Die zwei Privilegien des Karmeliterskapuliers
Die Bruderschaft des Skapuliers vom Berge Karmel
Das Skapulier U. L. Frau vom Berge Karmel oder das Karmeliterskapulier ist ohne Zweifel das bekannteste, das berühmteste und am meisten verbreitete von allen kleinen Skapulieren. Spricht man beim Volk vom Skapulier schlechthin, so versteht man nur dieses darunter, und das Skapulierfest einfachhin ist das Fest U. L. Frau vom Berge Karmel am 16. Juli.
Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass dieses Skapulier das älteste ist, welches den anderen als Beispiel und Muster diente. Schon seit Jahrhunderten ist das Skapulier mit der Bruderschaft U. L. Frau vom Berge Karmel so unzertrennlich verbunden, dass das Skapulier das wesentliche und notwendige Abzeichen der Bruderschaftsmitglieder ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Bruderschaft und das Skapulier oder die Bruderschaft mit dem Skapulier gleichzeitig aufkamen.
Es scheint vielmehr, dass das kleine Skapulier, wie wir es wenigstens seit dem Ende des 16. Jahrhunderts kennen – in einem Brevier des Jahres 1585 und in der Ausgabe der Konstitutionen der Karmeliter vom Jahr 1586 ist die Mutter Gottes dargestellt, wie sie ein solch kleines Skapulier überreicht – jüngeren Ursprungs ist als die genannte Bruderschaft, die zu Bologna als Bruderschaft vom Berge Karmel sicher schon vor dem Jahre 1280 bestand.
Nach der alten Tradition sind mit dem andächtigen Tragen dieses Skapuliers zwei Privilegien verbunden, die auf Erscheinungen der Gottesmutter zurückgeführt werden und das Skapulier so berühmt und beliebt gemacht haben.
Das erste Privileg des Karmeliterskapuliers
Die Berichte der Karmeliter erzählen, dass die Mutter Gottes am Sonntag, den 16. Juli 1251 zu Cambridge in England dem hl. Simon Stock (1165-1265), dem sechsten und berühmtesten Ordensgeneral der Karmeliter, erschien, der schon seit langer Zeit ihren besonderen Schutz für seinen Orden anflehte. Sie hielt in der Hand das Ordensgewand der Karmeliter, und indem sie dem Heiligen dasselbe überreichte, sprach sie die Worte:
„Dies soll das Zeichen des Privilegs sein, das ich für dich und alle Kindes des Karmels erwirkt habe. Jeder, der mit diesem Gewand bekleidet stirbt, wird vor dem Feuer der Hölle bewahrt bleiben.“ (1)
Wohl tritt diese Überlieferung in solch bestimmter Form erst im Jahr 1642 zum ersten Mal auf, und zwar in einem Rundschreiben des hl. Simon Stock an seinen Orden, der dasselbe seinem Gefährten, Sekretär und Beichtvater Pater Swanyngton diktiert habe, und das in jenem Jahr veröffentlicht ward. Die Geschichtsforscher haben zur Genüge dargetan, dass man sich auf dieses Zeugnis als auf ein zuverlässiges geschichtliches nicht stützen kann. (2) Gleichwohl bleibt die Überlieferung ihrem Hauptinhalt nach durchaus glaubwürdig.
Nach allen Zeugnissen der Karmeliter ist es glaubwürdig, dass der hl. Simon Stock auf übernatürliche Weise des besonderen Schutzes der seligsten Jungfrau für seinen Orden und alle, die das Ordenskleid der Karmeliter tragen würden, versichert ward und dass Maria ihm auch verhieß: ihren besonderen Schutz im Tode denen zu gewähren, die in heiliger Treue das Ordenskleid zu ihrer Ehre bis an den Tod tragen würden, so zwar, dass dieselben vor der Hölle bewahrt bleiben sollten.
Allerdings wäre in dieser Fassung nicht ausdrücklich die Rede von den Mitgliedern der Skapulierbruderschaft und von dem kleinen Skapulier, aber dennoch, insofern die Verheißung auszudehnen ist auf alle, welche treu bis an den Tod in wahrer Andacht zur Mutter Gottes, als Mitglieder der Karmeliterbruderschaft dem Orden angeschlossen, dessen Kleid tragen.
Das erste Privileg gilt auch für das kleine Skapulier
Überhaupt fehlen uns bis heute die geschichtlichen Zeugnisse, dass in der Tat die Mitglieder der Bruderschaft vom Berge Karmel schon von der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts an als Abzeichen ein kleines Skapulier trugen. Es sprechen vielmehr manche Gründe dafür, dass das kleine Skapulier, wie wir es jetzt kennen und wie es wenigstens seit der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts in Gebrauch war, viel späteren Ursprungs ist und sich wohl erst im sechzehnten Jahrhundert allmählich sozusagen aus dem großen Skapulier und Ordenskleid der Karmeliter entwickelt hat. (3)
Dennoch bleibt auch so die obige Verheißung, welche man das erste Privileg des Karmeliterskapuliers nennt, dem kleinen Skapulier gewahrt. Denn dieses erste Privileg sagt nichts anderes, als dass all denen, welche von der Kirche mit dem Gewand und Abzeichen U. L. Frau bekleidet und so unter den besonderen Schutz der Gottesmutter für ihr ganzes Leben gestellt werden, nun auch dieser mächtige mütterliche Schutz zuteil wird, zumal in der für die ganze Ewigkeit wichtigsten Frage und Stunde.
Wer also, und sollte er selbst jetzt noch ein armer Sünder sein, nicht vermessentlich auf das Skapulier wie auf ein wunderbares Amulett sich verlassend, sondern in gläubigem Vertrauen auf die unbegrenzte Macht und Güte Mariä zeitlebens das Abzeichen der Mutter Gottes trägt, darf zuversichtlich hoffen, dass Maria ihm dafür durch ihre alles vermögende Fürbitte Bekehrung und Beharrlichkeit im Guten bis ans Ende erwirken wird. Das ist Sinn und Bedeutung des ersten Privilegs des Karmeliterskapuliers, was man mit den Worten auszudrücken pflegt: Wer das Skapulier bis zum Tode trägt, wird vor der Hölle bewahrt.
In der Tat gibt es glaubwürdige Berichte über den wunderbaren Schutz des Skapuliers im Leben und im Tode aus Friedens- und Kriegszeiten, namentlich über die Bekehrung armer Sünder auf dem Todbett; es liegen aber auch ebenso Beispiele vor, die es zeigen, dass Vermessentlichen und Unbußfertigen in auffallender Weise das Skapulier noch vor ihrem Tode abhanden kam.
Große Theologen haben das Skapulier mit seinen Gnaden und Privilegien gegen die verschiedenen üblichen Einwürfe stets in Schutz genommen. (4)
Anmerkungen:
(1) S. Die verschiedenen Lesarten der Worte, welche die Mutter Gottes bei der Erscheinung gesprochen haben soll, bei Brocard de sainte Thérèse, Recueil d`instructions sur la dévotion au saint Scapulaire de Notre-Dame du Mont Carmel 208 sqq.
(2) B. Zimmermann, Monumenta historica Carmelit. I (Lirinae 1907) 323 sqq.; Saltet, Louis Bulletin de Litterature ecclésiastique, Toulouse 1911, 24 sqq. 85 sqq. Vgl. nunmehr Magennis, Joannes Chevon et Fragmentum Petri Swanyngtoni, Roma 1915, welcher die Argumente der Geschichtsforscher zu widerlegen sucht.
(3) Zimmermann und Saltet geben a. a. O. Sehr vernünftige Gründe für diese Ansicht; vgl. I, 487
(4)Cf. Benedicti XIV opera omnia, IX., Venetiis 1767, 197 sqq.; Serapion, Skapulierbüchlein 22 ff.
Das zweite Privileg genannt »privilegium sabbatinum«
Das zweite Privileg des Karmeliterskapuliers, das sogenannte »privilegium sabbatinum« besagt kurz, dass Maria ihren treuen Verehrern in der Skapulierbruderschaft auch nach dem Tode noch mütterlich beistehen wird und namentlich an dem ihr besonders geweihten Tage, dem Samstag, wenn dieselben die nicht leichten Bedingungen zur Erlangung dieses Privilegs treu erfüllt haben.
Auch dieses Privileg verdankt nach der Bulle Johannes XXII. »Sacratissimo uti culmine« vom 3. März 1322 seine Entstehung einer Erscheinung der Mutter Gottes. In jener Bulle erklärt der Papst selber, dass Maria ihm erschien und den Karmeliterorden mit den Confratres und Consorores desselben angelegentlichst empfahl. Die selige Jungfrau verlangte von Johannes, dass er die Ablässe (namentlich einen vollkommenen für die Karmeliter und einen unvollkommenen vom dritten Teil der Sündenstrafen für die Mitglieder der Confraternitas), welche Christus der Herr im Himmel verliehen habe, auf Erden als Stellvertreter Christi bestätige. Sie selbst werde am Samstag nach deren Tode hinabsteigen und alle, welche sie im Fegefeuer finde, befreien und in den Himmel führen.
Darauf gibt sie die Bedingungen an, welche die Bruderschaftsmitglieder erfüllen müssen. Am Schluss der Bulle erklärt der Papst: „Diesen hl. Ablass nehme ich also an, bekräftige und bestätige ich auf Erden, sowie Jesus Christus denselben gnädigst wegen der Verdienste der seligsten Jungfrau im Himmel verliehen hat.“
Die erste Nachricht über diese Bulle verdanken wir dem Karmeliter Balduinus Leersius, der 1483 starb. (5)
Besonders vom 17. Jahrhundert an ward die Echtheit der Bulle lebhaft bekämpft. Heute wird dieselbe von den Forschern allgemein als unecht verworfen, auch die Monumenta historica Carmelitarum des Karmeliters B. Zimmermann (6) geben dieselbe preis.
Im Jahr 1379 erbaten die Karmeliter wegen der Anfeindungen, denen ihr Orden und besonders der Name ihres Ordens noch immer ausgesetzt war, von Urban VI. einen Ablass von 3 Jahren und 3 Quadragenen für alle Gläubigen, welche die Karmeliter und ihren Orden „den Orden und die Brüder der seligsten Gottesmutter Maria vom Berge Karmel“ benennen. (7)
Es ist nun schwer einzusehen, dass die Karmeliter in jener ihrer Notlage, statt diesen Ablass zu erbitten, sich nicht auf die alte Verheißung und vor allem auf die neuere Bulla sabbatina beim gläubigen Volk beriefen, wenn anders das Skapulier damals schon bekannt und jene Verheißung an den hl. Simon Stock ebenso wie diese Bulle als echt und unanfechtbar vorlag.
Allerdings wurde die Bulle Johannes XXII. von einigen späteren Päpsten im 16. Jahrhundert bestätigt (8), dadurch war jedoch weder die Bulle selbst in ihrem Wortlaut und noch viel weniger ihr ganzer Inhalt als authentisch und echt erklärt. Im Gegenteil ist die Bestätigung durch Gregor XIII. vom 18. September 1577 bereits sehr vorsichtig ganz im Sinne des späteren Dekrets des hl. Offizium gehalten. (9)
Dieses Dekret erschien im Jahre 1613. Dasselbe lässt sich auf die Frage der Echtheit jener Bulle nicht ein und erklärt nur, was die Karmeliter aus dem Inhalt derselben predigen dürften. Zugleich aber verbietet das Dekret, Bilder zu malen, welche nach dem Wortlaut der Bulle die Mutter Gottes bei ihrem Abstieg zur Befreiung der Seelen im Fegefeuer darstellten. (10)
In dem authentischen, von der hl. Ablasskongregation gutgeheißenen Ablassverzeichnis des Karmeliterordens vom 31. Juli 1907 (11) ist keine Rede weder von der Bulle Johannes XXII. noch von den Ablässen dieser Bulle noch auch von dem Privilegium Sabbatinum für die Karmeliter. In dem Verzeichnis aber der Ablässe und Privilegien, welches am 4. Juli 1908 für die Bruderschaft des Karmeliterskapuliers (*) gutgeheißen und neu bestätigt wurde (12), ist die Bulle Johannes XXII. nicht mehr zitiert, wie noch in dem vorletzten Ablasssummarium vom 1. Dezember 1866. (13) Nach den Ablässen werden in diesem neuesten jetzt allein geltenden Verzeichnis die Privilegien verzeichnet, und hier heißt es an erster Stelle:
„Das Privielg des Papstes Johannes XXII., welches insgemein (vulgo) Sabbatinum genannt wird, und von Klemens VII. »Ex clementi« 12. Aug. 1530, von Pius V. »Superna dispositione« 18. Februar 1566, von Gregor XIII. »Ut laudes« 18. Sept. 1577 und von anderen gutgeheißen und bestätigt wurde, ebenso wie durch das Dekret der hl. römischen allgemeinen Inquisition unter Paul V. vom 20. Januar 1613. …“
Das Dekret findet sich unter:
– Das sabbatinische Privileg – Dekret vom 4. Juli 1908
Anmerkungen:
(5) Leersius, Balduinus, Collectaneum exemplorum et miraculorum; cf. Bibliotheca Carmelit. I. (Aurelianis 1752) 210.
(6) Monum. Histor. Carmel. I. (Lérins 1907) 356-363.
(7) »Ordinem et Fratres B. Mariae Genitricis Dei de Monte Carmeli appellaverint.« Bullarium Carmelit. I, 141
(8) Cf. Bullar. Carmel. II, 47; 141.
(9) Ibid. II, 196.
(10) »Imagines cum descensione beatae Virginis ad animas in Purgatorio liberandas.«
(11) Act. S. Sed. XL, 753 sqq.
(12) Act. S. Sed. XLI, 608 sqq.
(13) Rescr. Auth. p. 475.
(*) Für diese großen Skapuliere gelten im Allgemeinen dieselben Regeln wie für die kleinen. Vor allem muss man dieselben ständig tragen, um der Ablässe und Privilegien der dritten Orden teilhaftig zu werden. Es erklärte jedoch die hl. Ablasskongregation am 30. April 1885 ausdrücklich, dass man im dritten Orden, um die Ablässe zu gewinnen, auch Skapuliere von kleiner Form und gleicher Größe wie die der Bruderschaften tragen dürfe. (Cf. Act. S. Sed. XV, 513 sqq.) – (Beringer, a.a.O. Bd. I, S. 487)
Das Ablasssummarium der Skapulierbruderschaft vom Berge Karmel
Unter dem 4. Juli 1908 von der hl. Ablasskongregation neu bestätigt – Act. S. Sed. XLI, 608 sqq.
Ablässe, vollkommene unter der Bedingung von Beichte, Kommunion und Gebet n. d. M. d. P.:
- am Tage der Aufnahme in die Bruderschaft;
- am Pfingstfest;
- am Fest der Mutter Gottes vom Berge Karmel am 16. Juli oder an einem Sonntag desselben Monats, je nach dem Gebrauch des betreffenden Ortes;
- an demselben Tage jedes Mal, so oft die Mitglieder eine Kirche oder öffentliche Kapelle einer Skapulierbruderschaft besuchen;
- an einem Sonntag in jedem Monat, wenn sie der mit Erlaubnis des Bischofs stattfindenden Prozession beiwohnen. Die Mitglieder, welche der monatlichen Prozession nicht leicht beiwohnen können, gewinnen den Ablass, wenn sie stattdessen am nämlichen Tage die Bruderschaftskirche besuchen. Dort, wo keine Prozession gehalten wird oder die Bruderschaft nicht kanonisch errichtet ist, gewinnt man den Ablass durch irgendeinen Kirchenbesuch, den man stattdessen am dritten Sonntag jeden Monats macht;
- am Gedächtnistag der Verstorbenen des Karmeliterordens, am 15. November oder wofern dies ein Sonntag ist, am 16. November. In der Todesstunde unter den gewöhnlichen Bedingungen.
Unvollkommene: 7 Jahre und 7 Quadragenen an allen Mittwochen und Samstagen, wenn man alsdann die Bruderschaftskirche oder Kapelle besucht.
- 5 Jahre und 5 Quadragenen einmal im Monat an einem beliebigen Tag nach Beichte, Kommunion und Gebet n. d. M. d. P.
- Sooft man mit brennender Kerze das heiligste Sakrament zu Kranken begleitet und für sie betet.
- 3 Jahre und 3 Quadragenen an jedem Fest der Mutter Gottes, das in der ganzen Kirche gefeiert wird, wenn man beichtet, die heil. Kommunion in der Bruderschaftskirche empfängt und n. d. M. d. P. Betet. –
- 300 Tage für die Abstinenz an jedem Mittwoch und Samstag des Jahres
an allen anderen Tagen des Jahres für den Besuch der Bruderschaftskirche. - 100 Tage für jedes Werk der Frömmigkeit oder Liebe.
Alle Mitglieder, welche sich an Orten aufhalten, wo sich keine Kirche der Karmeliter befindet, können die Ablässe, welche für den Besuch solcher Kirchen bewilligt sind oder werden, gewinnen, wenn sie stattdessen an den Ablasstagen ihre Pfarrkirche besuchen. Ist an dem Ort jedoch eine Bruderschaftskirche, so müssen sie diese besuchen, es sei denn, dass dieselbe mehr als eine Meile = 1489 Meter entfernt wäre.
Privilegien: Das sabbatinische Privileg Johannes XXII., so wie es oben nach dem Dekret der römischen Inquisition vom 20. Januar 1613 erklärt wurde.
- In der Todesstunde kann der bevollmächtigte Priester und in dessen Abwesenheit jeder approbierte Beichtvater den Mitgliedern die Generalabsolution mit vollkommenem Ablass spenden.
- Alle hl. Messen, welche für verstorbene Mitglieder gelesen werden, haben den Ablass des Altarprivilegs. –
aus: Franz Beringer, Die Ablässe, ihr Wesen und Gebrauch, 2. Bd., 1916, S.155 – S. 162
Bildquellen
- scapular-7241947_640: pixabay