Die liturgische Messfeier des zwölften Sonntags nach Pfingsten
Samstag der zwölften Woche nach Pfingsten
„Selig die Barmherzigen“ – Der Christ als barmherziger Samariter (Samaritan) (Lk. 10, 23-37)
1. „Gehe hin und tue desgleichen“ (Evangelium). Sei auch du der barmherzige Samaritan! Das ist der Dienst des Neuen Bundes, des Getauften, der in so reichem Maße an sich das Erbarmen des Samaritans, des menschgewordenen Gottessohnes, erfahren hat. Taufe, Eucharistie, Bußsakrament verpflichten. „Gehe hin und tue desgleichen!“
2. „Welcher von den dreien (die auf den unter die Räuber Gefallenen stießen) scheint dir sein Nächster gewesen zu sein?“ fragt Jesus den Gesetzeslehrer. Er antwortet: „Der an ihm Barmherzigkeit getan.“ Wahre, christliche Nächstenliebe ist eine barmherzige Liebe. Unser Christsein drängt uns, mit der Not des Mitmenschen Mitleid zu haben und ihm zu helfen, soweit immer es möglich ist. Wir sind ja in der heiligen Taufe Glieder Christi geworden. In jeder heiligen Messe und Kommunion vertiefen und vervollkommnen wir die Eingliederung in Christus, das Haupt. Wir nehmen Seinen Geist, Seinen Sinn und Seine Kraft der Liebe tiefer in uns auf.
So haben auch wir aus unserer Vereinigung mit Christus, dem Haupt, den Drang, Barmherzigkeit zu üben. In diesem Drang bewährt sich die Echtheit unserer Christusdurchlebtheit und unserer Gotteskindschaft. „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“ (Lk. 6, 36). „Selig die Barmherzigen, sie werden Barmherzigkeit erlangen“ (Matth. 5, 7). Christi Geist, der in uns lebt, lässt uns nicht kalt und hartherzig an der fremden Not vorbeigehen. Wir können nicht der Levit und nicht der Priester des Evangeliums sein, die das Elend des Nächsten sehen – und „vorübergehen“.
Wehe uns, wollten wir so handeln! Wir hätten den Geist Christi nicht. „Wer aber den Geist Christi nicht hat, der ist nicht Sein“ (Röm. 8, 9). „Was ihr dem Geringsten der Meinigen getan habt – ihm nicht getan habt, das habt ihr Mir getan – habt ihr Mir nicht getan“ (Matth. 25, 40 u. 45).
„Gehe hin und tue desgleichen.“ Der Heiland verlangt die Gesinnung, und Er verlangt die Werke der Barmherzigkeit. Es sind die Werke der leiblichen Barmherzigkeit: die Hungrigen speisen, die Dürstenden tränken, die Nackte bekleiden, die fremden beherbergen, die Gefangenen erlösen, die Kranken besuchen, die Toten begraben. Es sind die werke der geistigen Barmherzigkeit: die Sünder zurechtweisen, die Unwissenden belehren, den Zweifelnden recht raten, die Betrübten trösten, das Unrecht geduldig leiden, den Beleidigern gerne verzeihen, für die Lebenden und Toten Gott bitten.
Wonach werden wir bei der Wiederkunft des Herrn, beim Sterben, gerichtet? Auf was kommt es an? Was entscheidet über Himmel und Hölle? Die Werke der Barmherzigkeit, hervorgegangen aus dem Verlangen, um Christi willen dem Mitmenschen, dem Glied Christi, im Geiste Christi den Dienst des barmherzigen Samaritans zu erweisen. „Kommt, ihr Gesegneten Meines Vaters, und nehmt das Reich in Besitz, das seit Beginn der Welt für euch bereitet ist. Denn Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war fremd, und ihr habt Mich beherbergt. Ich war nackt, und ihr habt Mich gekleidet.“
Dann wird Er zu denen auf Seiner Linken sagen: „Hinweg von Mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinem Anhang bereitet ist. Denn Ich war hungrig, und ihr habt Mir nichts zu essen gegeben. Ich war fremd, und ihr habt Mich nicht beherbergt. Ich war nackt, und ihr habt Mich nicht bekleidet“ (Matth. 25, 34 ff.). Die Werke der Barmherzigkeit öffnen den Himmel, die Unbarmherzigkeit führt in die ewige Hölle!
3. Moses flehte vor dem Angesicht des Herrn: „Herr, was zürnest Du Deinem Volk? Halt ein mit Deinem Zorn! Und besänftigt hielt der Herr das Unheil zurück, das Er Seinem Volk angedroht hatte“ (Offertorium). Die Macht des Erbarmens! Hätte Moses nicht Grund gehabt, seinem Volk zu zürnen, das drunten, am Fuß des Berges, um das Götzenbild tanzt? Aber er hat inniges Mitleid mit dem betörten, verblendeten Volk. Sein Gebet, geboren aus dem Mitleid mit dem Volk, findet Erhörung. Auch Gott lässt sich besänftigen. „Selig die Barmherzigen, sie werden Barmherzigkeit erlangen“, für sich und für die anderen!
So sind auch wir, die wir den Opfergang machen, ein Moses, voll Erbarmen und Mitleid mit der leiblichen und geistigen Not unserer Brüder und Schwestern. Mit einem Herzen voll des Mitleidens und Erbarmens heben wir unsere Gabe zum Himmel empor. „Herr, was zürnest Du Deinem Volk? Halt ein mit Deinem Zorn! Und besänftigt hält der Herr das Unheil zurück, das Er Seinem Volk angedroht.“
„Als Gottes Auserwählte, Heilige (Getaufte) und (von Gott) Geliebte zieht herrliches Erbarmen an, Güte, Demut, Sanftmut, Geduld“ (Kol. 3, 12). Das sollte die Frucht der heiligen Kommunion sein. Ist dem bei mir so?
Gebet.
Allmächtiger und barmherziger Gott, Dein Gnadengeschenk ist es, wenn Deine Gläubigen Dir würdig und untadelig dienen. Wir bitten Dich daher, verleihe uns, dass wir unaufhaltsam Deinen Verheißungen entgegeneilen. Durch Christus unsern Herrn. Amen. –
Quelle: Benedikt Baur OSB, Werde Licht, Liturgische Betrachtungen an den Sonn- und Wochentagen des Kirchenjahres, III. Teil Osterfestkreis, 1937, S. 301 – S. 303
Weitere liturgische Betrachtungen von Benedikt Baur OSB siehe unter. dem Stichwort Baur
Bildquellen
- Rembrandt_Harmensz._van_Rijn_033: wikimedia