Lexikon für Theologie und Kirche

Stichwort: Abgefallene (Lapsi)

Abgefallene, Lapsi, sind im allgemeinen solche, die einmal Christen waren, aber nachmals sich förmlich von der christlichen Kirche wieder lossagten. Näherhin bezeichnete man damit in den ersten christlichen Jahrhunderten jene Unglücklichen, welche zur Zeit der Verfolgung schwach genug waren, ihren christlichen Glauben zu verleugnen, um dem Tode oder andern Qualen und Nachteilen zu entgehen. Man unterscheidet vier Hauptgattungen von Lapsi:

1. die Sacrificati, welche den Göttern förmlich Opfer gebracht.

2. Thurificati, die vor den Bildern der Götter oder Kaiser zum Zeichen ihrer Verehrung Weihrauch verdampfen ließen.

3. Seit der Decischen Verfolgung kam eine neue Klasse der Lapsi auf, die Libbellatici, ein Ausdruck, der besonders bei Cyprian sehr häufig vorkommt. Wer mit dieser Bezeichnung gemeint sei, darüber sind die Gelehrten verschiedener Ansicht, namentlich Baronius ad ann. 253 n. 9 sqq., Prudentius Maran in s. Vita Cypriani p. L sqq., vor der Mauriner Ausgabe dieses Kirchenvaters, und Mosheim in s. Commentarius de rebus Christianorum etc. p. 482-489.

Die Libellatici und ihre Unterarten

Diese großen Gelehrten konnten aber unmöglich ins Reine kommen, weil sie von der vorgefassten Meinung ausgingen, unter Libellatici sei nur eine und die gleiche Art von Schwächlingen zu verstehen, während die Auflösung aller Schwierigkeiten darin liegt, daß alle, die sich eines Libellus bedienten, um auf unehrenhafte Weise der Verfolgung zu entgehen, Libellatici hießen. Die Unterarten dieser Libellatici sind nachstehende:

a) Habsüchtige heidnische Beamte ließen unter der Hand manche, besonders reiche Christen wissen, sie brauchten nicht zu opfern, sie sollten nur eine ordentliche Summe Geldes bezahlen, und dafür wolle ihnen der Beamte einen Schein (libellus) ausstellen, daß sie dem Befehl des Kaisers (zu opfern) nachgekommen seien. Von dieser Gelegenheit machten manche Gebrauch und begaben sich selbst zu den Beamten, oder ließen durch andere das Geld übergeben und den Schein abholen.

Ihre Verschuldung lag nicht darin, daß sie durch Geld der Verfolgung zu entgehen suchten, denn dies galt für erlaubt und wurde nur von den Rigoristen (Montanisten etc.) verpönt; aber das war ihr Verbrechen, daß sie sich bezeugen ließen, ein Verbrechen begangen zu haben, und zugaben, öffentlich als Apostaten zu gelten.

b) Eine zweite Art der Libellatici waren jene, welche einen Libellus nicht vom Richter empfingen, sondern ihm einen solchen überreichten, ihm eine Urkunde zustellten, worin sie versprachen, opfern etc. zu wollen. Von diesen redet Augustin (libr. 4 de baptism. 6), wenn er sagt, Libellatici seien die, quitempore persecutionis per libellos se thurificaturos professi erant. Auch die Bezeichnung (…) bei Petrus von Alex. scheint auf diese Klasse zu gehen, im Gegensatz zu den (…), womit er die meint, welche dem Christentum geradehin einfach abschwuren. Sie versprachen in der Absicht, es nicht zu halten.

c) Libellatici dritter Gattung waren jene, welche dem Richter einen Schein übergaben des Inhalts, daß sie bereits geopfert hätten, und von diesen redet der römische Klerus in seinem Brief an Cyprian (unter den Briefen Cyprians ed. Hartel II, Ep. 30). In demselben Brief ist noch

d) von einer vierten Art Libellatici die Rede, qui acta fecissent, licet praesentes, quum fierent, non adfuissent (l. c. n.3). Die Acta sind hier wohl Privaturkunden, und die Stelle bezieht sich auf solche, welche, wie die obigen, dem Richter eine Urkunde nicht selbst schrieben. Gegen sie bemerkt darum der römische Klerus, es se eins, ob man eine solche Urkunde selber schreibe oder ob ein guter Freund sie für einen andern mit dessen Vorwissen ausstelle. Man kann diese Lapsi auch Acta facientes nennen.

e) Eine fünfte Art von Libellaticis scheint bei Cyprian Ep. 67, n. 6 angedeutet zu sein. Einzelne Beamte wollten den Abfall dadurch erleichtern, daß sie Tabellen, Register (acta) über die Opfernden auflegten, abe nicht wirkliches Opfer verlangten, sondern schon zufrieden waren, wenn man nur seinen Namen in diese Akten einzeichnete. Ein solcher Lapsus war der spanische Bischof Martialis, von welchem Cyprian in der angeführten Stelle sagt: Actis etiam publice habitis apud procuratorem ducenarium obtemerasse se idololatriae contesstatus est. Daß es aber so vielerlei Libellatici gab, wird niemanden befremden, welcher weiß, wie reich an Erfindungen der Mensch ist, wenn es sich darum handelt, sein eigenes Gewissen zu täuschen.

Traditoren

4. Eine neue Hauptklasse von Lapsi entstand unter Diokletian, dessen erstes Verfolgungsedikt vom 23. Februar 303 von den Christen die Auslieferung ihrer heiligen Bücher und Gefäße etc. verlangte. Wer diesem Verlangen nachkam, wurde mit dem Namen eines Traditor gebrandmarkt. Außer diesen Hauptklassen von Lapsis gab es noch viele andere, indem der natürliche Erhaltungstrieb die Bedrängten allerlei Mittel zur Rettung aussinnen ließ. Mancher z. B., der opfern sollte, bezahlte einen armen Heiden, damit er sich für ihn ausgab und statt seiner das Opfer brachte. Andere schickten statt ihrer ihre heidnischen Sklaven, einige aber substituierten sogar ihre christlichen Knechte, und wieder andere gingen an den Altären nur vorbei, als ob sie opferten, ohne es wirklich zu tun, wie uns Bischof Petrus von Alexandrien belehrt.

Die Frage der angemessenen Buße

Es verstand sich von selbst, daß die Lapsi, wenn sie nach ihrem Fehltritt wieder in die Kirche zurückkehren wollten, sich einer angemessenen Buße unterziehen mussten. Die Strenge jedoch, womit sie behandelt wurden, musste nach Maßgabe der Verfehlung sehr verschiedene Grade haben. Manche nämlich hatten schon bei der ersten Annäherung der Gefahr den Glauben höchst leichtsinnig verleugnet; andere blieben längere Zeit standhaft und ließen wenigstens das Ungemach der Gefangenschaft und einige Martern über sich ergehen, ehe sie schwach wurden; wieder andere aber konnten nur durch die schrecklichsten, lange fortgesetzten Qualen, nachdem sie vielleicht jahrelangen Widerstand geleistet hatten, durch Schmerzen überwältigt, zum Kleinmut verleitet werden, und wurden nach geschehener Tat von der bittersten Reue bis zur Verzweiflung getrieben.

Auf diese großen Unterschiede nun nahm die Kirche bei Bestrafung der Gefallenen stets gebührende Rücksicht und ebenso auf die weitere schon angeführte Differenz, ob nämlich ein wirklicher Abfall im vollen Sinne des Wortes stattgehabt habe, oder ob sich der Bedrängte nur durch eine List, einen Opferschein oder dergleichen, zu retten gesucht habe.

Unterschiede in der Strafbarkeit

Die Unterschiede der Strafbarkeit führt namentlich der hl. Cyprian in seinem Buch De lapsis aus, wie er in seiner Ep. 55, n. 13. 14. auf den großen Unterschied zwischen Libellatici und Sacrificati aufmerksam macht. Wie sehr die Grade der Strafbarkeit unterschieden wurden, mag daraus hervorgehen, daß nach den Verordnungen der ersten allgemeinen Synode von Nicäa can. 11 derjenige, der, ohne Martern zu erdulden, gleich Anfangs abfiel, eine zwölfjährige Buße erhielt, während nach der Synode von Ancyra minder Schuldige mit drei bis vier Jahren belegt wurden. Daß das Strafmaß auch zu verschiedenen Zeiten verschieden war, bedarf kaum erinnert zu werden.

Es war natürlich, daß, von Bruderliebe und Mitleid getrieben, manche der Standhaften und oder Märtyrer in ihrer Todesstunde oder kurz vor derselben für ihre abgefallenen Brüder Fürsprache bei dem Bischof einlegten. Dies geschah schon am Ende des zweiten Jahrhunderts, wie wir von tertullian (Ad Martyres 1; De pudicitia 22) wissen, der in seinem Rigorismus dies tadelte, während Dionys d. Gr., Petrus von Alexandrien und andere dieser Sitte das Wort refeten. Gewöhnlich stellten die Märtyrer denen, für welche sie Fürbitte einlegten, sogenannte Friedensscheine, libellos pacis, aus, d. i. kurze Schreiben mit den Worten: communicet ille cum suis etc.

Das Schisma des Felicissimus und Novatians

Gegenstand heftiger Debatten wurde die Behandlung der Lapsi um die Mitte des dritten Jahrhunderts. Während nämlich Bischof Cyprian von Karthago eine für die Gefallenen selbst heilsame, aber nicht übertriebene Strenge einhielt, wollte ein Teil seines Klerus und Volkes doch hierin eine zu große Härte erkennen und die Lapsi ohne längere Bußzeit sogleich wieder in die Kirchengemeinschaft aufgenommen wissen. An der Spitze dieser laxen Partei stand der Dikaon Felicissimus von Karthago, und darum heißt sie das „Schisma des Felicissimus“ , entstanden 251. Um diese Partei mehr zu heben, reiste Novatus, ein Priester derselben, nach Rom, um wo möglich auch hier Anhänger zu finden. In Rom aber hatte sich um dieselbe Zeit das andere Extrem geltend gemacht.

Wie schon am Ende des zweiten Jahrhunderts die Montanisten die Behauptung aufgestellt hatten, wer einmal nach seiner Taufe eine Todsünde begangen habe, namentlich Lapsus geworden sei, könne nie mehr, auch nach der längsten Buße nicht mehr wieder in die Kirche aufgenommen werden, so trat jetzt in Rom der Presbyter Novatian mit der rigoristischen Behauptung hervor. Aber die Extreme berühren sich, und so kam es, daß der laxe Novatus von Karthago mit dem überstrengen Novatian von Rom sich nun in eine Sekte verband, und so das Novatianische Schisma ins Leben gerufen wurde.

Die Kirche dagegen hat den Mittelweg zwischen den Extremen eingeschlagen: sie hat den Lapsis die Wiederaufnahme nicht ganz versagt, sie hat sie aber auch nicht so gelind behandelt, wie Felicissimus wollte. Sie züchtigt, um zu bessern. –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 1, 1882, Sp. 88 – Sp.  91

Tags: Christenverfolgung, Schismatiker
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