Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Ockham
Ockham, Wilhelm von, OMin, Philosoph und Theologe, Staatstheoretiker und Kirchenpolitiker, * zwischen 1290 und 1300 zu Ockham (England, Grafschaft Surrey), † 1349 oder 1350 zu München. Ockham studierte und lehrte in Oxford, zuletzt als Bakkalar. Der ihm häufig beigelegte Titel venerabilis inceptor bedeutet dasselbe wie der in Paris übliche Ausdruck baccalarius formatus. Ockham ist nie Magister geworden, wahrscheinlich weil ihn bald nach Vollendung seiner Sentenzen-Vorlesung 1324 der Oxforder Kanzler John Luterell bei Papst Johannes XXII. als Häretiker anklagte durch eine umfangreiche Schrift mit 56 Artikeln: als erste und zwar gründliche kritische Auseinandersetzung mit Ockhams System von ganz besonderer Bedeutung; Luterell erfaßt nicht nur die eigentlichen Wurzeln des Systems, sondern sieht auch klar die verderblichen Folgerungen, die sich aus ihm ergeben müssen. Ockham wurde daraufhin nach Avignon vorgeladen. Die Kommission, die der Papst zur Prüfung der Sache einsetzte, knüpfte aber nicht unmittelbar an Luterells Arbeit an, sondern legte Exzerpte aus Ockhams Sentenzen-Kommentar zu Grunde; die 51 Artikel, die so zustande kamen, decken sich nur teilweise mit denen Luterells; sie beschränken sich im wesentlichen auf theologisches Material. Die nach nach gemeinsamer Beratung von der Kommission gefällten Zensuren fanden offenbar nicht die Zustimmung des Papstes. Denn das zweite gemeinsam ausgearbeitete Gutachten enthält schärfere, ausführlicher begründete Zensuren. Ockham unternahm während während des Prozesses durch Rasuren und Ergänzungen in seinen Kollegheften Rechtfertigungs-Manöver. Der Prozeß, von dem man sich jetzt dank der glücklichen Funde A. Pelzers ein deutlicheres Bild machen kann, zog sich durch 4 Jahre hin, kam aber nicht zum Abschluß, da Ockham mit dem Ordensgeneral Michael von Cesena und dem Prokurator Bonagratia von Bergamo am 26.5.1328 aus Avignon entfloh und bei Ludwig dem Bayern in Pisa Schutz fand. Seitdem war Ockham erbitterter Gegner des Papstes und ein unermüdlicher Verteidiger des Kaisers. Mit ihm zog er 1330 nach München und unterstützte seine antipäpstliche Politik durch heftigste Kampfschriften. Nach Cesenas Tod 1342 nahm er das Ordenssiegel an sich und gab sich als Ordensvikar; erst spät (1348?) reichte er es dem damaligen Ordensgeneral Wilhelm Farnier zurück. Ob er sich vor dem Tode mit der Kirche versöhnte, ist unbekannt.
Ockhams kirchenpolitische Theorie zieht die Folgerung aus dem Dualismus von Objekt und Subjekt, Gott und Geschöpf, Glauben und Wissen, Übernatur und Natur: Kirche und Welt sollen radikal voneinander geschieden werden. Die Kirche kommt keine potestas directa über zeitliche Dinge zu; sie soll ein geistiges Reich der freien Kinder Gottes sein ohne Zwangsgewalt und einen Klerus haben, der durch die Erfüllung des Armutsgelübdes seine Abgeschiedenheit von allem Zeitlichen bekundet. Dementsprechend sieht Ockham`s letzte Schrift die Bedeutung des Papsttums in 3 Stücken: a) es bedeutet eine rein geistige Oberhoheit; b) eine Oberhoheit über Freie, nicht über Knechte; c) mag der Papst auch nach göttlichem Recht alles können, was zur Leitung der Gläubigen nötig ist, so sind dieser Vollmacht doch für gewöhnlich durch das kirchliche Recht Schranken gesetzt, die er nicht ohne Not und ohne den Rat der weisesten Männer überschreiten soll. In den älteren Schriften räumt Ockham dem Kirchenvolk und den von ihm erwählten Vertretern eine solche Bedeutung ein, daß man Ockham mit Recht als den Vater der konziliaren Theorie bezeichnen kann. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. VII, 1935, Sp. 667
Zu seiner Lehre siehe den Beitrag: Wilhelm Ockham und der Nominalismus