Die liturgische Messfeier des zwölften Sonntags nach Pfingsten
Freitag der zwölften Woche nach Pfingsten
Die Kirche als barmherziger Samaritan (Samariter) (Lk. 10, 23-37)
1. „Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu haben?“ fragt der Gesetzeslehrer. Jesus antwortet mit der Gegenfrage: „Wie liesest du im Gesetz (des Moses)?“ Der Gesetzeslehrer: „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben. Und deinen Nächsten, wie dich selbst.“ Jesus antwortet ihm: „Du hast recht geantwortet. Tu das, so wirst du leben.“ Jener aber wollte sich rechtfertigen und fragte: „Wer ist denn mein Nächster?“
Jesus entwickelt die Parabel vom barmherzigen Samaritan und fragt dann den Gesetzeslehrer: „Welcher von diesen dreien nun scheint dir der Nächste von dem gewesen zu sein, der unter die Räuber gefallen war?“ Jener antwortete: „Der ihm Barmherzigkeit erwiesen hat.“ Jesus sprach zu ihm: „Gehe hin und tue desgleichen.“ Das ist des Herrn Gebot: Gehe hin und sei auch du der barmherzige Samaritan.
2. „Von der Frucht Deiner Werke, Herr, wird satt die Erde“ (Communio). Das Brot und der Wein der heiligen Eucharistie geben der Kirche die Kraft und die Verpflichtung, an der Menschheit der barmherzige Samaritan zu sein.
Der Mensch ist ja nicht bloß zu einem natürlichen Endziel berufen, zur Auswirkung seiner natürlichen Kräfte und Anlagen, sondern darüber hinaus zu einer alle geschöpflichen Kräfte und Anlagen überschreitenden Wesenserhöhung, zur Teilnahme am göttlichen Leben. Er soll mit göttlichen, heiligen und heiligenden Lebenskräften erfüllt und durchsättigt und in die Lebensfülle Gottes hineingenommen werden. Diese Erhebung des Menschen zum Mitbesitz der göttlichen Lebensfülle kann nicht das Werk des Menschen sein. Sie ist ganz und gar die Tat der freien, erbarmenden Liebe Gottes, ein Werk der Gnade.
Mit der Erschaffung des Menschen im Paradies hat Gott zugleich den Besitz der Gnade verbunden. Beides, Natur und Gnade, war dem Adam für uns alle gegeben. Adam sündigte. Wir sündigten in ihm, dem Haupt und Stellvertreter des gesamten Geschlechtes. So ist die Menschheit der unter die Räuber Gefallene.
Wer kann ihn retten und ihm das Leben der Gotteskindschaft wiedergeben? Nur Gott, durch Christus, in Seiner Kirche und durch Seine Kirche. Ihr hat der Herr den wein der Eucharistie, das Öl der Heiligungsgnade übergeben. Sie tritt mit göttlicher Kraft und Vollmacht ausgerüstet an die Menschheit heran. Sie will, sie muss an dem unter die Räuber Gefallenen den Dienst des barmherzigen, heilenden, lebenspendenden Samaritans tun. „Gehet hin und lehret alle Völker und tauft sie“ (Matth. 28, 18).
Seit zweitausend Jahren erfüllt die Kirche mit ungebrochenem Mut und einer heldenhaften Treue und Ausdauer diesen ihren Beruf, in der Kraft, die der barmherzige Samaritan in sie hineingelegt hat, da Er ihr die zwei Denare übergab: die Lehrgewalt und die heiligen Sakramente, insbesondere in der Kraft, die ihr vom eucharistischen Herrn zufließt. „Von der Frucht Deiner Werke, der heiligen Eucharistie, wird satt die Erde“, die Menschheit.
„Sorge für ihn!“ Das ist des Herrn Auftrag an die Kirche. „Sorge für ihn!“ In erster Linie für das Heil seiner Seele. Tue an ihm die Werke der Barmherzigkeit. Zuerst die Werke der geistigen Barmherzigkeit. „Für die Lebenden und die Toten beten“, vorzüglich für die an der Seele Toten beten, dass sie zum Lebender Gnade auferweckt werden. Und die Kirche betet ohne Unterlass. Sie tritt im heiligen Opfer, im kirchlich-liturgischen Stundengebet, ein anderer Moses, „vor das Angesicht des Herrn und fleht: Herr, was zürnest Du Deinem Volk? Halt ein mit dem Zorne Deines Herzens. Und besänftigt hält der Herr das Unglück zurück, das Er Seinem Volk angedroht hatte“ (Offertorium). „Die Sünder zurechtweisen, die Unwissenden lehren.“
Die Kirche wird nicht müde, sich der Unwissenden, vor allem der Sünder, anzunehmen, durch Belehrung, durch Ermahnung, durch die Spendung des heiligen Sakraments der Buße. Es ist das Sakrament der Barmherzigkeit. Da neigt sich die Kirche mitleidsvoll zu dem unter die Räuber Gefallenen. Er zeigt ihr seine Wunden. Sie gießt Öl der Gnade und der Verzeihung durch Gott auf die Wunden. Neues Leben erwacht. Heilige Freude kehrt in die bisher geängstigte Seele zurück, neuer Lebensmut. Ein neuer Wille und eine neue Kraft zum Reinen und Guten, eine mächtige Sehnsucht nach Gott, ein wonniger Friede.
So tröstet niemand, so heilt niemand, so erweist niemand Barmherzigkeit, wie die Mutter Kirche es tut im heiligen Sakrament der Buße. „Welcher von den dreien scheint dir der Nächste von dem gewesen zu sein, der unter die Räuber gefallen war?“ Der Levit, der Priester des Alten Bundes oder die Kirche des Neuen Bundes in ihrem hochheiligen Sakrament der Buße? Sie hat „den Dienst, der zur Rechtfertigung, zum Leben, zur Gottvereinigung führt“ (Lesung). Die Kirche Christi, sie allein! „Selig die Augen, die sehen, was ihr seht“, die Mutter Kirche, den von den Erlöserkräften des Herrn durchrieselten Leib Christi. „Selig, die hören, was ihr hört“, das lebengebende Wort aus dem Mund der Kirche: „Ego te absolvo – ich spreche dich los.“
3, Der heiligen Kirche ist der Dienst übergeben, der zur Rechtfertigung führt. „Welchen ihr die Sünde nachlassen werdet, denen sind sie nachgelassen; welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten“ (Joh. 20, 12). Eine richterliche Gewalt, die Gewalt nachzulassen und zu behalten. Ein Gericht, in welchem wir zugleich Ankläger und Zeugen sind. Von unserer Anklage, von unserer Wahrhaftigkeit in der Anklage und in dem Streben nach Umkehr und Besserung hängt es mit ab, o die Kirche an uns ihren Beruf des barmherzigen Samaritans ausüben kann oder nicht.
„Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, und hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört.“ Wir sehen, wir hören, wir besitzen und denken so wenig daran und danken nicht dafür!
Gebet.
Allmächtiger und barmherziger Gott, Dein Gnadengeschenk ist es, wenn Deine Gläubigen Dir würdig und untadelig dienen. Wir bitten Dich daher, verleihe uns, dass wir unaufhaltsam Deinen Verheißungen entgegeneilen. Durch Christus unsern Herrn. Amen. –
Quelle: Benedikt Baur OSB, Werde Licht, Liturgische Betrachtungen an den Sonn- und Wochentagen des Kirchenjahres, III. Teil Osterfestkreis, 1937, S. 297 – S. 301
Weitere liturgische Betrachtungen von Benedikt Baur OSB siehe unter. dem Stichwort Baur
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Bildquellen
- Rembrandt_Harmensz._van_Rijn_033: wikimedia