Leo XIII.: Die Kirche und die Völker der Welt – „Praeclara gratulationis“ v. 20.6.1894
Auszüge
Bitte an alle Völker, sich mit der Kirche zu vereinigen
An die heidnischen Völker
Gedrängt von der Liebe, die ja stets Uns dahin treibt, wo die Not am größten und die Hilfe am nötigsten ist, führt Uns Unser Geist zuerst und vor allem zu den unglücklichen Völkern, denen entweder nie das Licht des Evangeliums geschienen hat, oder die es zwar einst besessen, aber durch Nachlässigkeit oder durch unglückliche Zeitverhältnisse wieder verloren haben und daher in Unkenntnis Gottes und im tiefsten Dunkel des Irrtums wandeln.
Da nun alles Heil von Jesus Christus herkommt, und kein anderer Name den Menschen auf Erden gegeben ist, in welchem wir selig werden sollen (Apg. 4, 12), so ist dies Unser Herzenswunsch, dass bald der hochheilige Name Jesu in aller Welt genannt und verehrt werde. Dieser Aufgabe, die ihr von Gott geworden, nachzukommen, hat die Kirche zu keiner Zeit versäumt. Denn mit beharrlichem Eifer hat sie in den nun verflossenen neunzehn Jahrhunderten immer darauf hingearbeitet, dass noch allen Völkern die Pforten der Wahrheit, d. i. des katholischen Glaubens erschlossen würden.
Und auch heute noch eilen in Unserem Auftrag die Glaubensboten in großer Zahl über das Meer und in die fernsten Länder. Täglich bitten Wir Gott, dass er doch mehr Arbeiter in seinen Weinberg senden möge, Arbeiter, die, würdig ihres apostolischen Berufes, ihre persönlichen Interessen, ihre Gesundheit, und wenn es die Ausbreitung des Reiches Christi erforderte, auch ihr Leben willig zu opfern bereit sind.
Gebet
Du aber, Erlöser und Vater aller Menschen, Jesus Christus, o komm, erfülle bald, was du einst verheißen: du wollest, einmal von der Erde erhöht, alles an dich ziehen. Komm also endlich und kehre ein bei der unermesslichen Zahl derer, die deine größten Wohltaten, so du mit deinem Blut für alle erworben, bisher noch nicht verkostet. Lass sie zu dir gelangen, die da sitzen in der Finsternis des Wahnglaubens und im Schatten des Todes, dass sie, erleuchtet von den Strahlen deiner Weisheit und Gnade, in dir und durch dich vollendet seien in der Einheit.
An die Irrgläubigen
Indem Wir den Gedanken an diese wundervolle Einheit festhalten, ziehen an Unserem Geist vorüber alle Völker, die Gott in seiner unermesslichen Güte schon längst aus dem alten Wahnglauben zur wahren Weisheit des Evangeliums herübergerettet hat. Fürwahr, für uns gibt es nichts Angenehmeres, nichts, was uns kräftiger zum Preis der gütigen Vorsehung antreibt, als den Gedanken an jene alten Zeiten, da der göttliche Glaube noch allgemein als heiligstes Erbe und als unantastbarer Besitz galt, wo sämtliche Kulturvölker, so verschieden der Heimat, der Begabung und dem Charakter nach, ja mochten sie auch in allem übrigen auseinandergehen, in Sachen des christlichen Glaubens wie aus einem Munde redeten.
Um so schmerzlicher drückt nun auf die Seele bei dergleichen Erinnerungen das Bewusstsein, dass die unglückseligen Zeiten nicht ausblieben, wo falsche Verdächtigungen und Zwistigkeiten große und blühende Staaten von der Kirche getrennt haben. Bei all dem aber vertrauen Wir auf Gottes Gnade und Erbarmen. Er allein weiß die Zeit, wo hilfreiches Eingreifen am Platz ist; und in seiner Macht steht es, den Willen der Menschen nach Belieben zu lenken. In diesem Bewusstsein wenden wir uns an die von Uns getrennten Nationen: Wir ermahnen und beschwören sie mit Vaterliebe, doch allem, was uns trennt, zu entsagen und zur Einheit zurückzukehren.
Segnungen dieser Einigung
Ist nun diese doppelte Gefahr beseitigt und die Glaubenseinheit zwischen den verschiedenen Staaten wieder hergestellt, welche segensvolle Heilquelle gegen alle Übel würde dadurch der Welt geöffnet, und welch unermesslicher Strom von Gütern würde sich über die Menschheit ergießen.
Die gegenseitige Annäherung der Nationen würde gefördert werden
Außerdem würde dann die so außerordentlich segensvolle Annäherung der Nationen zustande kommen, die ja gerade in unserer Zeit besonders wünschenswert ist zur Verhütung unheilvoller Kriege. In welcher Lage sich Europa gegenwärtig befindet, das liegt klar von unseren Augen, zumal wir schon Jahre lang nur noch in einem Scheinfrieden leben. Und da die Menschen nicht mehr aufeinander vertrauen und Argwohn in ihrem Herzen sich eingewurzelt hat, so richten unstreitig fast alle Nationen ihr ganzes Sinnen und Trachten darauf, in den Kriegszurüstungen einander zu überbieten.
Deshalb werden die unerfahrenen Jünglinge der Obsorge und Aufsicht ihrer Eltern entrissen und in die Gefahren gedrängt, die mit dem Militärleben verbunden sind. In der Blüte der Jahre müssen diese jungen Leute ihre gewohnte Beschäftigung für eine bestimmte Zeit aufgeben; so z. B. trennen sie sich vom Ackerbau, Studium, Handel und Gewerbe, um dem Ruf zur Armee Folge zu leisten. Darum ist auch, wie es sich bei dem beträchtlichen Geldaufwand leicht erklären lässt, das Staatsvermögen erschöpft, die Privatleute sind an Hab und Gut geschädigt. Schon liegen zurzeit die Verhältnisse so, dass man den bewaffneten Frieden nicht mehr länger ertragen kann.
Oder sollte ein solcher Zustand menschlichen Zusammenlebens der Natur entsprechen? Und doch können wir uns nur dann davon frei machen und einen Frieden erlangen, der auch den Namen „Frieden“ in Wahrheit verdient, wenn uns Jesus Christus seine Gnade verleiht. Denn um den Ehrgeiz, die Eifersucht, die Gier nach fremdem Hab und Gut, – Leidenschaften, welche hauptsächlich die Flammen des Krieges schüren, – zu unterdrücken, kann nichts geeigneter sein, als die christliche Tugend, besonders die Gerechtigkeit.
Nur unter dem wohltätigen Einfluss dieser Tugend können wir von einer Unverletzlichkeit der Verträge und des Völkerrechts sprechen, nur dann wird die Menschheit durch die Bande der Brüderlichkeit dauernd aneinander gefesselt, indem jedermann von der Wahrheit des Ausspruches überzeugt ist: „Die Gerechtigkeit erhebt die Völker.“ (Sprichw. 14, 34)
Der Religionsstreit hat den Missionen sehr geschadet
Was nun das ewige Wohl der Völker angeht, so sind die Ratschlüsse des ewigen Gottes unendlich weit entfernt von der Einsicht der Menschheit. Wenn aber trotzdem der unheilvolle Un- und Irrglaube heute noch so sehr ausgebreitet ist, so ist davon größtenteils der unglücklichen Religionsspaltung die Schuld zuzuschreiben. Denn inwieweit die menschliche Vernunft aus den geschichtlichen Ereignissen sich ein Urteil bilden kann, so hat Gott Europa die schönste Aufgabe zuerteilt, die christliche Kultur nach und nach in alle Länder zu übertragen.
Denn der Anfang dieses so wichtigen Werkes und die Fortschritte, welche eine Frucht der Anstrengungen gewesen sind, berechtigten zu den schönsten Hoffnungen für das Gedeihen des heiligen Werkes der vorausgehenden Jahrhunderte.
Da plötzlich brach der Religionsstreit im 16. Jahrhundert aus. Da die Christenheit durch religiöse Streitigkeiten und Zerwürfnisse zerrissen war, und die Kräfte Europas durch Kämpfe und Kriege erschöpft wurden, so litt auch die Missionstätigkeit unter der unheilvollen Macht der damaligen Zeitverhältnisse. Nun sind aber die Ursachen der Uneinigkeit noch nicht beseitigt. Sollte man sich da noch wundern, wenn ein so großer Teil der Menschheit von menschunwürdigen Sitten und unsinnigen Gebräuchen beherrscht wird? –
aus: Carl Ulitzka, Lumen de caelo, Praktische Ausgabe der wichtigsten Rundschreiben Leo XIII. und Pius XI., 1934
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Bildquellen
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