A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T Ü V W Z

Karäismus

Lexikon für Theologie und Kirche

Stichwort: Karäismus

Karäer (= Schriftkundige oder = Anhänger der Schrift), jüdische Sekte, welche die rabbinische Tradition und damit den Talmud verwirft. Unrichtig ist, daß sie aus dem Sadduzäismus hervorgegangen seien, wenn sie sich auch sadduzäische Lehrmeinungen, soweit solche in der talmudischen Literatur noch vorhanden waren, zu eigen machten. Als Grund zur Entstehung der Karäer im 8. Jahrhundert wird angegeben, daß die damaligen Geonim (siehe Gaonat) die Wahl des ʿAnan ben David in Bagdad zum Nachfolger seines Oheims, des Ecilarchen Salomo, hintertrieben hätten, da er nicht im Einklang mit den rabbinischen Satzungen lehrte und lebte.

Ein so geringfügiger Anlass hat jedoch schwerlich eine solche Auflehnung gegen das bestehende Judentum hervorgerufen, die mit der Verwerfung des ganzen Rabbinismus endete. Nachweisbar hatte der Rabbinismus in den babylonischen Ländern schon längst Gegner; befördert wurde ihr Zusammenschluss durch die von den Exilarchen den Geonim eingeräumte Machtbefugnis, ihre Anordnungen durchzusetzen und Widerspenstige zu strafen. Von Einfluss mögen auch die um dieselbe Zeit im Islam entstandenen Richtungen der Sunniten (Traditionsgläubigen) und Schiiten (Korangläubigen) gewesen sein. Man konstituierte sich als Gegengemeinde, als ʿAnan an die Spitze der Opposition trat. Von seinen Schriften sind nur einzelne Zitate erhalten.

Den späteren Karäern schienen seine Gesetzesauffassung und gesetzlichen Bestimmungen nicht radikal genug. Benjamin ben Mose aus Nahawendi (um 830) verwarf dann sämtliche Bräuche und Bestimmungen, in denen ʿAnan noch den älteren Autoritäten gefolgt war.

In der 1. Periode (bis Ende des 9. Jahrhunderts) wurden die Karäer von den Rabbaniten verfolgt, verhielten sich aber meist passiv. In Babylonien hatten sie bald ihre Bedeutung verloren und wanderten zunächst nach Palästina, von wo aus sie sich weiter verbreiteten.

Die 2. Periode (9. – 12. Jahrhundert) ist die der Erstarkung und eifriger Propaganda. Die Karäer drangen nach Griechenland, Ägypten, Nordafrika, bis nach Spanien vor, wo sie sich aber nicht lange hielten. Sie gingen nun aggressiv vor. Hervorgerufen wurde die Polemik durch ihren größten Gegner, den nachmaligen Gaon Saadja († 942), der bereits in Ägypten Schriften gegen den Karäismus verfasste. Gegen ihn wandten sich die tüchtigsten karäischen Gelehrten, darunter Salmon ben Jeruscham (885 bis 960).

Die Sprache des karäischen Schriftstums dieser Periode ist meist die arabische. Im Anklang an den Kalam der arabischen Theologen führte Joseph ben Abraham Haroëh (910-30) die karäische Religionsphilosophie ein. Bis ins 12. Jahrhundert war vornehmlich Ägypten Sammelplatz der karäischen Gelehrten, dann aber allmählich Konstantinopel. Unter den dortigen Karäern ist besonders vervorzuheben Jehuda ben Elia Hadassi (1075 bis 1160), dessen Schrift Eschkol hakopher („Strauß von Kyprosblumen“) die gesamte Religionswissenschaft und die karäische Religions-Anschauungen zusammenfasst unter Einordnung in die 10 Gebote.

In der 3. Periode finden sich Karäer auch in der Krim (Mangub u. Tschufu Kale) und seit Ende des 14. Jahrhunderts in Polen. Nochmals nahm ihre Literatur einen Aufschwung, besonders in Konstantinopel, wo Aaron ben Joseph (1270 bis 1300) mit seinem Hauptwerk Minchar („Auswahl“), das alle Materien der Religionsphilosophie in Form eines Pentateuch-Kommentars behandelte, und Aaron ben Elia (1300 – 69) hervorragten. Mit Elia ben Mose Baschjazi (1420 – 91) und seinen Schriften, darunter Addereth Eliahu („Mantel des Elias“), einem Sammelwerk über die mosaischen Vorschriften nach karäischer Auffassung schließt diese Epoche.

Die 4. Periode bedeutet Niedergang und Verfall. Die letzten Ausläufer des karäischen Schrifttums, Chronik und Kontroversen, finden sich in Polen. Als erster schrieb Isaak ben Abraham offen gegen das Christentum. Abraham Firkowitsch aus Luzk (1786 bis 1874), durch Sammeleifer um die alttestamentliche Textkritik, um die karäische und rabbinische Literatur verdient, wurde berüchtigt durch systematische und raffinierte Fälschungen von Grabinschriften und Epigraphen, die er in ein hohes Alter hinauf rückte, um glaubhaft zu machen, die Karäer seien als Abkömmlinge der verlorenen 10 Stämme zur Zeit des Kambyses nach der Krim gekommen, würden also nicht von den palästinensischen Juden aus der Zeit Jesu abstammen. –

Erhalten haben sich die Karäer in Jerusalem, Ägypten, der Türkei, Rumänien, Galizien und im südlichen Russland. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. V, 1933, Sp. 818 – Sp. 819

Tags: Judentum
Buch mit Kruzifix
Esdras
Buch mit Kruzifix
Konrad I. bis IV. deutsche Könige

Weitere Lexikon-Einträge

Buch mit Kruzifix

Nektarius

Lexikon für Theologie und Kirche Stichwort: Nektarius Nektarius, * 1605 auf Kreta, Mönch auf dem Sinai, 1661 griechischer Patriarch von Jerusalem, resignierte 1669, † 16.1676 von Jerusalem, Sprachen kundig, weitgereist, kritisch gegen Photius, bekämpfte aber selbst mit Fabeln den römischen…
Buch mit Kruzifix

Maria Theresia

Lexikon für Theologie und Kirche Stichwort: Maria Theresia Maria Theresia, röm.-deutsche Kaiserin, * 13.5.1717, † 29.11.1780 zu Wien; trat als älteste Tochter Kaisers Karls VI. († 20.10.1740) auf Grund der pragmatischen Sanktion die Regierung der österreichischen Erblande an. Ihren Gemahl…
Buch mit Kruzifix

Traditionalismus

Lexikon für Theologie und Kirche Stichwort: Traditionalismus Traditionalismus, der von katholischen Gelehrten im 19. Jahrhundert unternommene Versuch, die gesamte sittliche und religiöse Erkenntnis einzig auf die in einer ununterbrochenen Überlieferung der Menschheit kund werdende Uroffenbarung Gottes zurück zu führen, unter…
Buch mit Kruzifix

Arkadius

Lexikon für Theologie und Kirche Stichwort: Arkadius Arkadius, hl. Märtyrer zu Cäsarea in Mauretanien (Cherchel) in der diokletianischen Verfolgung. Die älteste Bezeugung über ihn besitzen wir in einer Rede des hl. Zeno von Verona (Migne PL XI 450/54) und in…
Buch mit Kruzifix

Paradies

Lexikon für Theologie und Kirche Stichwort: Paradies I. Das Paradies im Alten Testament. 1) Das urzeitliche Paradies ist nach Gn. 2, und 3 ein von Gott selber in der Landschaft Eden  (*) gepflanzter Garten mit Zier- und Nutzbäumen, vor allem…

Weitere Lexikon-Beiträge

Buch mit Kruzifix

Feste der Juden im Altertum

Heilige Schrift AT
Lexikon für Theologie und Kirche Stichwort: Feste bei den Juden: I. Feste der Juden im Altertum Außer dem Sabbat, dem Festabschluss einer jeden Woche, und den Neumonden, den Festen zu Beginn eines jeden Monats, ordnete das mosaische Gesetz zunächst noch drei jährliche Hauptfeste an, während welcher alle männlichen Israeliten beim Heiligtum zu erscheinen hatten: das…
Buch mit Kruzifix

Archelaus

Antike
Lexikon für Theologie und Kirche Stichwort: Archelaus Archelaus, Sohn Herodes’ des Großen, hatte mit seinem Bruder Antipas eine Samariterin Namens Malthace zur Mutter und war gleich diesem seinem Bruder in Rom erzogen worden (Jos. Antt. 17, 1, 3; 10, 1). nach dem zweiten Testament des Herodes (in dem ersten hatte er Antipas zum alleinigen Erben…
Buch mit Kruzifix

Makkabäer

Heilige Schrift AT
Lexikon für Theologie und Kirche Stichwort: Makkabäer Makkabäer (entweder von Hammer, Hammerschläger oder Auslöscher; vgl. den Namen eines Helden Davids: 1. Chr. 12, 9 u. 14; dazu Revue des Etudes Juives 1932, 180f), eigentlich Beiname nur des Judas, des 3. Sohnes des Matthathias, welch letzterer über Johannes, Simon (Hasmonäus?) usw., von Joarib, dem Haupt einer…
Buch mit Kruzifix

Sara

Heilige Schrift AT
Lexikon für Theologie und Kirche Stichwort: Sara Sara, im Alten Testament 1. die Gemahlin des Patriarchen Abraham, war zugleich dessen Halbschwester, vom nämlichen Vater und einer andern Mutter geboren (Gen. 20,12). Die Annahme der Juden, sie sei identisch mit Jescha, der Tochter Arans (Gen. 11,29), wird zwar von manchen christlichen Exegeten geteilt, ist aber mit…
Buch mit Kruzifix

Semiten

Heilige Schrift AT
Lexikon für Theologie und Kirche Stichwort: Semiten Semiten, die große Familie der Völker, die nach Gn. 10, 22ff von Sem abstammen und ursprünglich dieselbe Sprache redeten wie die zu Sems Nachkommen zählenden Hebräer. Nach Gn. 11, 2 kamen sie aus dem Osten nach Babylonien und bevölkerten den Südwesten Asiens. In Babylonien übernahmen sie den von…
Buch mit Kruzifix

Hillel

Lexikon für Theologie und Kirche Stichwort: Hillel Hillel I., genannt „der Alte“, jüdischer Gesetzeslehrer, mit Schammai als letztes der sogenannten 5 Paare der Traditionskette aufgeführt., * um 50 v. Chr.; † 10 n. Chr. Über ihn und seine Gelehrsamkeit erzählt die Tradition viel Legendäres. Er soll aus einer armenisch-babylonischen Exulanten-Familie (daher auch ha-Babli) stammen, die…
Consent Management Platform von Real Cookie Banner