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Lexikon für Theologie und Kirche

Stichwort: Johannes von Wesel

Johannes von Wesel (de Vesalia oder auch bloß Wesalia), nicht zu verwechseln mit Johannes Wessel, gehört zu den mittelalterlichen Irrlehrern, welche man als Vorläufer der Reformatoren bezeichnet. Er wurde zu wesel (wahrscheinlich zu Oberwesel am Mittelrhein) im Anfang des 15. Jahrhunderts geboren; sein Familienname war Ruckrath oder Richrath. Er machte seine höheren Studien an der Universität Erfurt, wurde daselbst Magister der freien Künste, um 1450 „berufener Lehrer der heiligen Schrift“, 1456 Doktor der Theologie und bekleidete 1458 unter dem Ehrenrektor Graf Johann von Henneberg das Vizerektorat an der Hochschule.

Sein Ansehen scheint nicht unbedeutend gewesen zu sein, denn sein Zeitgenosse Wimpheling nennt ihn eine Zierde Erfurts (Flacius, Catal. Test. Verit. n. 386), und Luther, ein späterer Zögling der Hochschule, schreibt (Walch’sche Ausg. XVI, 2743): „Ich gedenke, wie M. Johannes Wesalia zuvor zu Erfurt die hohe Schule mits einen Büchern regiert, aus welchen ich daselbst auch bin Magister geworden.“ Ebenso sagt Falkenstein (Historie von Erffurth, ebd. 1739, 315), daß „Wesels Lectiones und Quaestiones über die Sententias Lombardi hernach (nach 1458) bey dieser Universität in ein sonderbares Ansehen gekommen“.

Schon bei seinem Eintritt in die theologische Fakultät verließ Johannes den Boden der kirchlichen Lehre und verfaßte zur Zeit des Jubeljahres 1450, als Nikolaus Cusanus in Deutschland den Jubelablass (Disputatio adversus indulgentias, bei Walch, Monimenta medii aevi II, 1, Gotting. 1757, 111sq.), welche einer förmlichen Leugnung desselben gleich kommt. Weder aus dem Schatz der Verdienste noch aus dem Amt der Schlüssel, so argumentierte er, könne der Ablass abgeleitet und begründet werden. Aus diesem nicht, weil die heilige Schrift, welche er nicht undeutlich als alleinige Glaubensquelle annimmt, davon gar nichts wisse; aus jenem Schatz der Verdienste nicht, weil ja kein Mensch wissen könne, ob Gott den Ersatz annehme, der ihm aus dem Gnadenschatz dargeboten wird, um die verdienten Strafen zu tilgen.

Außerdem wisse ja auch der Papst nicht, wie groß unsere verdiente Strafe bei Gott sei; wie könne er einen Ersatz dafür bestimmen? Was dann die Verdienste der Heiligen betreffe, so heiße es ja in der Schrift: „Ihre Werke folgen ihnen nach.“ Sobald die Heiligen aufhörten zu wirken, hätten ihre Werke kein Dasein mehr für sich; es sei also keineswegs zu beweisen, daß der Schatz ihrer Verdienste hier auf Erden zurück gelassen sei. Hätten die Seligen überhaupt während ihres Lebens etwas für Andere getan, sos ei es nur nach dem göttlichen Wille geschehen, der jedem zuteile, was ihm gut dünke. Daß auch ein Mensch davon zuteilen dürfe, wenn er wolle, das könnte nur dann behauptet werden, wenn Gott mit diesen Menschen (Papst etc.) eine Übereinkunft getroffen; davon stehe aber in der heiligen Schrift nichts. Es scheine demnach, daß die Ablässe ein frommer Betrug seien – Betrug, weil sie die Gläubigen zu dem Wahn verleiteten, sie würden dadurch von allen Strafen des Jenseits befreit; ein frommer, weil sie doch zu manchen guten Werken Anlass gäben.

Die Unfehlbarkeit der Kirche, auf welche man sich hiergegen berufen müsste, leugnet er, sofern sie im katholischen Sinne genommen wird, geradezu. Die allgemeine Kirche, worin auch die Bösen sich befinden, sei durchaus nicht unfehlbar. Dieses Privilegium komme nur der Kirche Christi zu, welche in der allgemeinen (natürlich unsichtbar) enthalten sei (Kap. 54). Vielleicht war es gerade diese Schrift, welche, wie berichtet wird, den damals wegen seiner Gelehrsamkeit berühmten Erfurter Karthäuser Johannes de Indagine bewog, gegen Johannes von Wesel zu schreiben. Nachdem letzterer etwa 15 Jahre in Erfurt als Lehrer gewirkt, wurde er vielleicht um 1460 Prediger in Mainz, eine Beförderung, welche bei der nahen Verbindung von Erfurt und Mainz im 15. Jahrhundert nicht selten vorkam.

Eine Pest soll ihn bald von diesem Posten vertrieben haben. Er ging nach Worms und nahm dort eine Anstellung als Prediger an. Wie offen er hier die orthodoxe Lehre angriff, davon geben uns die hauptsächlich aus seinen Predigten gezogenen „Paradoxen des Doctors Johannes von Wesel“ (…) Zeugnis. Auch aus den Akten des späteren Inquisitions-Prozesses geht das nämliche zur Genüge hervor. Nur die heilige Schrift, behauptete er, sei Richtschnur unseres Glaubens. Nur was sie gebiete, sei uns geboten. Was von den Prälaten allein vorgeschrieben würde, verbinde unter keiner Sünde. Papst und Bischöfe könnten zu unserem Heil nichts Wesentliches tun. Wäre auch nie ein Papst gewesen, dennoch wären alle beseligt, die es wirklich sind. Wen Gott retten wolle, der werde gerettet, auch wenn Papst und Priester ihn verdammen würden; wen Gott verdammen wolle, der werde verdammt, und wenn alle Priester ihn selig sprächen.

Gott habe von Ewigkeit her alle Erwählten ins Buch des Lebens eingetragen; wer in dieses nicht eingetragen sei, der werde es nie; wer es ist, der werde nie ausgetilgt. Aus dem Glaubensbekenntnis solle das Wort „katholisch“ wegfallen, denn die katholische Kirche, d. i. die Gesamtheit aller Getauften, sei nicht heilig, bestehe vielmehr dem größeren Teil nach aus Verworfenen.

Der Leib Christi könne im Abendmahl zugegen sein, wenn auch die Substanz des Brotes bleibe. Es sei aus der heiligen Schrift nicht darzutun, daß der heilige Geist vom Vater und Sohn zugleich ausgehe. Christus habe weder Fasten, noch die Festtage, noch bestimmte Gebete außer dem Vaterunser vorgeschrieben. Petrus habe das Abendmahl bloß mit dem Gebet des Herrn konsekriert; jetzt aber habe man die Messe durch ihre Verlängerung zu etwas recht Beschwerlichem in der Christenheit gemacht.

Auch höchst frivole Äußerungen werden ihm zur Last gelegt. So z. B. habe er gesagt: das geweihte Öl sei nicht besser als dasjenige, das man zu Hause in Kuchen esse. Wenn der hl. Petrus das Fasten eingesetzt, so habe er’s wohl getan, um seine Fische besser zu verkaufen. „Du magst am Karfreitag einen guten Kapaun essen“ (Paradoxa 1. c.). „Ich verachte Papst, Kirche und Konzilien“ (Flacius 1. c.). Zu dieser Zeit verfaßte er, wahrscheinlich für die böhmischen Husiten, das Schriftchen De auctoritate, officio et potestate Pastorum (Walch 1. c. II, 2, Gotting. 1764, 115sq.).

In demselben erklärte er es für eine Anmaßung der Prälaten, wenn sie einen Christen, der von dem ewigen und wahren Gesetz des göttlichen Geistes, des Glaubens und der Liebe regiert würde, noch mit neuen Geboten belüden, als ob der Gerechtigkeit des Gerechten etwas fehle, das erst durch Beobachtung menschlicher Gesetze zu erlangen wäre. Wer habe denn Gesetze vorzuschreiben außer dem, der Alles wirkt? Sei es etwa der Papst, der hier mit dem Geist Gottes um die Herrschaft streiten könne? Das sei ferne (1. c. 152). „Wenn du gläubig bist, hast du mit dem Papst nichts zu tun als Mensch, nichts von ihm zu hoffen: was dem Papst und Prälaten gegeben sein mag, hast du selbst, soweit es Gaben zur Seligkeit betrifft. Was von menschlichen Gesetzen Heilförderndes kommen könnte, gewährt dir leichter und vollständiger Gott selbst“ (153). Der Papst, obwohl er Papst, und wenn man wolle, ein Halbgott sei, unterliege der Zurechtweisung des geringsten Christen, der richtiger denke als er. „Wer uns mit Gottes Wort belehrt, der ist unser Papst, Bischof, Hirte und Herr“ (149).

Natürlich mussten solche Äußerungen das Einschreiten der geistlichen Gewalt heraus fordern. Johannes von Wesel wurde im Februar 1479 vor ein Inquisitions-Gericht in Mainz gestellt, zu welchem der Erzbischof von Mainz, Diether von Isenburg, Heidelberger und Kölner Doktoren berufen hatte, um den Angeklagten zu überweisen (S. Akten bei d’Argentré I, 2, 291 bis 298, und Ullmann I, 383). Er wurde für schuldig erkannt und widerrief auf das Andringen der von dem Erzbischof zu ihm gesandten Kommissare. Niemandem, der die Akten liest, kann es entgehen, mit wie großer Rücksicht gegen ihn verfahren wurde, und wie eifrig bemüht Richter und Erzbischof waren, ihm ein gutes Los zu bereiten. „Ich unterwerfe mich“, erklärte er endlich in seinem Widerruf, „der heiligen Mutter Kirche und den Belehrungen der Doktoren und bitte um Gnade.“ Er wurde zu lebenslänglicher Haft im Augustiner-Kloster zu Mainz verurteilt. Nach zwei Jahren starb er daselbst 1481. –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 6, 1889, S. 1786 – Sp. 1789

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