Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Maistre, Joseph Marie
Maistre, Joseph Marie Comte de, katholischer Denker, Diplomat und Publizist, * 1.4.1754 zu Chambéry (Savoyen) als ältestes von 10 Kindern. † 26.2.1821 zu Turin; als Kind rückhaltlos unterwürfig gegen die Eltern, streng religiös erzogen, durchlief die Beamtenlaufbahn in Savoyen, wanderte nach Einbruch der Franzosen in sein Land nach Lausanne aus, pflegte hier gesellschaftlichen Verkehr mit berühmten Zeitgenossen (Madame Staël) und eignete sich rastlos umfassende Bildung und große Sprachenkenntnisse an. Mit 40 Jahren veröffentlichte er seine ersten Schriften. In seinen Considérions sur la France (London 1796), die ihn unter die ersten französischen Schriftsteller rückten, bekennt er sich als entschiedensten Gegner der Französischen Revolution und des Zeitgeistes („Man muss diesen Geist des 18. Jahrhunderts vernichten“). Durch die Revolution von allem entblößt, arbeitete Maistre später in Venedig. 1803 wurde er außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister Sardiniens am Hof von St. Petrsburg. Hier entstand eine Reihe seiner hervorragendsten Werke: Essai sur le principe générateur des constitutions politiques (Paris 1814 u. ö.); Du Pape (2 Bde, Lyon 1819 u. ö.; dtsch. v. M. Lieber, hrsg. v. J. Bernhart, 2 Bde, 1923) und Die gallikanische Kirche (Paris 1820), die beide zur Überwindung des Gallikanismus erheblich beitrugen; Soirées de St.-Pétersbourg (2 Bde, Paris 1821). 1817 nach Turin heimgekehrt, wurde er Präsident der Großen Kanzlei. Meistre`s geistige Persönlichkeit wird unserer Zeit wieder zum Führer: der Lieblings-Begriff seiner politischen und ethischen Ideen ist Autorität. Das Katholische ist ihm das Allgemein-Vernünftige. „Religion ist durch nichts zu ersetzen, am wenigsten durch die Wissenschaft.“ Die Geschichte hat für Maistre göttlichen Sinn. Blut hat erlösende Kraft, am meisten das Blut der Unschuld. Universal ist seine Bildung, sein Erkennen stark metaphysisch gerichtet (Paulhan: „un véritable génie métaphysique et mystique“). Leo XIII. verwandte Maistre`sche Überzeugungen viel in seinen Enzykliken. Als Geschichtsphilosoph besaß er prophetischen Weitblick, aber nicht ohne überspitzte Einseitigkeiten. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. VI, 1934, Sp. 809 – Sp. 810
Katholischer Glaube und katholische Lehre ist Geist und Seele dieser nach Inhalt und Form ausgezeichneten Schriften. Niemand hat besser als Graf Maistre es einleuchtend gemacht, daß die wahren Grundursachen der allgemeinen Erschütterung aller Verhältnisse von Kirche und Staat die verkehrten Lehren seiner Zeit seien, und daß das erste und festeste Band aller Gesellschaft nur in der Religion bestehe. Maistre war wieder der Erste, der es unternahm, die Verdienste des Papsttums um die Gesamtkultur Europa`s ausführlich darzustellen und die hohe Wichtigkeit der päpstlichen Macht für die wahren Grundlagen der Sozietät und Zivilisation zu zeigen. Nachdem Friedrich von Schlegel auf die Bedeutung des Werkes über den Papst aufmerksam gemacht hatte, unternahm der verdiente Moritz Lieber, die genannten Werke in Verbindung mit einigen Freunden ins Deutsche zu übersetzen; sie erschienen in 5 Bänden Frankfurt 1822 – 1826, und Karl J. H. Windischmann begleitete die Abendstunden von St. Petersburg mit Betrachtungen über die Schicksale der Philosophie in neuerer Zeit (separat Frankf. 1826). –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 8, 1893, Sp. 531 – Sp. 532