinten, den menschlichen in Unterordnung und Einigkeit mit dem göttlichen Willen meint. Er wollte zeigen, daß es keinen Widerspruch in Christus gebe, sondern eine Willensrichtung. Jedoch gab der nicht klar und scharf genug bezeichnete Ausdruck Veranlassung, daß die Ketzer sich auf das Schweigen des Honorius zugunsten ihrer Irrlehre beriefen, und daß der Papst später der Ketzerei bezichtigt wurde (siehe den Beitrag: Das Anathem gegen Papst Honorius I.), obschon der Sinn, den er mit seinem Ausdruck verband, ein rechtgläubiger war.
Erst nach dem Tode des Honorius (638) und des Sergius beriefen sich die Monotheleten auf diese päpstlichen Schreiben. Wäre dies zu des Papstes Lebzeiten geschehen, hätte, dieser sich wohl genauer erklärt. Über den Sinn und die Tragweite der Briefe des Honorius konnte doch den klarsten und deutlichsten Aufschluss dessen Sekretär, der Abt Johannes geben. Dieser erklärte auf eine Anfrage: „Eine Leugnung des natürlichen menschlichen Willens sei in diesen Schreiben nicht enthalten, nur der sündhafte Wille werde in Abrede gestellt.“
Nichts desto weniger wollten die Gegner der päpstlichen Unfehlbarkeit im Jahre 1870 und auch noch jetzt den Papst Honorius I. mit aller Gewalt zu einem Irrlehrer stempeln. Sie berufen sich dabei auf das III. ökumenische Konzil von Konstantinopel im Jahre 680, auf welchem unter den Irrlehrern auch Honorius angeführt und verurteilt wurde. Papst Leo II. bestätigte das Konzil, nicht aber die Verurteilung des Honorius als Irrlehrer, sondern verurteilte und tadelte ihn insoweit, als er den Papst Honorius bloß der Nachlässigkeit in Verteidigung der Wahrheit bezichtigte. So wurde der gute Papst erst nach seinem Tode der Irrlehre geziehen, und mit seinem Schreiben Missbrauch getrieben, wo er nicht mehr sprechen und sich verteidigen konnte, während er zu seinen Lebzeiten hoch gefeiert wurde und der Abt Johannes von Bobbio, der ihn kannte, ihn als einen ehrwürdigen Vorsteher, einen klugen Ratgeber und als einen Mann von ausgezeichneter Gelehrsamkeit preist. –
aus: P. Andreas Hamerle C.Ss.R., Geschichte der Päpste 1907, S. 203 – S. 205