Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Portiunkula
Portiunkula (Porziuncola = Teilchen, kleiner Acker) oder Santa Maria degli Angeli, Marienkirchlein, eine halbe Stunde südlich von Assisi, vielleicht aus dem 6. Jahrhundert, worin man Engelsgesang vernommen haben soll. Der hl. Franz v. Assisi erneuerte 1207-08 das Kirchlein, erkannte dort 1208 (1209) seine evangelische Berufung und erbat es sich 1211 von den Benediktinern auf Monte Subasio. In Portiunkula verweilte er mit Vorliebe: die Niederlassung nebenan wurde zum Stammkloster des Franziskanerordens; hier kleidete er auch 1212 die hl. Klara ein (Zweiter Orden), hier starb er 1226. Das Kloster stand unter dem großen Konvent v. S. Francesco in Assisi; 1415 besetzten es die Observanten.
Die heutige 3-schiffrige Basilika, die das Portiunkula-Kirchlein direkt unter ihrer Kuppel und daneben die Sterbezelle des hl. Franz umschließt, wurde nach den Plänen Vignolas von Gal. Alessi und anderen erbaut (1569 bis 1678, Glockenturm 1684 vollendet). 1829-30 schmückte Fr. Overbeck die Fassade des Portiunkula-Kirchleins mit einem Fresko.
1832 stürzten durch Erdbeben die Gewölbe der 3 Schiffe und der Chor ein, die Kuppel hielt stand. Gregor XVI. ließ sie 1836-40 wieder herstellen. Pius X. erhob 11.4.1909 die Kirche zur Patriarchalbasilika und päpstlicher Kapelle. 1925-28 wurde ihr eine mächtige Marmorfassade mit Narthex vorgebaut. Ihr ursprüngliches Kirchweihfest wurde zu einem Marienfest (III 24) im Minderbrüderorden.
Die Portiunkula-Kapelle ist besonders durch den sog. Portiunkula-Ablass berühmt, der vom Mittag des 1. August bis zum Sonnenuntergang des 2. August als vollkommener Ablass nach Beichte (außerhalb der Portiunkula-Kapelle auch Kommunion) durch Besuch der Portiunkula-Kapelle und kurzes Gebet toties quoties (d. h. bei jedem Besuch) gewonnen werden konnte. Benedikts XV. Breve v. 16.4.1921 gewährte ihn in der Portiunkula-Kapelle für jeden Tag des Jahres, wobei jetzt auch hier die Bedingungen v. 10.7.1924 wie bei anderen Kirchen zu erfüllen sind.
Der hl. Franz soll diesen Ablass in einer Erscheinung erfleht haben für den Tag der Neuweihe des Portiunkula-Kirchleins (2.8.1216) und für alle künftigen Jahrestag vorbehaltlich der päpstlichen Bestätigung, die ihm Honorius III. gewährt habe. Seit Ende des 14. Jahrhunderts teilten ihn Päpste auch einzelnen Franziskaner-Kirche mit, 1480 Sixtus IV. allen Kirchen des Ersten Ordens und 1482 allen Kirchen der 3 Orden des hl. Franz, doch nur für die Ordensangehörigen, was Leo X. 1.9.1518 bestätigte.
Gregor XV. gewährte ihn 4.7.1622 allen Gläubigen, die jene Ordenskirchen besuchten, was er 12.10.1622 auch für alle Kirchen der Kapuziner gestattete, Urban VIII. 13.1.1643 für alle Kirchen des regulären Dritten Ordens und Klemens X. 3.10.1670 für die Kirchen der Konventualen. 1856 wurde die Begünstigung auf die Kirchen, die mit einem der Franziskanerorden irgendwie in Verbindung standen, z. B. Pfarrkirchen, worin der weltliche Dritte Orden seine Versammlungen hielt, ausgedehnt.
Pius X. ermächtigte 9.6. 1910 die Bischöfe, an allen Orten Kirchen zu bestimmen, in denen der Portiunkula-Ablass entweder am 1. bis 2. August oder am darauffolgenden Sonntag (vom Mittag des Samstags an) gewonnen werden könne.
Diese Vollmacht wurde 26.3.1911 auf unbestimmte Zeit erneuert; 10.7.1924 erließ die Pönitentiarie nähere Bestimmungen, z. B. dass jene Kirchen 3 Kilometer von Franziskaner-Kirchen entfernt sein sollten; jedes Mal sind je 6 Paternoster, Ave Maria und Gloria Patri nach der Meinung des Hl. Vaters zu beten. Am 13.1.1930 erklärte die Pönitentiarie, man könne durch diese Gebete den sowohl am 2. August wie am darauffolgenden Sonntag (in einer anderen Kirche) gewinnen.
Die toties-quoties-Gewinnung kam erst allmählich in Annahme; sie steht sicher fest seit 1847. Bereits Innozenz XI. hat den Portiunkula-Ablass 1687 als den Armen Seelen zuwendbar erklärt; diese Zuwendung war aber schon im 14. Jahrhundert in Übung.
Die rein historische Frage nach Echtheit und Entstehung des Portiunkula-Ablasses wurde besonders um 1900/10 viel erörtert. Die Gegengründe: die Verordnung der Lateransynode v. 1215 gegen allzu häufige und zu große Ablässe (über 1 Jahr), die Schädigung der Kreuzzugssache, die Abneigung des hl. Franz gegen Privilegien (zu denen jedoch der Portiunkula-Ablass, der nur geistliche Vorteile bezweckte, nicht gehöre), das Schweigen der alten Biographen, das Verschwinden und Wiederauftauchen des Portiunkula-Ablasses um 1270/80, u.a.m. Konnte man nicht völlig entkräften. Die Entstehung ist jedoch nicht von den strengeren Franziskanern (Spiritualen) herzuleiten. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. VIII, 1936, Sp. 380 – Sp. 381
Siehe auch den Beitrag:
– Ablassgebete für die Seelen im Fegefeuer
Bildquellen
- Assisi,_Basilika_Santa_Maria_degli_Angeli,_Portiuncula: wikimedia